Porträt:"Ich könnte mir auch gut einen Philosophen bei der Fifa vorstellen"

Porträt: Die Philosophie war früher ein reiner Herrenclub mit starken Seilschaften. Erst langsam ändern sich auch dort die Zeiten. Monika Betzler jedenfalls pflegt einen eigenen Stil und will ihr Fach mehr mit der Gesellschaft verbinden.

Die Philosophie war früher ein reiner Herrenclub mit starken Seilschaften. Erst langsam ändern sich auch dort die Zeiten. Monika Betzler jedenfalls pflegt einen eigenen Stil und will ihr Fach mehr mit der Gesellschaft verbinden.

(Foto: Catherina Hess)

Ob Leihmutterschaft, autonomes Fahren oder die Finanzkrise - Philosophen gelten als messerscharfe Analysten und sind gefragter denn je. Monika Betzler ist eine der profiliertesten Vertreterinnen ihres Fachs.

Von Martina Scherf

Ein landläufiges Vorurteil lautet so: Ein Philosoph sitzt mit verbundenen Augen in einem dunklen Zimmer und sucht eine schwarze Katze, die gar nicht da ist. So viel Weltferne mag für manche Philosophen vielleicht zutreffen, aber sicher nicht für Monika Betzler. Sie gilt als exzellente Theoretikerin. Aber die Frage, was die Philosophie zum guten Leben beitragen kann, liegt ihr mindestens ebenso am Herzen.

Monika Betzler betritt schwungvoll ihr Büro, wirft einen Blick auf ihren Computer, wo in zwei Stunden Abwesenheit wieder jede Menge E-Mails aufgelaufen sind, dann wirbelt sie auf ihrem Drehstuhl herum. Ihr Mitarbeiter hat ihr einen Cappuccino auf den Tisch gestellt. Die Inhaberin des Lehrstuhls für Praktische Philosophie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität ist eine gefragte Person. Vor kurzem wurde sie zur Sprecherin des Münchner Kompetenzzentrums Ethik (MKE) gewählt, das der Philosoph Wilhelm Vossenkuhl gegründet und das Julian Nida-Rümelin, Philosoph und Staatsminister a.D., bis vor kurzem geleitet hat. Große Fußstapfen, von Männern, die gerne in der Öffentlichkeit stehen. Monika Betzler ist anders.

Die gebürtige Schwäbin kam vor eineinhalb Jahren aus der Schweiz an ihre Alma Mater zurück, an der sie einst studiert hatte. Als sie wieder durch die ehrwürdigen Hallen im Hauptgebäude schritt, wo die Philosophen ihr Stammquartier haben, empfand sie die alten Mauern und hohen Räume als "ganz schön oppressiv". Sie wählte ein kleines, unscheinbares Büro in der Schellingstraße mit Blick auf den begrünten Innenhof. Von dort aus knüpft sie ihr Netzwerk.

Das MKE soll noch enger mit anderen Fakultäten zusammenarbeiten, mit Medizinern, Naturwissenschaftlern, Juristen oder Volkswirten - überall dort, wo es um ethische Fragen geht: Gentechnik oder Leihmutterschaft, autonomes Fahren oder Finanzkrise, Massentierhaltung oder Migration, die Liste ließe sich fortsetzen.

Heute ist der Doktor in Philosophie keine Lizenz zum Taxifahren mehr

"Das Interesse an unseren Angeboten ist groß", sagt Betzler. Philosophen könnten bei vielen Problemen für mehr Klarheit sorgen. Etwa in den oft festgefahrenen Konflikten zwischen Hochleistungs-Landwirtschaft und Umweltschützern. Oder im Streit um "Designer-Babys". Gerade hat Betzler eine internationale Tagung zum Thema Beziehungen organisiert, dazu waren auch Psychologen und Sozialwissenschaftler eingeladen. Es ging um Eltern-Kind-Beziehungen, Freundschaft, Gruppenverhalten. Betzler selbst sprach über "Kollegialität". Man spürt, dass ihr diese Themen auch persönlich wichtig sind.

"Die Begriffsschärfe ist es vor allem, die wir anderen Disziplinen voraus haben", sagt die 54-Jährige. Das messerscharfe Analysieren, das Abwägen aller Voraussetzungen und Argumente, bis man einer Sache wirklich auf den Grund kommt. Da gilt es zum Beispiel erst einmal zu klären: Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Empathie sprechen, von Gemeinwohl, von Autonomie?

Weil die Gesellschaft immer komplexer wird und der Austausch über Fachgrenzen hinweg immer wichtiger, wollen Betzler und ihre Kollegen auch die Angebote für Studenten anderer Fakultäten ausweiten. Ein Doktoranden-Kolleg ist zudem geplant, das auch ein Praxissemester beinhalten soll.

Ein Doktor in Philosophie, das war früher die Lizenz zum Taxifahren. Berufsaussichten gab es kaum. Aber auch die Philosophie selbst war sich meist zu fein, sagt Betzler, in die Niederungen der Realität abzutauchen. Das soll sich ändern. "Der Bedarf ist ja da." Große Unternehmen hätten längst Corporate Responsibility Units, um ihre soziale und ökologische Verantwortung zu dokumentieren. "Das ist manchmal kaum mehr als ein Feigenblatt, manchmal aber auch ernst gemeint", stellt Betzler fest.

Früher war das ein reiner Herrenclub mit strenger Hierarchie

"Ich könnte mir auch gut einen Philosophen bei der Fifa vorstellen", sagt sie und lacht, so dass ihre schwer zu bändigenden kleinen Locken in die Luft fliegen. Berührungsängste vor Männerbünden hat sie jedenfalls nicht. Sie wünscht sich auf jeden Fall mehr Lebendigkeit in der Philosophie. "Wir machen uns nicht die Finger schmutzig, wenn wir uns mit Themen befassen, die die Gesellschaft umtreiben oder relevant sind." Sie betont das, weil sie mit dieser Haltung noch immer zu einer Minderheit in ihrer Disziplin gehört.

Die Philosophin mit dem kräftigen roten Lippenstift als Markenzeichen ist die erste Frau auf einem Lehrstuhl ihrer Fakultät. Als sie selbst an der LMU studierte, in den Achtzigerjahren, "war das ein reiner Herrenclub mit strenger Hierarchie". Die Platzhirsche blieben unter sich und pflegten ihre Seilschaften. "Frauen hatten dazu kaum Zugang." Immerhin: Sie war eine der wenigen weiblichen Doktorandinnen in der Philosophie.

Die Sprüche, die sie am Anfang ihrer Karriere immer wieder zu hören bekam, hat sie nicht vergessen. "Professoren luden gelegentlich zu trauter Runde nach Hause ein. Da saß man dann auf Biedermeier-Stühlen", erzählt sie, "und als ich einmal mit einem Kollegen den Raum betrat, hieß es: Schau an, da kommen die Klugheit und die Schönheit." Das waren noch die harmlosen Sätze. Die schlimmen will sie lieber nicht zitieren.

Nach der Promotion verließ sie den Elfenbeinturm und ging für ein gutes Jahr zur Europäischen Union nach Brüssel, wo sie in einem Think Tank für das Kabinett von Kommissionspräsident Jacques Delors arbeitete. "Es war spannend, so nahe an der Politik dran zu sein, umgeben von lauter europabegeisterten Wissenschaftlern", sagt sie, "aber leider schrieben wir auch sehr viel für die Schublade." Nida-Rümelin, damals junger Professor an der Uni Göttingen, holte sie von dort als Assistentin an seinen Lehrstuhl. "Sie war eine exzellente und eigenwillige Philosophin", sagt er rückblickend - und dass sie heute eine der profiliertesten Vertreterinnen ihres Fachs sei. 20 Jahre später folgte sie seinem Ruf zurück nach München an die LMU.

"Ich habe keinen Partner, der mir die Blusen bügelt"

Dazwischen war sie mehrfach in den USA und zuletzt neun Jahre als Professorin an der Universität Bern. Noch immer ist sie Mitglied in der Nationalen Ethikkommission der Schweiz. In deutschen Ethikkommissionen sitzen in der Regel Theologen. "Bei allem Respekt: Wir haben da doch mindestens ebenso viel beizutragen", sagt Betzler.

Es sind "die von Lebenswelten gesättigten Themen", die sie als Wissenschaftlerin besonders interessieren. Zu ihrer persönlichen Lebenswelt gehört die Position als Frau und Mutter in der Wissenschaft. Und gerade in der Philosophie, stellt sie immer wieder fest, seien die Rollenbilder auch heute noch recht einseitig verteilt. "Ich habe keinen Partner, der mir die Blusen bügelt", sagt sie, um zu erklären, dass sie täglich neu die Balance finden muss zwischen Beruf und Familie. Deshalb habe sie lange überlegt, ob sie ihrem pubertierenden Sohn den Umzug von Bern nach München zumuten mochte. "Aber es war auch eine Rückkehr in die Heimat, und er fühlt sich sehr wohl hier."

Es sei wohl kein Zufall, dass sie auch in philosophischen Debatten Beziehungen besonders interessierten, fügt sie dann noch an. Eine schwarze Katze hat sie übrigens nicht. Und Philosophie und Leben gehören für sie unbedingt zusammen.

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