Insekten in München:Botaniker warnt vor Bienensterben: "In so einer Welt will ich nicht leben"

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Jetzt auch in München zu Hause: die Blauschwarze Holzbiene, die bis zu drei Zentimeter lang wird. (Foto: snsb)

Bienensterben? Im Botanischen Garten hat die Zahl der Arten in den vergangenen 20 Jahren deutlich zugenommen - wegen des Klimawandels. Die Gefahr des Aussterbens ist trotzdem nicht gebannt.

Von Philipp Crone, München

Im Jahr 2098 gibt es keine Bienen mehr. Im Jahr 2018 gibt es im Botanischen Garten mehr Bienenarten denn je. Wie passt das zusammen?

In dem aktuellen Bestsellerbuch "Die Geschichte der Bienen" entwirft die Autorin ein Szenario, wie im Jahr 2098 in China Menschen mit Pinseln auf Bäume steigen und sie bestäuben müssen, weil es keine Bienen mehr gibt. In der Botanischen Staatssammlung München hat der Biologe Andreas Fleischmann, 38, mit seinen Doktoranden 80 Jahre früher einmal nachgezählt, und das Ergebnis ist deutlich und überraschend.

Während im Zeitraum von 1997 bis 1999 im Botanischen Garten noch 79 Wildbienenarten vorkamen, sind es nun knapp 20 Jahre später 106. Hinzugekommen sind unter anderem 15 Arten, die bislang vor allem in wärmeren Regionen heimisch waren. Die Wissenschaftler folgern demnach: Durch die in den vergangenen zwei Jahrzehnten um durchschnittlich 0,5 Grad gestiegene Temperatur während der Vegetationszeit konnten sich auch in München mehr Bienenarten ansiedeln. Aber dass dieses Ergebnis nun das allgemein beobachtete Bienensterben widerlegt, ist nicht der Fall, sagt Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung, "im Gegenteil".

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Das Bienensterben allgemein sei durch die intensive Landwirtschaft, dem damit einhergehenden Einsatz von Insektiziden und der fortschreitenden Flächenversiegelung zu erklären. Auch wenn Landwirtschafts-Lobbyisten darauf hinweisen, dass doch auch der Klimawandel Einfluss haben könnte. Hat er auch auf die Bienenarten, aber einen positiven. "Insekten sind wechselwarme Tiere und deswegen gibt es umso mehr, je wärmer es ist", sagt Fleischmann. Vielmehr sei es eben so: Trotz der Erwärmung und eigentlich besserer Bedingungen für Bienen werden sie verdrängt, durch die bereits genannten Ursachen. "Der Einfluss der Landwirtschaft ist eigentlich noch schlimmer."

Fleischmann wollte nun in seiner Studie im Botanischen Garten den Effekt der Temperatur erforschen, in einem Umfeld, das von sonstigen Einflüssen weitgehend geschützt ist. "Normalerweise geht ja mit steigender Temperatur auch Wasserknappheit einher, dann würde die Vegetation leiden und die Bienen fänden weniger Futter." Im Botanischen Garten sind Pflanzen und Bewässerung immer gleich, nur die Temperatur nahm zu. Das Ergebnis: Wildbienenarten wie die gehörnte Mauerbiene oder die bis zu drei Zentimeter große Blauschwarze Holzbiene haben sich angesiedelt. Im gesamten Stadtgebiet haben die Wissenschaftler 192 verschiedene Bienenarten gefunden.

"Eine verbreitete falsche Zahl ist ja, dass 80 Prozent der Bestäubungen durch Bienen passieren", sagt Fleischmann. 80 Prozent stimme, aber das seien alle Insekten, auch Käfer, Schmetterlinge oder Fliegen. "30 Prozent entfallen auf die hiesige Honigbiene." Diese sei nur eine einzige von weltweit 20 000 Bienenarten. Davon seien nur sieben Honigbienen-Arten, und nur eine einzige Art komme in Bayern vor, hingegen sind es 514 Wildbienenarten. "Dafür sind Honigbienen deutlich in der Überzahl an Individuen im Gegensatz zu Wildbienen." Die sind Einzelgänger, während Honigbienen in Völkern von mehreren Zehntausend Tieren leben.

Natürlich seien Honigbienen wichtig, aber Artenvielfalt könne nur erhalten werden durch den Erhalt der Wildbienen. "Früher gab es ein Getreidefeld, dann kommen Hecke, Blumenwiese, ein Maisfeld und anschließend ein Weinberg. Heute bis zum Horizont ein Maisfeld." Das führe zu Mangelernährung bei den Bienen, "als ob ich ein halbes Jahr nur Pizza essen würde".

Bei vielen Pflanzen seien Honigbienen gar nicht in der Lage, deren Blüten zu bestäuben. Bei Erbsen, Bohnen oder Klee müsse die Biene einfach größer sein, um an den Pollen heranzukommen.

"Wildbienen sind auch deutlich effizienter in der Bestäubung." Während Honigbienen den Pollen als feuchte Klumpen sammeln und nur die Reste, die sie sonst am Körper als trockenen Puder tragen, zur Bestäubung in Frage kommen, sammeln Wildbienen Pollen immer als trockenes Pulver. Noch. Denn das Szenario des Jahres 2098, wie es in "Die Geschichte der Bienen" gezeichnet wird, ist "leider sehr realistisch", sagt Fleischmann.

Schon heute gebe es Felder in China, auf denen Obstbäume per Hand bestäubt werden, weil "alles totgespritzt worden ist". In Japan versuche man, Drohnen einzusetzen, was nicht nur irgendwie makaber klingt, sondern auch schlicht nicht funktioniere, weil jede Blüte anders sei. "In Bayern gibt es 4000 verschiedene Pflanzenarten mit 4000 verschiedenen Blüten, da bräuchte es 4000 verschiedene Drohnen."

"Für manche Wissenschaftler ist das Bienensterben die größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts", sagt Fleischmann. Damit man sich im Jahr 2098 in München nicht durch eine ganz stille Stadt bewege, weil Insekten und Vögel nicht mehr da sind, müsse man vieles ändern. "Ich bin eigentlich ein Optimist, aber in so einer Welt will ich nicht leben."

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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