Immobilien:Die Rendite der einen, die Krise der anderen

MÜNCHEN: SZ-Veranstaltung NACHT DER AUTOREN im Künstlerhaus am Lenbachplatz

Die Stadt stehe vor einem Dilemma, warnt SZ-Reporterin Lea Kramer, sie brauche nicht nur mehr Wohnungen, sondern auch mehr Grünflächen.

(Foto: Johannes Simon)

SZ-Redakteure debattieren bei der "Nacht der Autorinnen und Autoren" mit Lesern über den Immobilienmarkt

Von Jakob Wetzel

Was die heftigsten Auswüchse des Münchner Immobilienmarktes waren, die sie erlebt habe? Lea Kramer überlegt nicht lange. Zum Beispiel die Häuser an der Türkenstraße Ecke Schellingstraße, Maxvorstadt, sagt die Reporterin der Süddeutschen Zeitung. Gleich mehrere Häuser seien dort entmietet worden, eines abgerissen. Die Nachbarn lebten seit Jahren neben einer Baugrube. Doch die Bodenpreise seien dort in den jüngsten acht Jahren um mehr als 140 Prozent gestiegen, sagt Kramer. "Es hat sich gelohnt, das als Brache liegenzulassen."

Ein weiteres Beispiel: das Haus an der Agnesstraße 48, Schwabing-West. SZ-Redakteur Sebastian Krass berichtet davon. 15 Wohnungen, alle entmietet. Das Gebäude steht seit zwei Jahren leer. Neulich wollte es der Eigentümer für 35 Millionen Euro verkaufen, der Vertrag war unterschrieben. Da zog die Stadt ihr Vorkaufsrecht und zahlte den von ihr ermittelten Marktwert - und der lag bei 22 Millionen Euro, also um mehr als ein Drittel niedriger.

Kramer und Krass sitzen am Samstag auf der Bühne im Festsaal des Künstlerhauses am Münchner Lenbachplatz. Die SZ hat zur "Nacht der Autorinnen und Autoren" geladen. Und die zwei Journalisten diskutieren über ein Geschäft, das längst zur Krise geworden ist. Nicht für Investoren: Im Jahr 2020 sind im Münchner Immobilienmarkt 13,9 Milliarden Euro umgesetzt worden; 2004 waren es noch fünf Milliarden gewesen. Alleine von 2019 auf 2020 ist der Preis für neu gebaute Eigentumswohnungen um durchschnittlich 6,9 Prozent gestiegen, der von Wohnungen im Bestand gar um neun Prozent. Doch die Rendite der einen ist die Krise der anderen. Sie trifft diejenigen, die eine Bleibe suchen. In der Stadt entstehen zwar neue Wohnungen, binnen zehn Jahren ist deren Zahl um acht Prozent gestiegen. Doch die Bevölkerungszahl ist im selben Zeitraum um 13 Prozent angewachsen. Die Lage spitzt sich zu, immer weiter und weiter.

Was nun? Die Frage stellt sich nicht nur auf dem Münchner Wohnungsmarkt. An den vergangenen Abenden haben Journalistinnen und Journalisten der SZ mit Leserinnen und Lesern auch zum Beispiel über die Bundestagswahl debattiert, über Auswege aus der Corona-Pandemie und die Probleme von Familien. Sie haben darüber diskutiert, wie sich Links- und Rechtsextremisten radikalisieren, über die Bedrohung durch Cyber-Kriminalität, über die missliche Lage der Kulturbranche und darüber, ob das Klima auf der Erde eigentlich noch zu retten ist.

Die "Nacht der Autorinnen und Autoren" hat Tradition: Sie ist 2021 bereits ins 15. Jahr gegangen. Zu Beginn lud die SZ ihre Leserinnen und Leser dazu in Gaststätten und besondere Säle der Stadt ein. 2020 machte dies die Pandemie unmöglich: Debattiert werden konnte nur online, aus der Distanz. Auch jetzt fanden die meisten Diskussionen nur digital statt. Doch am Samstag - am ersten Wochenende, an dem auch die Clubs in der Stadt wieder öffnen durften - ist auch die "Nacht der Autorinnen und Autoren" einen vorsichtigen Schritt zurück zur Normalität gegangen.

Im Festsaal des Künstlerhauses sind locker Stühle platziert. Darauf sitzen am späten Abend etwa 50 Geimpfte, Getestete, Genese. Andere sehen online zu, auch manche Autoren sind über eine Leinwand zugeschaltet. Doch vor Ort diskutiert es sich besser. Und die Lust am Diskutieren ist den Lesern nicht vergangen. Besonders, wenn es um den Münchner Wohnungsmarkt geht.

Vielleicht könne die Stadt Grundstücke nur noch an Leute vergeben, die noch kein Grundstück besitzen, schlägt ein Leser im Künstlerhaus vor. Die Erbschaftssteuer sei ein Problem, sie zwinge Erben, Häuser an Investoren zu verkaufen, klagt eine Frau. Und immer wieder kommt eine Frage auf: Wann ist die Stadt voll? Müssen wir akzeptieren, dass man nicht genug Wohnraum schaffen kann? Die Frage kommt online herein, Moderator Ulrich Schäfer, stellvertretender SZ-Chefredakteur, liest sie vor.

Das sei schwer zu beantworten, entgegnen die SZ-Reporter. "Wir können keine Zugbrücke hochziehen", sagt Krass. "Und das ist auch ein Stadtverständnis, das ich nicht teilen wollen würde." Doch was kann die Stadt tun? Mit ihrem Vorkaufsrecht bewirke sie nicht viel, meint Krass. Auch bei den gerne geschmähten Luxuswohnungen gehe es letztlich um geringe Fallzahlen. Und München stehe vor einem Dilemma, warnt Kramer: Die Stadt brauche nicht nur zusätzliche Wohnungen, sondern auch mehr Grünflächen, um sich an das sich wandelnde Klima anzupassen.

Am Ende des Abends bleibt viel zu diskutieren. Die "Nacht der Autorinnen und Autoren" soll 2022 wiederkehren. Und dann, so Moderator Schäfer, "hoffentlich wieder im gewohnten Rahmen, in vielen Locations in München".

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