Immer mehr Kinos schließen:Stirb langsam 3

Erst "Tivoli", dann "Filmcasino", nun das "Atlantis": Innerhalb eines Jahres haben in München drei der kleineren Filmtheater geschlossen. Doch die Stadt, die einst so stolz auf deren Vielfalt war, trauert nur still - und geht dafür ins Multiplex-Kino.

Anne Goebel

Nostalgie kann schnell in Masochismus umschlagen, und gerade das Kino liebt ja Geschichten, die übervoll sind von Emotionen, Melodrama. Wenn man also davon ausgeht, dass die Münchner Filmtheatergemeinde gerade so richtig malad ist, weil schon wieder ein Kino dichtmacht, lässt sich die Pein auf kinderleichte Weise verstärken.

Immer mehr Kinos schließen: Noch bis März laufen im "Atlantis"-Kino Filme, dann ist Schluss. Wieder macht ein kleines, feines Programmkino dicht.

Noch bis März laufen im "Atlantis"-Kino Filme, dann ist Schluss. Wieder macht ein kleines, feines Programmkino dicht.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Traurige Nachricht, dass nun auch die Tage im "Atlantis" an der Schwanthalerstraße gezählt sind? Kein Christoph Waltz mehr auf Amerikanisch mit seiner kalt schmeichelnden Stimme in der Originalfassung von "Gott des Gemetzels"?

Das hier tut noch mehr weh: Unter www.filmtheatersendlingertor.de haben die Kinobetreiber Fritz und Christoph Preßmar eine opulente Leichenschau eingerichtet. Bis vor einem Jahr gehörte auch das "Tivoli" zum Familienbetrieb. Ein Palast aus den Fünfzigern, geschwungene Treppe, holzvertäfelt, am 16. Januar 2011 lief die letzte Vorstellung.

Bis heute fällt es den Preßmars und den treuesten Fans schwer loszulassen. In Fotostrecken und Artikeln über Premieren mit Romy Schneider oder Giulietta Masina wird auf der Homepage schmerzhaft vor Augen geführt, was für ein Prunkstück München da hat sterben lassen.

Nicht, dass es keinen Widerstand gegeben hätte. Über Facebook sollten Großproteste organisiert werden, wozu es nicht kam, dafür wurde der neue Mieter in der Neuhauser Straße 3 mit Häme überschüttet. Parfümeriekette lässt ehrwürdigen Filmpalast verduften, das war ein gefundenes Fressen, aber genutzt hat es nichts.

Es gab auch keinen bösen Vermieter, auf den man sich hätte stürzen können. Das Haus an der Fußgängerzone gehört der Familie Preßmar selbst, und gerade diese Konstellation zeigt das Dilemma der Betreiber von Traditionskinos. Sie sind Hüter einer Art lokalen Kulturguts, das keine banale Abspielstätte ist, sondern für viele Menschen ein emotionaler Ort. Gleichzeitig sind sie Unternehmer, die kaufmännisch denken müssen.

Und in dieser Rechnung ist beispielsweise Preßmars Filmtheater am Sendlinger Tor ein riskanter Posten: Großes Kino, hohe Betriebskosten - aber nur ein Saal. Wer da die falsche Ware einkauft und vor leeren Reihen spielt, hat am Ende wenig Geld in der Kasse.

Als doppeltes Vabanquespiel ging es wohl nicht mehr, inzwischen lindern die Pachtzahlungen für das Ex-Tivoli das Risiko - wenn man so will, leistet der ungeliebte Großparfümeur indirekt einen Beitrag zum kulturellen Gedächtnis der Münchner. Und wenn, wie jüngst am Erstspieltag der französischen Erfolgskomödie "Ziemlich beste Freunde", die Zuschauer am Ende spontan applaudieren auf ihren Samtsesseln, fängt für den Cineasten und den Kinomacher das Jahr gut an.

Im "Atlantis", bekannt als Spezialist für Originalfassungen mit Untertiteln, begann 2012 mit dem angekündigten Ende. Dass die Besucherzahlen, vor allem an jüngerem Publikum, stark nachließen, lässt die sporadische Nutzung als Konzertsaal seit einigen Jahren vermuten. Auch beim zweiten großen Schlag im Kinotrauer-Jahr 2011, als nach dem Tivoli im Sommer das glorreiche "Filmcasino" am Odeonsplatz schloss, traf das vor allem einen schon deutlich angesilberten Stammkundenkreis ab 50 aufwärts.

Immerhin ein Kino entzieht sich dem Kommerz

Ihre Entscheidung, in welchem Kino Münchens Sie einen bestimmten Film sehen wollen, entscheidet über das wirtschaftliche Überleben der individuellen Einzelkinos": Das "Wort in eigener Sache" auf der Homepage des Sendlinger- Tor-Filmtheaters fasst die Situation treffend zusammen, und Bruno Börger vom "Atlantis" übertreibt wohl kaum mit seinem Hinweis, dass man sich langsam Sorgen machen müsse: Vier Leinwände gingen innerhalb von 12 Monaten verloren in einer Stadt, die auf die Vielfalt der Einzelkinos immer stolz war.

Die Zahl der Säle setzt sich hier nicht zusammen aus einer Handvoll Großpaläste, bisher zumindest. Dass bei drohenden Schließungen breite Proteste, irgendwie fantasievolle Rettungsaktionen ausbleiben, mag mit der kulturellen Übersättigung in München zu tun haben. Unter der Hand hört man manche Kinobetreiber schimpfen, nicht einer der schillernden Vertreter der Filmstadt München mit ihren Studios, Produzenten, Regisseuren, Schauspielstars habe sich mal herabgelassen, seine Prominenz einzusetzen zur Rettung eines ehrwürdigen Kinos.

Was die Stadt betrifft, so ist das Bedauern groß nach dem Bekanntwerden von Trauerfall Nummer vier innerhalb eines Jahres. "Jedes geschlossene Filmkunsttheater ist mehr als nur der Verlust eines Kinos. Es ist auch der Verlust eines Identifikationsortes und eines kulturellen Treffpunktes - auch im Stadtviertel", heißt es in einer Stellungnahme des Kulturreferenten. Er habe "leider nur äußerst bedingt" Einfluss auf die Lage der Lichtspielhäuser, so Hans-Georg Küppers.

Mit den jährlich vergebenen Programmförderpreisen bessert die Stadt die Finanzen ambitionierter Kinos auf - davon haben zum Beispiel Christian Pfeil und Markus Eisele profitiert, zwei junge Engagierte, die nach beschlossenem Abriss ihres Quartiers an der Münchner Freiheit mit dem "Monopol" den Neuanfang im Kinobrachland beim Nordbad wagten. Auch als das Filmcasino auf der Kippe stand, mischte sich die Stadt ein, mit einem Brief von Oberbürgermeister Christian Ude an den filmüberdrüssigen Vermieter. Genutzt hat es nichts, Mietverhältnisse sind Privatsache.

Wer öffentliche Mitteln für Filmkunsthäuser fordert, so wie ja auch die Theater mit Steuergeld am Leben gehalten werden, bekommt bündig den Unterschied erklärt: Kino ist Business. Filme sind eine kommerzielle Angelegenheit.

Immerhin besitzt München ein kommunales Kino, das sich diesen Regeln entzieht. Das Filmmuseum am Jakobsplatz hat gerade die Werkschau eines Schweizer Regisseurs, Politisches von Margarethe von Trotta im Angebot.

Wobei man beim Programmstudium den Eindruck bekommt, dass ein etwas weltfremder Cineastenkreis aus Berührungsangst mit den Kinogängern da draußen stark auf akademische Akzente setzt.

Viel frischer liest sich das Angebot des Filmmuseums in Frankfurt, das gerade die Highlights des Jahres 2011 zeigt. Oder das Pendant in Wien, innerhalb weniger Tage hat man dort die Wahl zwischen Billy Wilder, einer rasanten Lubitsch-Komödie und dem Klassiker "Singin' in the Rain". Auf dem Bundeskongress der kommunalen Kinos wurde vor einem Monat das Wiener Modell gepriesen. Vielleicht kann sich davon auch München etwas abschauen.

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