Individualismus:Die alternative Szene in München will vor allem eines sein: anders

Zenith âē Kesselhaus riesiger Hallenflohmarkt mit 500 Ausstellern, Nachtflohmarkt

Nachtflohmärkte sind bei den Münchnern sehr beliebt, da lässt sich nicht nur etwas Ungewöhnliches für die Wohnungseinrichtung finden.

(Foto: Florian Peljak)
  • Immer mehr junge Münchner stören sich an dem Bild von der glatt gebügelten Stadt.
  • In den vergangenen Jahren hat sich eine rührige alternative Szene gebildet.
  • Die sozialen Medien sind eine wichtige Plattform für die neuen Alternativen.

Von Franziska Gerlach

München ruft ja gerne mal hier, wenn es ein Klischee zu erfüllen gilt. Da ist im Laufe der Zeit einiges zusammen gekommen. München, das ist die Stadt des Schickimicki und der Bussi-Bussi-Gesellschaft. Wer das so sieht, für den ist München meist auch die Stadt, die aus dem anhaltend beliebten Vergleich mit Berlin seit Jahren als verschnarchtes Nest hervorgeht. In München, da wird vielleicht Kohle gescheffelt, die Szene tobt woanders. Ganz böse Zungen sagen sogar, dass ein Trend vorbei ist, wenn er die bayerische Landeshauptstadt erreicht hat.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Und wie das nun einmal so ist mit Klischees, stimmt einiges sogar. Aber eben nicht alles. Im Gegenteil: Immer mehr junge Münchner stören sich an dem Bild von der glatt gebügelten Stadt. Matthias Schwab hat deshalb mit Freunden "München Mal Anders" gegründet, auf Facebook gefällt das mehr als 15 000 Personen. Künstler oder Jungunternehmer mit unkonventionellen Geschäftsideen können sich dort ein kurzes Profil anlegen, aber auch Kneipen, Clubs und Kulturveranstaltungen stellen die Macher vor.

"Man kann in München auch abseits der Schickeria Spaß haben", sagt Schwab, "man muss hier halt nur ein bisschen suchen." Damit das einfacher geht, hat sich aber nicht nur er eine Orientierungshilfe ausgedacht: Das Team von "München geht raus" verschickt einen täglichen Veranstaltungsnewsletter, auf untypischmuc.de tragen vier Journalismusstudentinnen der Akademie Mode & Design (AMD) seit einigen Monaten Gastrotipps zusammen.

Wer sich auf den Internetseiten umsieht, deren Macher München zu einer Imagekorrektur verhelfen wollen, merkt schnell: Das Wort "alternativ" hat nichts mehr damit zu tun, Frischkornmüsli zu frühstücken oder sich im Batik-T-Shirt an einen Baum zu ketten, um diesen vor der Axt zu bewahren. Heute werden Bäume im Ringelmuster bestrickt. Und wer seinen Unmut los werden möchte, der erledigt das mit ein paar Klicks im Internet. Die Lust am Krawall gegen das Establishment, die als gesellschaftskritischer Impetus die Sechziger- und Siebzigerjahre prägte, ist einer Abneigung gegen den Mainstream gewichen, gegen den Geschmack der Masse.

Manche versuchen sogar cool zu wirken, indem sie sich bewusst uncool geben. "Die alten Konsummuster haben sich abgenutzt", sagt Christian Rauch, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts. Da sei die Suche nach Alternativen die logische Konsequenz. Der Trendforscher sieht darin aber nicht nur den Wunsch nach Abgrenzung, sondern auch den Versuch, sich selbst zu verwirklichen und an einer neuen Form von Kreativität und Individualität teilzuhaben.

Alternativer Lebensstil kann kostspielig sein

Anders als früher darf ein alternativer Lebensstil inzwischen ruhig etwas kosten. "Ich finde es wichtig, auf gute Qualität und Nachhaltigkeit zu achten", sagt Lisa Spanner von untypischmuc.de; egal, ob es sich dabei um Kleidung, Essen oder Kulturangebote handele. Mit dieser Ansicht ist sie kein Einzelfall. Wer in München das Alternative dem Mainstream vorzieht, der meidet Kinokomplexe mit ihren Popcorn-Softdrinks-Menüs, der weiß um die schlechten Produktionsbedingungen der Modeketten an der Kaufingerstraße, kauft je nach Kontostand schon mal im Bioladen statt im Supermarkt ein und würde wahrscheinlich niemals ins P1 gehen. Sondern dorthin, wo er das Besondere vermutet. Das Andere.

Das kleine Café mit den selbst gebackenen Zimtschnecken oder die Boutique mit der von Münchner Labels fair produzierten Mode werden zu Lieblingsläden. Weil es sich aber offenbar sehr viel lässiger anfühlt, einen Burrito in einer diffus beleuchteten Halle zu verputzen als Schweinefleisch süß-sauer beim Chinesen zu bestellen, liefen die Münchner auf der Suche nach dem Besonderen zuletzt in Scharen auf Streetfood-, Design- oder Nachtflohmärkte. Dass man dafür meist Eintritt bezahlt und es dann doch nicht so individuell und besonders ist, wenn einem in Gedränge der Burrito aus der Hand fällt, wird ohne Murren hingenommen.

Bedarf an alternativem Lebensgefühl

Die Kommerzialisierung des Alternativen ist gesellschaftsfähig geworden. Trendforscher Rauch will diese Entwicklung nicht verteufeln. Der Bedarf bestehe nun einmal. Und dass alternatives Lebensgefühl heutzutage professionell aufbereitet werde, so sagt er, sei im Übrigen ein Phänomen, das alle deutschen Großstädte erreicht habe. Nicht nur München.

Es ist aber ein Phänomen, das sich in München gut beobachten lässt. Denn hier ist Raum nicht nur ein rares, sondern auch ein ausgesprochen kostspieliges Gut. Subkultur, wenn man dieses sperrige Wort denn bemühen möchte, kann sich meist nur in ausgedienten Fabriken am Stadtrand entfalten. Da wundert es nicht, dass die Münchner für ein bisschen alternative und einigermaßen zentral gelegene Lässigkeit gerne in die Tasche greifen, wie etwa im Viehhof-Kino.

Dessen Betreiber musste sich schon dafür kritisieren lassen, für das Open-Air-Kino neun Euro Eintritt zu erheben. Doch nicht nur für die Technik fielen hohe Kosten an, teilt der Veranstalter mit; auch die Platzmiete, das Personal und der Strom schlagen als Posten zu Buche. Pro Vorstellung gehen 35 bis 40 Prozent der Einnahmen an den Filmverleiher. Als Veranstalter eines Freilichtkinos trage man außerdem das Risiko schlechten Wetters.

Es lässt sich streiten über die Frage, ob ein Freizeitprogramm mit alternativem Anstrich zwangsläufig preiswert sein muss - oder ob man daraus genauso Profit schlagen darf wie Veranstalter herkömmlicher Angebote. Vermeiden wird man es kaum. Andererseits gibt es in München auch etliche Orte, an denen das Alternative unkommerziell gelebt wird. Die Bewohner der Wagenburg Stattpark Olga organisieren im sogenannten Platzcafé Lesungen oder Konzerte auf Spendenbasis.

Auch in der mit städtischen Mitteln geförderten Glockenbachwerkstatt wird bei Konzerten allenfalls ein Hut herumgereicht, außerdem finden hier Schnibbelpartys statt, bei denen optisch von der Norm abweichende Lebensmittel verwertet werden, in der Facebook-Gruppe "Verschenk's" vermachen sich die Münchner gegenseitig Schuhe, Betten oder Kochtöpfe.

Reiseführer auf alternativen Wegen

Und dann gibt es noch Menschen wie den 28 Jahre alten Fabian Lieke, die sich die Mühe gemacht haben, all das aufzuschreiben. "Alternativ unterwegs in München", heißt der Stadtführer, den er gemeinsam mit einer Gruppe an ehrenamtlichen Redakteuren herausgegeben hat. Es ist ein gesellschaftspolitisch motiviertes Buch, in dem Flüchtlinge zu Wort kommen, die Autoren stellen soziale und ökologische Projekte vor, selbst der Schwabinger Krawalle wird gedacht. "In München tut sich sehr viel", sagt Lieke, "das wird oft unterschätzt."

Und wer sich durch die 336 Seiten geblättert hat, der versteht: München ist ein teures Pflaster - an diesem Klischee ist ohne Zweifel etwas dran. Doch wenn man die eingetretenen Pfade einmal verlässt, wird das Leben vielleicht nicht nur erschwinglicher. Es wird auch abwechslungsreicher. Und bunter.

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