25 Jahre Immling Festival:"Nächstes Jahr wagen wir es mal wieder, mutig zu sein"

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Auf dem Grünen Hügel von Immling lässt sich entspannt auf den Beginn von Opern und Konzerten warten. Das Opernhaus freilich ähnelt noch immer der Reithalle, die es ursprünglich war.

(Foto: Verena von Kerssenbrock)

Ein Gespräch mit dem Intendanten Ludwig Baumann und der musikalischen Leiterin Cornelia von Kerssenbrock über finanzielle Engpässe, den Zwang zum Mainstream und die Notwendigkeit von Jugendarbeit.

Von Sabine Reithmaier, Immling

Auf Immlings Grünem Hügel begegnet man erst Pfauen, Hühnern, Eseln und Pferden. Das Gut im Chiemgau unweit von Bad Endorf ist nicht nur ein berühmter Festspielort, sondern auch ein Tierschutzhof. Intendant Ludwig Baumann und die musikalische Leiterin und seine Ehefrau Cornelia von Kerssenbrock sitzen vor dem Opernhaus, das immer noch mehr einer Reithalle ähnelt. Nach 25 Jahren als Intendant des Immling Festivals hat der ehemalige Opernsänger anscheinend auch das Wetter im Griff. Das Gewitter, das als schwarzblaue Front den Himmel über dem Chiemgau zusehends verdunkelt, wartet bis zum Ende des Gesprächs. Dann allerdings bricht es in aller Härte los und verwandelt binnen fünf Minuten das blühende Immling in eine zerrupfte, weiße Hagellandschaft. Abends fällt die zweite Aufführung von "Best of Musical" aus, weil auf dem Rettungsweg eine große Eiche liegt und eine Brücke zerstört ist.

SZ: Wie läuft die Saison?

Ludwig Baumann: Den Umständen entsprechend gut. Eigentlich ist es eine Horrorsaison, wenn ich daran denke, wie oft wir Künstler entlassen und später wiedereingestellt haben oder gleich andere engagieren mussten, weil sie ihre Länder nicht verlassen konnten.

Cornelia von Kerssenbrock: Die Premiere von "Madama Butterfly" musste ich noch mit Maske dirigieren vor 200 statt der üblichen 760 Zuschauer. Inzwischen dürfen immerhin knapp über 300 in die Halle.

Baumann: Operation gelungen, Patient tot - so könnten wir es auch formulieren. Wir haben nur ein Drittel der Einnahmen, die Ausgaben sind gleichgeblieben. Aber wir wollen nicht jammern, sondern lieber unsere treuen Sponsoren loben. Manche haben sogar ihre Zuwendung erhöht, um uns zu helfen.

Kerssenbrock: Und wir sind es gewohnt, unter schwierigen finanziellen Verhältnissen zu arbeiten.

Baumann: Schon seit 25 Jahren.

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Intendant Ludwig Baumann und die musikalische Leiterin Cornelia von Kerssenbrock.

(Foto: Nicole Richter)

Stimmt es, dass Sie 1997 gar nicht vorhatten, Festspiele zu starten?

Baumann: Keine Sekunde habe ich daran gedacht. Ich hatte hier zunächst nur eine Reithalle gebaut, wollte Turniere veranstalten. Aber dann stürzte ich während einer Vorstellung von Verdis "Maskenball" in der Semperoper von der Bühne und lag eineinhalb Jahre im Krankenhaus. Als es mir endlich besser ging, hatte ich das Gefühl, ich müsse unbedingt etwas auf die Beine stellen, und beschloss, mit den Gesangsvereinen aus der Gegend Mozarts "Zauberflöte" zu inszenieren: auf einem Baggersee nahe bei Immling. Die Bundeswehr hat mir eine 20 Meter große Bühne in den Weiher reingebaut.

Einfach so?

Baumann: Natürlich. Jeder Darsteller hatte sein eigenes Schiff, Sarastro ein Segelschiff, die drei Knaben Tretboote, Papageno kam mit einem total verhauten Ruderboot, Tamino im Kajak und die Königin der Nacht stand in einer Silberplätte. Zum Singen dockten sie an der Bühne an. Ein richtig tolles Spektakel.

Das auch in Pandemie-Zeiten gut funktionieren würde. Aber irgendwie klingen Sie so, als hätte es nicht geklappt.

Baumann: Na ja, es regnete sechs Wochen lang. Die Chordamen saßen bis zu den Knien im Wasser. Also zogen wir um in die Reithalle und spielten dort. Fünfmal, immer ausverkauft. Nur am letzten Spieltag kam die Sonne, wir bauten alles am Spätnachmittag nochmal am See auf. Und wurden von 3500 Leuten überrollt. Weil es so schön war, fanden Freunde, ich sollte nochmal etwas machen. Habe ich auch getan. Und Jahr für Jahr hat sich das Ganze dann vergrößert.

Das hört sich nicht so an, als hätte man Sie sehr überreden müssen, Veranstalter zu werden?

Baumann: Als Sänger ging es nicht mehr. Ich habe zwar ein Comeback versucht, aber ich konnte nicht mehr lang genug schmerzfrei auf der Bühne stehen. Inzwischen bin ich gern Veranstalter.

Immer?

Baumann: Meistens. Es bleibt schwierig, ein Opernfestival auf die Beine zu stellen, wenn man nicht genügend Geld hat. Orchester verschlingen zum Beispiel viel Geld.

Kerssenbrock: Immerhin haben wir seit zehn Jahren ein eigenes Festspielorchester.

Baumann: Teuer ist auch der Brandschutz. Wir bauen seit Jahren, um alle Bedingungen zu erfüllen. Da kann man gelegentlich verzweifeln - auch ohne Corona.

Wie viele Millionen haben Sie hier investiert?

Baumann: Einige. Die Reithalle ist ein richtiges Opernhaus geworden, hat einen festen Boden und modernste Technik mit Klimaanlage und Beleuchtung.

Wie hoch ist Ihr Etat?

Baumann: Mehr als drei Millionen Euro, davon spielen wir derzeit ungefähr zwei Fünftel selbst ein.

Und wie viele Menschen arbeiten hier?

Baumann: Von Mai bis Ende August dürften es um die 250 Leute sein einschließlich der Künstler. 50 davon sind fest angestellt.

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Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock und das Festivalorchester bei der alljährlichen Schlussveranstaltung des Immling-Festivals, dem Finale Grande.

(Foto: Archiv Immling Festival)

Wann, Frau Kerssenbrock, stießen Sie dazu?

Kerssenbrock: 2002 auf Empfehlung des Babynahrungsherstellers und Bühnenbildners Claus Hipp. Ich bewarb mich gemeinsam mit meiner Schwester, der Regisseurin Verena Kerssenbrock. Ludwig wollte in dem Jahr "Die lustigen Weiber von Windsor" machen und fand, da würden wir gut passen. Dann hat er mich wieder und wieder engagiert.

Don Giovanni, Othello, Fidelio, Aida, Carmen - das sind nur einige Opern, die in den 25 Jahren aufgeführt wurden. Nach welchen Kriterien wählen Sie ihr Programm aus?

Kerssenbrock: Ein bisschen nach der Hitliste. Jedes Mal, wenn wir es gewagt haben, eine unbekanntere Oper zu spielen, hatten wir ein Publikums- und hinterher ein Finanzierungsproblem, zum Beispiel bei der "Sizilianischen Vesper" von Verdi. Die Auslastung ist bei unbekannteren Werken geringer. Aber nächstes Jahr wagen wir es mal wieder ...

Baumann: ... mutig zu sein. Wir spielen den "Falstaff" von Verdi, sein letztes und seiner Ansicht nach bestes Bühnenwerk.

Hört sich so an, als würden Sie das bezweifeln.

Baumann: Vom Musikalischen her bestimmt nicht, auch der Shakespearestoff dazu ist toll. Es ist halt eine komische Oper. Ich mag lustig nicht so gern. Verrückt ja, aber lustig eher nicht.

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Eine Aufnahme aus der aktuellen Immling-Inszenierung: "Madama Butterfly" (Yana Kleyn) mit ihrem Kind (Lisa Linnemann).

(Foto: Nicole Richter)

Gibt es eine Inszenierung, an die Sie sich besonders gern erinnern?

Kerssenbrock: Am meisten berührt mich das, womit ich mich gerade intensiv befasse, derzeit also "Madama Butterfly". Aber ein besonderes Highlight war auch Puccinis "Turandot" im Jahr 2019. Jahrelang haben wir uns vorgenommen, die Oper zu machen, haben aber die Umsetzung x-mal verschoben, weil sie von der Größenordnung eine Riesenherausforderung ist. So etwas zu stemmen, ist schwierig für uns. Aber wir haben es gut hingekriegt.

Baumann: Was mich betrifft, war ich früher als Sänger nie ein großer Freund von Barockopern, ich bin eher der Verdi-, Wagner-, Puccini-Freund. Als Regisseur und Bühnenbildner liebe ich das Barocke inzwischen aber am allermeisten.

Kerssenbrock: Zum Barock habe ich dich gebracht, vielleicht auch wegen meiner musikalischen Mixtur. Ich gehe Barockmusik vom Rhythmus her an, habe schon vor Jahren - also noch bevor es jeder machte - angefangen, Barock mit Techno zu verbinden, später dann mit Jazz und Rock. Das funktioniert super und kommt gut an.

Baumann: Ich kann mich in diesen Opern austoben und die irrsinnigsten Gedanken umsetzen oder die Handlung in andere Zeiten verlegen, auch ins Heute. Nächstes Jahr machen wir übrigens Vivaldis "La verità in cimento".

Die Opern sind nicht das Einzige, das die Festspiele auszeichnet. Sie veranstalten Gesangswettbewerbe, es gibt diverse hauseigene Chöre, darunter einen Kinder-Festivalchor, der ein eigenes Stück aufführt.

Kerssenbrock: Heuer steht die Akademie-Produktion "Karneval der Tiere und Peter und der Wolf" auf dem Programm.

Baumann: Für unsere Zukunft ist es wichtig, junge Leute in die Oper zu kriegen. Aber das Patentrezept dafür haben wir noch nicht gefunden.

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Den Musical-Chor gibt es in Immling seit 2015. Als erstes Stück entschieden die Jugendlichen damals, "Mamma Mia" aufzuführen und brachten den Intendanten Ludwig Baumann damit ganz schön ins Schwitzen.

(Foto: Archiv Immling Festival)

Die Chorarbeit mit den Kindern bieten Sie kostenfrei und ganzjährig an?

Baumann: Ja. Die Kinder kommen alle aus der Umgebung. Seit 2015 haben wir auch einen Musicalchor. Damals hatten wir Jugendliche, die zu alt für den Kinder-, zu jung für den Erwachsenenchor waren. Mit ihnen beschlossen wir, ein Musical aufzuführen. Das war dann "Mamma mia".

Das Musical, das Songs der schwedischen Popgruppe "ABBA" verwendet?

Baumann: Ich kannte keinen einzigen Titel.

Kerssenbrock: Er war ganz verzweifelt, die Jugendlichen kannten jeden Ton. Aber daraus hat sich der Musicalchor entwickelt, der sehr selbständig mit einem eigenen Leiter alljährlich ein Musical erarbeitet.

Baumann: Es ist toll zu sehen, was sich dadurch für ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt hat.

Kerssenbrock: Das gilt auch für die Kinderkulturwoche, mit der das Festival in Nicht-Pandemie-Zeiten endet. Binnen sieben Tagen erarbeiten die 100 Kinder ein Stück, gestalten das Bühnenbild, basteln ihre Kostüme, lernen innerhalb weniger Tage große Rollen. Die Eltern sind oft sprachlos, wenn sie das Ergebnis sehen.

Gehen die jungen Teilnehmer später öfter in eine Oper?

Baumann: Das ist immer noch eine Bildungsfrage, da ist das Elternhaus entscheidend, die Zweiklassengesellschaft ist unübersehbar.

Kerssenbrock: Trotzdem ist es komplett unverständlich, warum Musik bei uns in der Erziehung so eine untergeordnete Rolle spielt. Wir brauchen schon eine prinzipielle Einstellungsänderung in der Gesellschaft, die grundsätzliche Erkenntnis, dass uns Kultur bereichert und weiterentwickelt. Musik darf nicht als nebensächlicher Luxusartikel abgehakt werden.

Sie machen sich um die Zukunft des Festivals aber keine Sorgen?

Baumann: Ich bin guter Dinge, Corona wird auch mal vorbei sein.

Kerssenbrock: Die Ideen für Opern gehen uns sicher nicht aus.

Baumann: Nächstes Jahr werden wir frech und mutig sein und nicht Mainstream spielen. Ich würde gern immer noch mehr machen, aber meine Frau sagt, das bringen wir nicht unter.

Kerssenbrock: Um deine Ideen zu verwirklichen, müssten wir jede Saison fünf oder sechs Opern spielen. Allein vom Zeitplan her wäre das nicht möglich.

Baumann: Sie sehen, meine Frau ist die treibende Kraft.

Kerssenbrock: Ja, aber nur beim Urlaub. Unser Antreiber bist schon du.

Baumann: Was dadad i, wenn i koa Arbat hätt'. Aber im Ernst: Ich habe mein Leben lang Dinge gemacht, die mir Spaß machen, und ich behaupte, noch nie wirklich gearbeitet zu haben. Wichtig ist, flexibel zu sein. Aber das sind wir hier in Immling alle.

Immling Festival bis 29.8., www.immling.de

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