Innenstadt-Rundgang:Von Münzen und Milliarden

Münchens Innenstadt steckt voller Gegensätze, und dass sie stetig teurer wird, macht diese noch größer. Eines aber bleibt immer gleich: Geld lässt sich hier überall ausgeben. Ein Spaziergang

Von Anna Hoben

Knapp ein Kilometer ist es vom Hauptbahnhof bis zur Alten Akademie in der Fußgängerzone. Die Gegend ist eine der spannendsten und teuersten in München. Weil sie sich ständig wandelt. Weil sie Gegensätzliches anzieht, von den Abgestürzten bis zum Oberpollinger-Luxus-Publikum. Weil Investoren kaum irgendwo sonst so mit Millionen um sich werfen wie hier, der Tiroler René Benko will in seine Immobilien hier sogar eine Milliarde Euro stecken. Ein Spaziergang durchs Innerste der Innenstadt, immer der Spur des Geldes entlang.

11 Euro

Vor der Bürgersaalkirche in der Fußgängerzone nahe dem Stachus sitzt ein Klarinettist und spielt Schostakowitsch. Walzer Nummer 2, dieses Stück Musik, das sich nicht entscheiden kann, ob es fröhlich klingt oder traurig. Auf dem kleinen Klappstuhl vor ihm liegen fünf Ein-Euro- und drei Zwei-Euro-Stücke.

Hinein in die Kirche: Wer keine Münzen oder Scheine zur Hand hat, aber trotzdem Geld loswerden will, hat es hier leicht. Es gibt einen elektronischen Opferstock: Einfach die Karte in das Lesegerät stecken und der Marianischen Männerkongregation eine beliebige Summe anweisen. Von draußen tönt immer noch die Klarinette, Somewhere Over The Rainbow.

0,80 Euro

So viel kostet es, eine Kerze in der Kirche St. Michael an der Neuhauser Straße anzuzünden. Das Orgelspiel am Nachmittag ist kostenlos. Dissonanzen, die sich in Harmonien auflösen, lassen das Herz vibrieren und die Bank, auf der man sitzt. Menschen mit Einkaufstüten suchen Zuflucht im Kirchenraum. Sind sie auf der Suche nach Gott oder nur nach einer kurzen Pause vom Geldausgeben? Wer gerade in Spendierlaune ist, der soll jedenfalls um Himmels willen nicht unterbrochen werden. Der Besucher kann wählen zwischen mindestens sechs verschiedenen Opferstöcken. Als da wären: "zu Ehren der schmerzhaften Muttergottes / für Priester- und Ordensberufe (Vergelt's Gott)", "für neues Kreuz", "für Musik" und "für die Inneneinrichtung der Kirche". Ein weiterer Kasten mit Schlitz heißt schlicht "Antoniusopfer", einer fordert auf: "geschwisterlich teilen". Und wer eine Postkarte mit einer Ansicht aus der Kirche erwerben möchte, der wird von einem roten und einem grauen Pfeil auf die Pflicht zum Bezahlen hingewiesen: "Geld bitte hier einwerfen".

Zwischen Bürgersaal- und Michaelskirche steht die Neue Akademie, die der österreichische Investor René Benko 2013 mit seiner Unternehmensgruppe Signa gekauft hat. 240 Millionen Euro hat er beim Freistaat Bayern für das Erbbaurecht an dem Filetstück in der Fußgängerzone eingeworfen. Irgendwann sollen dort Menschen wohnen, arbeiten, essen gehen und einkaufen können. Und wenn sie genug eingekauft haben, sollen sie nach den Plänen des Investors mit ihren Autos durch einen Tunnel direkt zum Kaufhaus Oberpollinger fahren können. Das Traditionshaus gehört seit 2014 zu Benkos Immobilienreich.

199 Euro

Das Untergeschoss vom Oberpollinger hat einen neuen Namen, es heißt jetzt "The Storey". Man muss nicht verstehen, warum die Models auf den Werbeplakaten aussehen wie gerade dem 19. Jahrhundert entstiegen; doch weil da auch Graffiti-Tags zu sehen sind, soll man es vielleicht so verstehen, dass in der schönen neuen Einkaufswelt alles möglich ist, dass alles sich vermischt. Dass Einkaufen im 21. Jahrhundert nicht nur Einkaufen ist, sondern ein Erlebnis. Dass ein Laden nicht nur ein Laden ist, sondern eine moderne Kunsthalle. "Concept Store" nennen Marketingleute diese Idee; im Grunde handelt es sich um einen Gemischtwarenladen mit erlesenen Produkten. Wie Schuhe hier auf Regalen drapiert sind, erinnert eher an ein Museum als an ein Geschäft. In der Kinderabteilung: kein Kind, nirgends. Unberührt hängen sie da, die Miniaturanzüge von Armani Junior und Boss, die Prinzessinnenkleidchen und Hemdchen. Wer seinem Kleinen einen Schneeanzug für 199 Euro kaufen will: Dies ist der Platz dafür.

2600 Euro

Rolltreppe aufwärts, ins Handtaschenimperium. Michael Kors, Prada, Burberry, Coccinelle, Mulberry, Longchamp. Wem die Lust danach steht, mehrere Tausend Euro auf einmal auszugeben, der hat hier leichtes Spiel. 2600 Euro von Miu Miu, Fell und Pythonleder? Eine Kundin, die einen Nikab trägt, einen Gesichtsschleier, entscheidet sich für ein anderes Exemplar, rosa, schlicht. Ihr Begleiter, Jogginghose, Umhängetäschchen, steht unbeteiligt daneben. Als die Kundin sich daran macht, die Kreditkartenrechnung zu unterschreiben, linst die Verkäuferin verstohlen in Richtung ihres Sehschlitzes.

Man fährt dann noch etwas weiter hoch, zu den Haushaltswaren, und staunt: über Designtoaster, die aussehen wie Kleinwagen, und Salatschüsseln, auf denen der Name von alten italienischen Sportwagen steht. Zeit zu gehen. Ciao, ihr bunten Planeten, die ihr im Schaufenster einen kleinen Louis-Vuitton-Koffer umschwebt, ciao, Oberpollinger-Universum. Die Wärme aus dem Eingangsgebläse begleitet einen draußen noch etwa fünf Meter. Dann steht man wieder in der Kälte.

4 Euro

Es kann nicht verkehrt sein, sich wieder ein wenig zu erden, und dafür sind die gebrannten Mandeln von Christodoulos Douliouglou genau das Richtige. Douliouglou ist 80, stammt aus dem Nordosten Griechenlands und verkauft seit sieben Jahren in Zucker gehüllte Nüsse: Erdnüsse, Mandeln, Macadamia und Cashews. Mandeln, der Klassiker, kosten vier Euro pro 100 Gramm. Münchner, sagt Douliouglou, kauften bei ihm so gut wie gar nicht ein. All die Anwälte und Ärzte seien ja auch nicht in der Innenstadt unterwegs. 90 Prozent seiner Kunden seien Ausländer. 450 Euro Miete bezahle er pro Woche für seinen Stand an die Stadt, er findet, das ist ziemlich viel, er sagt, das Geschäft lohne sich kaum für ihn, viel weniger als früher. "Ich arbeite vier Tage für die Miete und das Material und zwei Tage für mich." Trotzdem strahlt der Mann mit der Schirmmütze eine heitere Gelassenheit aus. Solange er Lust habe, wolle er weitermachen. "Ich halte mich gesund, Arbeit ist gut und macht Spaß." Außerdem hat er drei Enkelkinder. "Die wollen alle Geschenke."

20 Euro

Auch andere wollen an einem Stand in der Fußgängerzone heiße Ware an den Flaneur oder die Flaneurin bringen, auch sie nutzen Zucker, sie umhüllen ihre Worte damit. 20 Euro sind eine gute Investition ins Seelenheil, wenn man den Leuten Glauben schenkt, die ein Buch mit dem Titel "Dianetik" von L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology, im Angebot haben. Sie haben Albert Einsteins Konterfei auf ein Plakat und auf Flyer gedruckt, zusammen mit folgendem ergoogelten Satz: "Wir nutzen nur zehn Prozent unseres geistigen Potenzials." Er wisse, warum das so sei, sagt der Mann in der dicken Steppjacke. Für 20 Euro lässt er einen an diesem Wissen teilhaben.

Durchs Karlstor, über die Straße, zur weniger hübschen Seite des Innenstadt-Einkaufslandes, zum Karstadt, den der Investor Benko nun ebenfalls gekauft hat, jedenfalls zur Hälfte. Ein Großteil der Milliarde, die der Österreicher investieren will, soll in das Ensemble zwischen Hauptbahnhof und Stachus fließen. Viele freut das, weil dann wohl der nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprechende Anbau von 1971 verschwinden wird. Wann die Bagger auffahren, ist ungewiss, aber früher oder später, wenn die Kartellbehörde nichts einzuwenden hat, wird die Benkoisierung der Innenstadt weitergehen.

Wie wird das dann hier sein? Wird auch hier der Luxus um sich greifen, und wenn ja, werden die Tauben, die jetzt noch keck herumspazieren, dies dann immer noch tun können? Werden Menschen hier noch am helllichten Tag mit Bierflaschen stehen können, und wenn nein, ist das dann gut oder schlecht? Sicher ist eines: An dem Motto, mit dem Karstadt im Schaufenster für seinen Internetauftritt wirbt, wird sich in dieser Welt so schnell nichts ändern. "Shoppen. Immer. Überall." Künftig noch immerer. Und überaller.

110,75 Euro

So viel bekommt man laut der Internetseite goldstube24.de zurzeit für fünf Gramm Zahngold. "Geld gefällig?", fragt auch in der echten Welt, in diesem Fall an der Schützenstraße neben dem Karstadt, ein kreischend gelbes Werbeplakat. Die Gegend um den Hauptbahnhof ist die Gegend der Leihhäuser und Goldankäufer, die Schützenstraße könnte man auch in Zahngoldstraße umbenennen, der Verkaufswillige hat die Wahl zwischen mindestens drei Ankäufern. Schmuck, Altgold, Brillanten, Münzen, Nobel-Uhren und eben auch das Edelmetall aus dem Gebiss kann man hier loswerden, um anschließend wieder brav shoppen gehen zu können. Im Schaufenster steht auch ein Service aus Meissner Porzellan, zwei alte Damen bleiben stehen und schauen. "Mei, schaut das schön aus", sagt die eine, "aber wer will das heute noch? Das will doch keiner mehr von den jungen Leuten." Bei den meisten Ringen, Diamanten, Brillanten steht "Preis auf Anfrage", doch wenn man reingeht in den Laden und etwas anderes anfragt, zum Beispiel wie das Goldgeschäft denn so läuft zurzeit, bekommt man eine knappe Antwort: "Das wüssten viele gern."

100 Euro

Viele wüssten auch gern, wie sich die Benkoisierung auf die Gegend um den Hauptbahnhof auswirken wird, der in den vergangenen Wochen wieder so oft Thema gewesen ist (Drogen und Prostitution - alles noch viel schlimmer als gedacht?). Hier gibt es die Münzhandlung City-Mint, seit fast 40 Jahren schon. 100 Euro kostet das Sammlerset Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2006 mit allen acht Euromünzen. Während um den Bahnhof herum alle über Aufwertung und Luxurisierung reden, spricht der Mann hinter der Ladentheke über den "Niedergang" Deutschlands. Wegen all dem, was da los sei draußen vor seiner Tür: der Schmutz und die Menschen, die ihn verbreiteten. Der Münzhändler, der seinen Namen nicht verraten will, kann im einen Moment wüst schimpfen und im nächsten ausgesucht höflich sein. Wenn aus dem Karstadt noch so ein "Luxustempel" werde wie der Oberpollinger, dann sei das doch Quatsch, sagt er. "Wo ist der Bedarf? München ist nicht die Côte d'Azur, wo die Millionen locker rumliegen." Aber eigentlich, sagt er, ist es ihm persönlich herzlich egal, was die dort planen auf der anderen Straßenseite. "Für mich wird sich nichts ändern, es hat sich noch nie was geändert."

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