Süddeutsche Zeitung

Innenstadt:Die Sendlinger Straße ist jetzt Fußgängerzone

Daran müssen sich alle Verkehrsteilnehmer wohl noch gewöhnen: Kaum ein Passant traut sich auf die Fahrbahn, Autofahrer reagieren erst einmal verdutzt.

Von Alfred Dürr

Die Dame von der städtischen Verkehrsüberwachung hat an diesem Freitagmorgen an der Kreuzung Sendlinger Straße und Herzog-Wilhelm-Straße ihren großen Einsatz. "Halt, hier geht's nicht weiter, das ist eine Fußgängerzone", sagt sie freundlich, aber bestimmt zum Lenker eines Lieferwagens, der in die Sendlinger Straße einbiegen will. Der Mann schaut etwas ungläubig, da ist die Dame schon bei einer Radlerin, die gemütlich in Richtung Marienplatz rollt: "Bitte absteigen, Sie müssen schieben." Fahren ist nämlich nur in der Zeit von 21 Uhr bis neun Uhr erlaubt.

Und das sind nicht die einzigen Gespräche, die sie führen muss. Immer trifft man auf fragende Blicke und ungläubiges Staunen, vor allem bei den Autofahrern. Da hat man seine gewohnten Routen, plötzlich ist alles anders. An der Kreuzung zur Herzog-Wilhelm-Straße herrscht ein wenig Konfusion, aber ohne lautstarke Aufregung.

Seit sechs Uhr in der Früh ist in der Geschichte der Sendlinger Straße ein neues Kapitel aufgeschlagen. Über drei Jahrzehnte diskutierte man darüber, ob man nicht die Autos vollständig aus dieser zentralen Wohn-und Geschäftsstraße im Hackenviertel verbannen kann und damit mehr Platz zum Flanieren schafft. Nun ist es so weit. Die bisherigen Parkplätze entlang der Straße sind leer, kein Auto steht mehr dort, die Fußgänger können sich den Platz erobern. Im April hatte der Stadtrat beschlossen, die gesamte Sendlinger Straße zunächst probeweise für ein Jahr zur Fußgängerzone zu machen.

Nicht jedem gefällt diese Idee. Brigitte Eisenreich, eine resolute ältere Dame, ist seit langem Anwohnerin. Sie steht mitten in der für Auto- und Radfahrer gesperrten Straße und macht ihrem Ärger Luft: "Warum eine Fußgängerzone? Die Gehsteige sind breit genug!" Gestern sei sie noch mal mit dem Auto durch ihre Straße gefahren, "aus Nostalgiegründen". Ein Mann kommt aus seinem Büro. Er sieht die Situation gelassen: "Ein paar Sitzgelegenheiten sollte man aufstellen, da verbringe ich dann gern meine Mittagspause. Das wird bestimmt schön an der ruhigen Straße."

Die Ruhe. Genau das ist es, was die Sendlinger Straße prägt. Kein Lärm von Autos, die sich durch die enge Straße quälen, ist zu vernehmen. Es scheint so, dass die Passanten dieser Ruhe und dem vielen Platz noch gar nicht recht trauen. Denn die Fahrbahn wird kaum zum Gehen genutzt. Die meisten bewegen sich nach wie vor auf den Bürgersteigen, entlang der Geschäfte. Es braucht offensichtlich noch ein wenig Zeit, bis man die neuen Freiheiten nutzt.

"Ach, das wird sich schnell ändern", sagt die Bedienung der Traditionsgaststätte Hackerhaus, "das spielt sich ein, dann freuen sich alle". Wenn man mit Passanten und Ladeninhabern spricht, herrscht diese positive Grundstimmung vor. Die Sendlinger Straße zählt zu den attraktivsten Ecken in der Altstadt, und jetzt macht es aller Voraussicht nach noch ein bisschen mehr Spaß, sich dort aufzuhalten.

Manches ist noch nicht geregelt

Die Anwohnerin Bettina Rexer teilt diesen allgemeinen Optimismus nicht ganz. Als engagierte Sprecherin der Bürgerinitiative Pro Sendlinger Straße hat sie immer wieder ihre Skepsis gegen die Fußgängerzone zum Ausdruck gebracht. Es blieben nach wie vor Fragen offen. "Welche Regelungen gibt es, wenn ich als Anwohner mit einem Leihwagen oder einem Car-Sharing-Auto hier fahren will?", fragt sie. Oder wie sei das mit den Taxen gelöst, die einen gehbehinderten Patienten aus einer Arztpraxis abholen wollen? Darüber gebe es von der Stadt keine Auskunft.

Wie bestellt, fährt gerade ein Taxi in der neuen Fußgängerzone vor eine Arztpraxis, ohne speziellen Einfahrschein. "Das war jetzt gar kein Problem", sagt der Fahrer, "ich darf halt nicht von der Herzog-Wilhelm-Straße aus einbiegen, sondern muss über einen kleinen Umweg von der Hermann-Sack-Straße her kommen, das sollte man wissen". In den ersten Stunden der Testphase schauten die Behörden vielleicht noch nicht so genau hin, aber diese Themen müssten geklärt werden, sagt Bettina Rexer.

Auch ihr fällt, wie so manchen Mitstreitern aus der Anti-Fußgängerzonen-Initiative, der Abschied von der "alten" Sendlinger Straße sichtlich schwer. Am Donnerstag habe sie noch ein paar "romantische Aufnahmen" von der Sendlinger Straße gemacht. Romantisch? Ihre Antwort: "Mir hat die Straße gefallen, so wie sie immer war, ganz normal eben, mit Geschäften und Autos, lebendig." Bei Fußgängerzonen bestehe doch das Problem, dass sie vor allem abends wie tot wirkten - oder etwa nicht? Außerdem wisse man nicht, was noch alles auf die Anwohner zukomme. Mit dem Wechsel zur autofreien Verkehrsfläche ändere sich zum Beispiel der Aufwand für die Straßenreinigung. Die Gebühren würden deutlich steigen.

Flanieren und Bummeln mitten auf der Sendlinger Straße - das ist jedenfalls nun möglich, mit kleinen Einschränkungen allerdings. Eine Woche wird es noch dauern, bis die alten Parkscheinautomaten weg sind und neue Bänke bereit stehen.

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SZ vom 02.07.2016/axi
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