Innenansicht:Mutiges Jein zu Stolpersteinen

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Die Stadt wird keine grundsätzliche Regelung zur Verlegung der Gedenksteine beschließen - und das ist gut so. Denn nur so kann man der Geschichte und den Anliegen der Holocaust-Opfer und ihren Angehörigen gerecht werden

Von Martin Bernstein

Eiertanz statt klarer Aussagen, aussitzen statt entscheiden: Der Politik wird das ja gern vorgeworfen. Münchens Stadträte tun genau das wieder einmal. Sie zögern, sie reden, sie verschieben - und wenn nicht alles täuscht, könnte am Ende ein klares Jein stehen. Und das ist gut so, zumindest in diesem speziellen Fall. Denn es geht um die seit elf Jahren umstrittene Antwort auf die Frage: Soll es in München künftig erlaubt sein, Stolpersteine zum Gedenken an die NS-Opfer zu verlegen?

Im Dezember, als Gegner und Befürworter des Projekts ihre Argumente vortrugen, haben die Stadträte aufmerksam zugehört - und auch das Kulturreferat. Das hat jetzt einen Lösungsvorschlag erarbeitet, der das äußerst emotionale Hearing in ein Regelwerk gießt, das vielen Argumenten der Befürworter ebenso gerecht wird wie den meisten Bedenken der Gegner. Ablehnen werden den Entwurf diejenigen, die denken, Stolpersteine müssten grundsätzlich verboten bleiben - oder grundsätzlich erlaubt sein. Kritiker werden sagen, dass an die Stelle einer Grundsatzentscheidung endlose Debatten über jeden einzelnen Stolperstein treten werden, und werden den Stadträten Mutlosigkeit vorwerfen.

Alle anderen werden womöglich erkennen, dass Grundsatzentscheidungen dort nicht möglich sind, wo es nicht um Grundsätze geht, sondern um Menschen und ihre individuellen Schicksale. Wer will die Gedanken und Gefühle einer Charlotte Knobloch und eines Peter Jordan gegeneinander aufwiegen: Knoblochs Abscheu davor, der braune Mob könnte seine Springerstiefel an den Namensplaketten ermordeter Juden abwischen - und Jordans sehnlichen Wunsch, seine deportierten, ermordeten Eltern mögen mit ihren Namen wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren?

Das Jein der Stadträte wird in diesem Fall kein fauler Kompromiss sein. Sondern ein mutiges Bekenntnis: dazu nämlich, dass es bei der Erinnerung an den Nazi-Terror und dem Gedenken an die Opfer keinen Schlussstrich geben kann. Auch keinen gut gemeinten. Mit Stolpersteinen darf keinesfalls der Weg zur bequemen Vergangenheitsbewältigung gepflastert werden. Wenn die Angehörigen das letzte Wort haben oder in den vielen Fällen, in denen niemand den NS-Terror überlebt hat, der Beirat, den die Stadt berufen will: Dann werden Hunderte, vielleicht Tausende vergessene Schicksale öffentlich. Sie werden viele Fragen aufwerfen. Fragen, die manchmal nicht zu beantworten und nicht auszuhalten sind. Und dann, aber auch nur dann, haben die Stolpersteine als eine mögliche Form des Gedenkens ihre Berechtigung. Weil nur dann niemand einfach über sie hinweggehen kann.

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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