Im Gespräch: Simon Verhoeven:"Ich weiß, wie es ist, auf die Schnauze zu fliegen"

Zu Beginn seiner Karriere galt er lediglich als Sohn von Schauspielerin Senta Berger und Regisseur Michael Verhoeven - inzwischen hat sich Simon Verhoeven selbst als Filmemacher etabliert. Ein Gespräch über die jungen Talente der "Shocking Shorts" und Erfolgsaussichten im Filmgeschäft.

Ruth Schneeberger

Zwei Polizisten, die einen vermutlichen Kindesentführer verhören sollen, drehen durch. Ein Sexsüchtiger entwickelt fanatische Rituale mit immer neuen Frauen. Die attraktive Gattin eines Mediziners bereitet ihrem Liebsten eine Henkersmahlzeit. Und zwei Brüder, die sich langweilen, quälen ein jüngeres Nachbarskind fast zu Tode: Die "Lange Nacht der Shocking Shorts" lehrte in der Nacht zu Freitag die Besucher des Münchner Filmfests wieder das Gruseln.

Shocking Shorts Award 2011

Mitglieder der Shocking-Shorts-Jury 2011: Simon Verhoeven, Michaela May, Julia Dietze und Quirin Berg (v.l.).

(Foto: Getty Images)

Zehn deutsche Kurzfilme drehen sich um die Themen Horror, Krimi, Action und Mystery - einer von ihnen wurde am Dienstagabend beim "Shocking Shorts Award" des Senders "13th Street Universal" im Pathologischen Institut an der Thalkirchener Straße bei Häppchen wie "Pathologen-Omelette" und "Morbuspflanzerl" zum Sieger gekürt: Der 23-jährige Nachwuchs-Filmemacher Timo Pierre Rositzki hatte den Kurzfilm "Profil" ins Rennen geschickt, in dem es um eine vermeintliche Party-Bekanntschaft geht, die böse endet.

Ausgewählt wurden der Sieger und die nun (auch auf DVD) zu sehenden Top Ten von einer Jury aus Schauspielern wie unter anderem Uwe Ochsenknecht, Michaela May und Simon Verhoeven. Letzterer ist der Sohn der Schauspielerin Senta Berger ("Mit teuflischen Grüßen", "Kir Royal", "Frau Böhm sagt Nein") und des Regisseurs Michael Verhoeven ("Die weiße Rose", "Das schreckliche Mädchen", "Die schnelle Gerdi"). Der 39-Jährige Münchner ist selbst Schauspieler ("Mogadischu", "Doctor's Diary") und Regisseur ("Männerherzen"). Ein Gespräch am Rande des Münchner Filmfests über den Horror von Kurzfilmen und das Gedeihen in der Filmbranche.

sueddeutsche.de: Der junge Sieger freut sich gerade über seine Auszeichnung. Können Sie sich mitfreuen?

Simon Verhoeven: Das ist schon ein gutes Gefühl, wenn man denkt, dass da gerade eine Tür aufgeht. Man ist dann so beseelt. Bei mir ist es genau andersrum gelaufen, meinen ersten Film hat kein Mensch gesehen.

sueddeutsche.de: "100Pro", den Party-Film? Doch, den hat jemand gesehen, und zwar ich. Ihr Bruder spielte darin mit.

Verhoeven: Schön, da waren Sie fast die Einzige. Wobei "100Pro" kein bloßer Partyfilm war, sondern eine Satire über das Münchner Nachtleben, die auch tragische Momente hatte. Aber gut, er ging damals leider unter. "Männerherzen" war dagegen extrem erfolgreich. Es ist aber nicht schlecht, von Anfang an zu merken, dass es verdammt schwer ist, Kinofilme zu drehen und damit auch noch Erfolg zu haben. Ich weiß auch, wie es ist, auf die Schnauze zu fliegen.

sueddeutsche.de: Na ja, auf die Schnauze fliegen ist relativ. Der Film lief im Kino, im Fernsehen. Außerdem sind Sie ja auch Schauspieler.

Verhoeven (entrüstet): Ich bin vor allem Filmemacher! Das Schauspielen war eher eine Maßnahme, um Geld zu verdienen für meine Filme. Inzwischen bekomme ich sehr gute Drehbücher auf den Tisch und habe die Möglichkeiten, meine Ideen zu realisieren, aber das war ja nicht immer so. Ich hatte auch schöne Rollen, "Mogadischu" zum Beispiel mit Nadja Uhl - aber ich wusste immer schon, dass ich eigentlich Filmemacher bin. Das habe ich ja auch studiert.

sueddeutsche.de: Dann war also "Männerherzen", acht Jahre nach Ihrem Erstling, 2009 Ihr Durchbruch als Regisseur?

Verhoeven: Genau. Und am 15. September kommt "Männerherzen 2" ins Kino. Wir hatten gerade ein großes Testscreening, das sehr gut gelaufen ist. So was ist ja immer wichtig.

sueddeutsche.de: Und zwischendurch haben Sie Werbung gedreht.

Verhoeven: Ja, für Ergo beispielsweise und für Nutella. Das ist eine ganz andere Welt, mit dem Stress am Filmset nicht zu vergleichen. Man hat mehr Geld, mehr Zeit, für einen Werbespot von 20 Sekunden hat man einen ganzen Drehtag. Allerdings muss man präzise das abliefern, was man dem Kunden in Aussicht gestellt hat, kann nicht mehr groß improvisieren. Bei der Werbung muss man sich Leuten gegenüber rechtfertigen, die ganz anders denken.

sueddeutsche.de: War das eine Stimmung wie bei den Incentive-Reisen von Ergo?

Verhoeven (lacht): Das ist ja mal eine böse Frage. Nein, damit hatte der Dreh nichts zu tun und damit möchte ich auch nichts zu tun haben. Ich habe fünf Werbespots in fünf Tagen gedreht, das war alles andere als Urlaub. Danach geht man schon auf dem Zahnfleisch. Aber ich finde die Spots trotzdem schön.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Verhoeven nicht in die Fußstapfen seiner Eltern treten will.

"Was ich mache, hat Hand und Fuß"

sueddeutsche.de: Zurück zu Ihren Anfängen. Diese Frage stellt Ihnen vermutlich jeder, aber war es für Sie als Anfänger nun leichter oder schwieriger als für Nichtprominente, in gleich beide Fußstapfen Ihrer Eltern zu treten, als Regisseur in die Ihres Vaters und als Schauspieler in die Ihrer Mutter?

Simon Verhoeven

Schon mit seiner seiner Kinokomödie "Männerherzen" wollte Simon Verhoeven Verständnis für die Nöte von Männern wecken - offenbar besteht Bedarf: Demnächst soll "Männerherzen 2" in die Kinos kommen. Simon Verhoeven wurde für "Männerherzen" mit dem Bayerischen Filmpreis für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

(Foto: AP)

Verhoeven (lacht): Das ist natürlich genau mein Ziel, mitten in die Fußstapfen zu treten. Im Ernst: Man will nicht in Fußstapfen treten, sondern eigene Fußstapfen hinterlassen. Als Kind war es für mich schon relativ früh selbstverständlich, dass ich gerne Filme machen würde, ich bin auf Filmsets aufgewachsen, habe immer schon versucht, Geschichten zu schreiben, Comics zu zeichnen, Filme zu entwerfen, Musik zu machen. Die Filme, die ich jetzt mache, mache ich aber nicht wegen meinen Eltern. Meine Inspiration kommt aus meiner Generation, von meinen Freunden - von meinen Eltern bin ich aber sicher ermutigt worden. Am Anfang musste ich mir in Deutschland natürlich anhören, der hat berühmte Eltern, was kann der denn schon? Da bin ich scharf beobachtet worden. Weshalb ich auch aus Deutschland weggegangen bin.

sueddeutsche.de: Um in New York Filmregie zu studieren.

Verhoeven: Das hat mir gutgetan. Ich habe mich dort ausprobieren und letztlich zeigen können: Was ich mache, hat Hand und Fuß, ich bin nicht bloß "der Sohn von". Die Filme meines Vaters sind ja ganz anders als meine. Er macht Filme, die eine klare politische Aussage haben, die für Gerechtigkeit kämpfen, für Menschlichkeit stehen. Ich mache bisher romantische Komödien für ein großes Publikum, die unterhalten, aber auch berühren sollen. Interessanterweise hat mein Vater aber, als er ganz jung war, auch ein paar schöne Schwabinger Komödien gedreht.

sueddeutsche.de: Sie sagen "bisher"?

Verhoeven: Ich entwickle gerade mit Max Wiedemann und Quirin Berg, den Produzenten von "Das Leben der Anderen", mit denen ich auch "Männerherzen" gemacht habe, einen Film über die Zeit der Hexenverfolgung, das ist mein neuestes Projekt.

sueddeutsche.de: Einen Kinofilm?

Verhoeven: Ja, aber ich rede jetzt gerade mit Ihnen zum ersten Mal öffentlich darüber. Außerdem bereite ich mit dem Produzenten Arthur Cohn eine Coming-of-Age-Geschichte aus dem Dritten Reich vor. Ich lasse mich nicht auf ein Genre festlegen, ich unterscheide auch nicht zwischen Arthouse und Kommerz, nur zwischen guten und schlechten Filmen.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, warum bei den Shocking Shorts nicht Verhoevens Favorit gewonnen hat.

Kurzfilme sind schwierig

Shocking Shorts

Siegerfilm der "Shocking Shorts" 2011: In "Profil" von Timo Pierre Rositzki aus Hamburg geht es um Thomas, der Caro nicht ganz so zufällig begegnet, wie es den Anschein hat.

(Foto: Universal)

sueddeutsche.de: Damit kommen wir zu den Shocking Shorts, in deren Jury Sie in diesem Jahr schon zum zweiten Mal sitzen. Warum hat nicht Ihr Favorit gewonnen?

Verhoeven: So ist das in Gremien, da sitzen acht Leute, die nicht alle einer Meinung sind. Ich habe auch Kritik an dem Gewinnerfilm, so wie sie andere an meinem Favoriten hatten.

sueddeutsche.de: Und die wäre?

Verhoeven: Ach, das mache ich nicht, einen jungen Regisseur zu kritisieren. Der soll sich einfach freuen. Was mir an dem Siegerfilm gefallen hat, ist das Thema: Gut gewählt, smart umgesetzt.

sueddeutsche.de: Es geht in "Profil" um einen jungen Mann, der einem Mädchen nachstellt.

Verhoeven: Ja, es geht um soziale Netzwerke und was daran gefährlich sein kann. Ein cleveres Thema. Ich habe auch auf Facebook viele sogenannte Freunde, von denen ich nicht immer weiß, wer wirklich dahintersteckt. Aus dieser Ungewissheit einen Thriller-Kurzfilm zu machen, ist eine schöne Idee.

sueddeutsche.de: Und was wäre Ihr Favorit gewesen?

Verhoeven: "Könige der Straße", der Film hat knapp verloren. Vor allem die Kinder-Darsteller sind großartig. Die Story ist glasklar und scharf erzählt. Ich mag es, wenn ein Kurzfilm nicht zu viel erzählen will, sondern sich auf eine kleine Situation beschränkt. Das hat "Profil" auch geschafft.

sueddeutsche.de: Worum geht es bei dem zweiten Sieger?

Verhoeven: In "Könige der Straße" geht es darum, dass eine Vorstadtidylle zerplatzt, was ich immer sehr spannend finde. Das erinnert mich an David Lynch, Michael Haneke, Claude Chabrol. Wenn unter der heilen Oberfläche der Wahnsinn aufblitzt, das liegt mir. Hinter all diesen Filmen bei den "Shocking Shorts" verbirgt sich das Dunkle, das Bösartige der menschlichen Natur.

sueddeutsche.de: Warum ist es wichtig, Kurzfilme zu fördern?

Verhoeven: Ein Kurzfilm ist wirklich schwierig zu machen. Man muss ja trotzdem die ganze Crew haben. Das ist schon anstrengend. Und die Story muss sofort funktionieren, auf Anhieb ersichtlich sein, anders als beim Langfilm. Das ist für den Regisseur nicht so leicht. Eine Grundidee auf den Punkt zu erzählen, wie der Siegerfilm das macht, das schafft nicht jeder.

sueddeutsche.de: Und warum sollte man sich einer "Langen Nacht der Shocking Shorts" ausliefern?

Verhoeven: Ach, wer drauf steht ... Ich persönlich bin ein Horror-Fan. Ich bin einfach jemand, der sich gerne gruselt. Die eigenen Ängste zu durchleben in ihrer dunkelsten Anmutung, das ist eine existenzielle menschliche Erfahrung. Auf die Spitze getriebene Dramen eben. Ich habe diese Sparte auch nie als B-Movie-Genre gesehen. Einige der besten Filme aller Zeiten sind Horrorfilme.

sueddeutsche: Welche meinen Sie?

Verhoeven: "Rosemary's Baby" zum Beispiel, "Ekel", "Irreversible" "Psycho" - oder auch "Black Swan". Ich bin sehr froh, dass mit dem Oscar für "Black Swan" das Horror-Genre wieder geadelt wurde. Ein wirklich toller Film. Allerdings haben selbst an diesem Film manche Kritiker wieder so viel auszusetzen gehabt. Für mich ist Aronofsky wie ein Maler. Picasso würde man auch nicht vorwerfen, dass irgendwo ein Pinselstrich falsch gesetzt wurde. Der Film ist als surrealer Trip für mich ein Gesamtkunstwerk, Aronofsky ein ganz großer Künstler.

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