Süddeutsche Zeitung

Im Stich gelassen:Proteste an der Basis

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Mit Resolutionen, Briefen und Streiks kämpfen Ehrenamtliche gegen die bayerische Flüchtlingspolitik

Von Dietrich Mittler, München

Rita Jubt, Asylhelferin aus dem Kreis Günzburg, lässt sich nicht das Wort verbieten. Auch nicht von Mitarbeitern des Landratsamtes Günzburg, die Anfang dieser Woche nichts unversucht ließen, um die pensionierte Finanzbeamtin davon abzubringen, eine Rede zu halten. "Der feierliche Charakter der Veranstaltung" erlaube "keine Redezeit für die Preisträger", hieß es in einer Mail. Noch Minuten vor der Verleihung des Integrationspreises 2016 habe sie zu hören bekommen: "Das geht nicht, das geht nicht, das geht nicht!", schildert die 65-Jährige die Situation. Sie erwiderte, das werde jetzt aber "einen sehr schlechten Eindruck machen", wenn man sie am Sprechen hindere.

Und so trug sie vor: "Wir müssen erfahren, dass unsere Bemühungen um Arbeit oder Ausbildung für Asylsuchende von der Ausländerbehörde zunichte gemacht werden." Das saß. "Bei uns Helfern hat sich ein unglaublicher Frust aufgebaut", sagt die 65-Jährige. Es sei ohnehin schwer, bei Flüchtlingen Vertrauen aufzubauen, sie zu Deutschkursen zu animieren, mit ihnen auf Arbeitssuche zu gehen - und dann mache die bayerische Asylpolitik, umgesetzt durch die Ausländerbehörden, alles wieder zunichte. Es sei kaum auszuhalten, wenn etwa ein junger Flüchtling depressiv werde, weil die Ausländerbehörde ihn daran hindere, eine Ausbildung anzutreten.

Landauf, landab machen Flüchtlingshelfer solche Erfahrungen. Kürzlich erst schrieb deshalb ein Helferkreis aus dem Kreis Freising einen offenen Brief - unter anderem an die Staatskanzlei und an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. "Mit der heutigen Praxis fragen wir uns, warum wir uns überhaupt weiterhin engagieren sollen", hieß es da. Das Bundesamt antwortete prompt - mit einer Eingangsformel, die vielen Helferkreisen aus eigener Erfahrung vertraut ist. In der Regel wird "ganz herzlich" fürs ehrenamtliche Engagement gedankt und sodann darauf verwiesen, dass man angesichts der Gesetzeslage gar nicht anders handeln könne.

Eine glückliche Hand hatte indes der Landsberger Raffael Sonnenschein, der 2016 im Herbst einen Flüchtlingshelfer-Streik organisiert hatte. Sein Brief an Ministerpräsident Horst Seehofer führte immerhin dazu, dass Sonnenschein im Sozialministerium seine Forderungen vortragen konnte. Eine ganz andere Erfahrung machte der Hebertshauser Asylhelfer Peter Barth. Er schilderte dem Innenministerium das Los eines Senegalesen, dem die Berufsausbildung verweigert wurde. Das Ministerium antwortete: "Wenn Sie ihm wirklich helfen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass er zurück in sein Land geht."

Da Asylhelfer oft über Mailinglisten kommunizieren, macht so etwas die Runde. Aktuell geht eine Mail herum, in der Helferkreise dazu aufgefordert werden, einen Protestbrief "an unsere satten, selbstgefälligen, christlichen Politiker" zu senden. "Diese Politiker, die wie in einer Blase leben, lassen das ja gar nicht an sich ran", sagt auch Rita Jubt aus Günzburg. Nur wenige in der CSU würden Aussagen wie diese bestätigen - und wenn, so nur anonym. "Der Frust in den Asylhelferkreisen wird in der Partei völlig unterschätzt", ist dann zu hören. Selbst Flüchtlingshelfer, "von denen man meinte, sie seien mit der CSU verheiratet", gingen nun auf Abstand. Für den CSU-Landtagsabgeordneten Markus Blume gilt die Devise: "Gerade bei diesem Thema haben wir als Volkspartei kein Interesse an Spaltung, sondern am Zusammenführen der Gesellschaft." Er sagt aber auch: "Wir müssen sicherstellen, dass Integration gelingen kann. Das geht nur mit Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung."

Ernster als den Protest der Helferkreise nimmt die CSU den Unmut etlicher Unternehmen, die sich durch Bayerns Asylpolitik in ihren Integrationsbemühungen behindert sehen. Am Mittwoch beriet die Fraktion im Beisein von Innenminister Joachim Herrmann über die "Beschäftigung und Berufsausbildung von Asylbewerbern und Geduldeten".

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Quelle:
SZ vom 16.02.2017
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