Ideengeschichte:Jeden Tag ein Türchen

Der Adventskalender ist eine deutsche Erfindung, die von München aus in die Welt ging. Der Schwabinger Verlag "Ars Edition" bietet in der Tradition des Pfarrerssohns Gerhard Lang heute noch fast alles an, was man mit Papier machen und durch 24 teilen kann

Von Ellen Draxel, Schwabing

"Der Weihnachtmonat heut beginnt, drum mach bereit dich, liebes Kind: Steck auf den Baum den Stern von Gold. Er soll den Weg uns weisen, wenn wir zum Kindlein wunderhold, zum lieben Christkind reisen." Der Spruch stammt aus dem Jahr 1949. Er ziert das erste Blatt eines Adventskalenders, der, mag er heutigen Augen und Ohren auch etwas verstaubt vorkommen, seinerzeit als neue Idee des Schwabinger Verlags "Ars Sacra" zum Kassenschlager wurde. Zu sehen ist eine idyllische Szenerie mit Engeln und dem Stern von Bethlehem, entworfen von der Haus-Illustratorin Ida Bohatta. Verse und Motive fanden sich auf einem Abreißblock, die Bilder konnten ausgeschnitten und aufgeklebt werden.

Ideengeschichte: Der Verlag "Ars Edition" hat die Rechte an Gerhard Langs historischem Adventskalender.

Der Verlag "Ars Edition" hat die Rechte an Gerhard Langs historischem Adventskalender.

(Foto: Robert Haas)

"Ars Sacra" nennt sich inzwischen "Ars Edition", der Verlag mit Firmensitz an der Schwabinger Friedrichstraße kann auf eine mehr als 120-jährige Tradition zurückblicken. Mittlerweile bringt "Ars Edition" Herbst für Herbst rund 25 neue Motive für Adventskalender heraus - "keine stark religiös geprägten Themen mehr wie früher, sondern eher profane", sagt Lektorin Dido Nitz, die für den Programmbereich Adventskalender verantwortlich zeichnet. Großformatige Kalender mit Tieren, Früchten und Blumen etwa und 24 Zetteln voller Bastelideen, Geschichten, Rezepte und Rätsel. Mini-Mini-Kalender, die nur 7,5 mal 5,6 Zentimeter haben und dessen Türen sich besser mit einer Stecknadel als mit dem Finger öffnen lassen. Adventskalender mit Figuren zum Ziehen oder Stecken, mit Glimmer und Glitzer. Dreidimensionale Kalender, aufstellbar als Baum, als Adventskranz oder als leuchtendes Häuschen mit einer Kerze in der Mitte. Es gibt aber auch Bücher mit 24 Geschichten, bei denen die Story-Seiten vor dem Lesen erst noch aufgeschnitten werden müssen. Damit keiner vorher spicken kann. Gruselgeschichten zum Beispiel, oder "Geschichten von fabelhaften Frauen".

Ideengeschichte: Auch diesen Adventskalender bringt der Verlag "Ars Edition" heraus.

Auch diesen Adventskalender bringt der Verlag "Ars Edition" heraus.

(Foto: Robert Haas)

Gut gehen auch Dosen mit 24 Adventskrimis, Yoga-Übungen, Emoji-Quizfragen. "Wir bieten fast alles an, was man mit Papier machen und durch 24 teilen kann", sagt Dido Nitz. Gedruckt wird in Europa und Asien, gekauft werden die Adventskalender des Schwabinger Verlags heute aber eher von Erwachsenen. "Kinder erwarten sich mindestens Schokolade - mit einem simplen, nostalgischen Papierkalender lockt man bei der jüngeren Generation keinen mehr hinter dem Ofen hervor."

Ideengeschichte: Lektorin Dido Nitz zeigt einen der zahlreichen Kalender aus dem Hause "Ars Edition".

Lektorin Dido Nitz zeigt einen der zahlreichen Kalender aus dem Hause "Ars Edition".

(Foto: Robert Haas)

Dabei haben sich Idee und Prinzip, Kindern die verbleibende Zeit bis Weihnachten erlebbar zu gestalten und bei ihnen die Vorfreude zu wecken, in den vergangenen 150 Jahren kaum verändert. Um 1840 fingen Eltern erstmals an, nach und nach 24 Bilder mit weihnachtlichen Motiven an die Wand zu hängen. Kreidestriche wurden an Schränke oder Türstöcke gezeichnet, von denen jeden Tag einer weggewischt werden durfte. An kleine Tannenbäumchen hängte man mit Bibelversen versehene Fähnchen. In einigen katholischen Gegenden durften die Kinder täglich einen Strohhalm oder eine Feder in die Krippe legen, damit das Jesuskind weich liegen möge. Auch die Himmelsleiter ist so ein Brauch: Jeden Tag bewegt sich das Christkind bei dieser besonderen Kalenderart eine Sprosse tiefer - dem Gedanken folgend, dass Gott zu den Menschen auf die Erde kommt.

Ideengeschichte: Auch dreidimensionale Kalender gibt es: aufstellbar als Baum, als Adventskranz oder als leuchtendes Häuschen mit einer Kerze in der Mitte.

Auch dreidimensionale Kalender gibt es: aufstellbar als Baum, als Adventskranz oder als leuchtendes Häuschen mit einer Kerze in der Mitte.

(Foto: Robert Haas)

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bastelten kreative Eltern dann sogenannte Weihnachtsuhren, auf deren Scheibe der Zeiger sich 24 Mal weiterdreht. Der erste gedruckte Adventskalender für Kinder war ebenfalls eine Weihnachtsuhr, unterteilt in zwölf Felder. Eine evangelische Buchhandlung in Hamburg gab ihn 1902 für 50 Pfennige heraus.

Der eigentliche "Erfinder" des Adventskalenders aber ist Gerhard Lang, ein Pfarrerssohn aus dem schwäbischen Maulbronn. Als Kind hatte ihm seine Mutter einen Kalender gebastelt, gefüllt mit Wibele, einem schwäbischen Baisergebäck. Diese Erfahrung regte Lang dazu an, einen vorweihnachtlichen Ausschneidekalender zu gestalten. "Im Lande des Christkinds" bestand aus zwei Blättern, einem Druck mit 24 kleinen, von Gerhard Lang verfassten Gedichten in Kästchen und einem Bogen mit 24 passenden Bildchen, die ausgeschnitten und auf den Bogen geklebt werden sollten.

Der Kalender, 1904 zunächst als Beilage in einer Stuttgarter Zeitung erschienen, war so erfolgreich, dass Gerhard Lang, zu diesem Zeitpunkt schon Teilhaber der Firma "Reichhold & Lang" mit Sitz in München, zwischen 1908 und 1938 beinahe jedes Jahr einen neuen, aufwendig gemachten Adventskalender herausbrachte. Mit Scheiben zum Drehen, mit Türen zum Öffnen oder gefertigt als Haus, das man mit Schokolade befüllen konnte. Sogar einen Kalender in Blindenschrift gab es. Als mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Papier kontingentiert wurde, konnte Lang dem Preisdruck nicht mehr standhalten und musste 1940 seine Kalenderproduktion einstellen.

Der gedruckte Adventskalender, er ist also eine deutsche Erfindung, die von München aus in die Welt ging. Anfang der Achtzigerjahre erwarb der Verlag "Ars Edition" unter der Führung von Marcel Nauer die Rechte an "Reichhold & Lang", sodass es heute wieder historische Kalender zu kaufen gibt. Nauer war außerdem der erste, der Kalender für Erwachsene populär machte - wenn auch wohl eher ungewollt: "Es hält sich das hartnäckige Gerücht, dass der Verleger einfach Porto sparen wollte", meint Lektorin Dido Nitz schmunzelnd. Kleine Kalender in Postkartengröße, vom Handel sofort als Vorweihnachts-Clou akzeptiert, waren einfach billiger an Kunden als Weihnachtspräsente zu verschicken als große Adventskalender.

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