Es ist Freitagabend, kurz nach 17 Uhr, als die Münchner Sicherheitsbehörden nicht mehr länger zusehen wollen: Nach Tagen der Eskalation rund um das Flüchtlingscamp auf dem Sendlinger-Tor-Platz beginnen die Münchner Polizei und das Kreisverwaltungsreferat (KVR) mit der Räumung des Platzes. Ein Vertreter des Kreisverwaltungsreferats liest den Auflösungsbescheid vor, anschließend haben die Demonstranten Zeit, den Platz zu räumen. Die Behörden hätten handeln müssen, um die Gesundheit der Teilnehmer zu schützen, und auch angesichts der sinkenden Temperaturen und der Ankündigung der Flüchtlinge, den Hungerstreik auszuweiten, heißt es in Durchsagen am Ort und in Botschaften der Polizei auf Twitter.
600 Einsatzkräfte sind am Sendlinger Tor, die Polizei kesselt den Platz zunächst ein. Jeder könne aber das Gelände verlassen, sagt ein Polizeisprecher. Nach 18.30 Uhr beginnen die Flüchtlinge und ihre Helfer dann selbst damit, das Gelände zu räumen. Sie packen zusammen, die meisten Demonstranten sind aus eigener Kraft in der Lage, den Platz zu verlassen. Dennoch kommt es den Tag über zu 18 Notfalleinsätzen, weil viele Menschen geschwächt sind. Am Ende läuft aber alles reibungslos: Kurz nach 19 Uhr ist das Gelände wieder frei, die Flüchtlinge selbst räumen ihre Sachen auf.
Demonstration:Flüchtlinge lösen Camp am Sendlinger Tor auf - und marschieren los
Zwölf Tage soll der Marsch dauern, Ziel ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Danach wollen sie nach München zurückkehren - um zu demonstrieren.
Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle zeigt sich am Sendlinger-Tor-Platz erleichtert. "Ich bin froh, dass es auf diese Weise abgelaufen ist." Der Münchner Ordnungschef macht selbst Durchsagen an die Flüchtlinge auf Deutsch und auf Englisch. Eine Alternative zur Räumung habe es nicht gegeben, sagt er. "Es war erkennbar, dass die Situation bedrohlich wird angesichts der immer steigenden Zahl der Einsätze." Es gebe eine Schutzpflicht der Behörden, sagt Böhle.
Den ganzen Tag über gab es Treffen der Sicherheitsbehörden, um 14 Uhr fällt die Entscheidung, noch am selben Tag zu räumen. Als es dann soweit ist, riegeln Sicherheitskräfte den Zugang zur Straßenbahn ab, der Trambahnbetrieb wird eingestellt. An der Lindwurmstraße stehen etwa 15 Krankenwägen parat.
Ganz ohne Turbulenzen geht die Räumung des Camps aber nicht ab. Direkt am Sendlinger Tor bilden Demonstranten eine Menschenkette um einen Baum, zwölf von ihnen steigen auf den Baum, ausgestattet mit Mützen, Schals, Rucksäcken und Schlafsack. "Der Streik geht auf den Bäumen weiter", skandieren sie. "Sagt es alle laut, dass Flüchtlinge willkommen sind!" Passanten liefern sich heftige Wortgefechte auf der Straße vor dem Baum. Polizisten versuchen zu schlichten, greifen aber nicht ein. Vorsorglich sind Mitglieder einer sogenannten Höhenrettungstruppe der Polizei dabei.
Seit fünf Tagen verweigerten rund 90 Demonstranten am Sendlinger Tor das Essen, sie fordern ein Bleiberecht für alle. Bis Freitagmittag wurden bereits 15 Teilnehmer ins Krankenhaus eingeliefert. Die übrigen Flüchtlingen hatten außerdem angekündigt, von Samstag an auch nicht mehr trinken zu wollen. Die Flüchtlinge geben den hiesigen Politikern die Schuld für die Eskalation: Sie hätten beharrlich jeden Dialog verweigert, und zwar seit zweieinhalb Monaten. Solange geht der aktuelle Protest am Sendlinger Tor mittlerweile.
Bereits vor zwei Jahren hatte die Polizei schon einmal ein Protestlager am Sendlinger Tor gewaltsam geräumt. Auch damals waren einige Flüchtlinge auf Bäume geklettert.