Vielleicht lässt sich die Sache am besten mit einem Süßspeisenvergleich von Thomas Bernhard erklären: "Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapferl, außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken", behauptete der ebenso berühmte wie berüchtigte Schriftsteller wohl schon vor Jahrzehnten. Jetzt ist man in Österreich ja recht flexibel, zumindest was den äußeren Anstrich betrifft: Dieser wechselte im Laufe der Jahre von Rot auf Schwarz auf Türkis und Blau. Dass die Regierungskoalition aus Konservativen und Rechtspopulisten vor zwei Jahren aufgelöst werden musste, liegt aber an einer "besoffenen Geschichte" des Vizekanzlers und Chefs der blauen FPÖ, Heinz-Christian Strache. Dieser traf sich im Sommer 2017 mit einer angeblichen Oligarchen-Nichte in einer Villa auf der spanischen Ferieninsel Ibiza. Was sich dort abspielte, weiß man aufgrund eines heimlich aufgezeichneten Videos, jetzt gibt es "Die Ibiza Affäre" auch als vierteilige Fernsehserie bei Sky.
Ein paar Tage vor der Fernsehpremiere am 21. Oktober hat der Pay-TV-Riese aus Unterföhring ins Münchner Arri Kino geladen, dort werden die ersten beiden Folgen gezeigt. "Zu wahr, um erfunden zu sein", steht auf der im Innenhof des Kinos aufgebauten Fotowand - und in der Tat halten sich die Serienmacher recht genau an die realen Ereignisse, nicht nur bei der Nachstellung des Ibiza-Videos. Auf die Insel geht es in der Serie erst in Folge drei, die darin auftretenden Schauspieler Nicholas Ofczarek, Cosima Lehninger oder Andreas Lust sind zur München-Premiere angereist, ebenso wie Regisseur Christopher Schier und der Münchner Produzent Max Wiedemann.
Auch Frederik Obermaier und Bastian Obermayer sind dabei, die Investigativ-Journalisten der Süddeutschen Zeitung haben gemeinsam mit Kollegen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel diesen Politskandal aufgedeckt. In der Serie werden sie von Patrick Güldenberg und Stefan Murr verkörpert, die vier Männer stehen am Rande des roten Teppichs und unterhalten sich angeregt. "Wir haben uns aber erst nach den Dreharbeiten kennengelernt", verrät Murr. Die prominenteste Serienrolle spielt aber Andreas Lust, er hat den selbsternannten "Red Bull Brother from Austria" Heinz-Christian Strache als charismatischen und machtbesoffenen Populisten angelegt.
Toll ist, was Nicholas Ofczarek in einer der beiden Hauptrollen leistet
Aber wie nähert man sich so einem Menschen an? "Zuerst habe ich mir seine öffentlichen und halböffentlichen Auftritte angeschaut", erzählt der Schauspieler, "und zu meiner Überraschung habe ich einige Lebensparallelen entdeckt." Wie Strache stamme er aus einem ähnlichen Umfeld in Wien, beide sind etwa im selben Alter. "Ich halte ihn für einen authentischen Menschen, er ist leicht lesbar und nicht hinterrücks." Damit wolle er Strache keinesfalls verteidigen, ihm ging es um einen Zugang zu dieser "tollen Rolle".
Toll ist es auch, was Nicholas Ofczarek in einer der beiden Hauptrollen leistet: Er spielt den Privatdetektiv, der gemeinsam mit einem Wiener Anwalt (David A. Hamade) hinter dem Video steht, als eine Mischung aus Geheimagenten und Unterweltboss. Aus seiner Perspektive ist die Geschichte erzählt, er hat auch die laut Ofczarek "verdächtig schmucklose" Villa auf Ibiza angemietet, die falsche Oligarchin instruiert und Kameras versteckt. Über das Danach hat er sich offenbar nicht ganz so viele Gedanken gemacht. "Das ist keine Heldengeschichte", sagt der Schauspieler, "wir sind alle Verlierer".
Sein reales Vorbild habe er übrigens nie getroffen, dieser sitzt in Untersuchungshaft. Dabei hat das Ibiza-Video auch zur aktuellen Inseratenaffäre und dem Rücktritt von Kanzler Kurz geführt. Allzu tief einsteigen in ein Gespräch darüber will Nicholas Ofczarek aber nicht: "Politische Statements von Schauspielern halte ich für entbehrenswert." Es ist eine ebenso unterhaltsame wie erschreckende Serie über den Verfall moralischer Werte, die ein bisschen auf US-Filmvorbilder wie "Vice" oder "The Big Short" schielt und an der Fernsehpreis-Jurys in den kommenden Monaten wohl kaum vorbeikommen.
Nach der Vorführung werden die Serienmacher gefragt, ob sie gleich weitermachen wollen, wo doch die politischen Skandale in der Punschkrapferl-Republik Österreich kein Ende nähmen. Daraufhin sagt Julian Looman, der in der Serie den Strache-Spezi Johann Gudenus spielt: "Während wir uns hier unterhalten, schreiben sie im Parlament doch schon die zweite Staffel."
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