Süddeutsche Zeitung

Hubertussaal:Wo Schatten ist, ist auch Licht

Der Konzertsaal im Nymphenburger Schloss ist renoviert worden. Wer dort wann welche Konzerte spielen kann, bleibt ungewiss. Dennoch plant Eckard Heintz dort seinen letzten "Nymphenburger Sommer" - und startet eine Initiative für die Kammermusik

Von Rita Argauer

Blassgrün strahlen die Wände im Hubertussaal. Der 250 Jahre alte Raum wirkt mit diesem sanft changierenden neuen Stoff an den Wänden wieder frischer. Die vielen Fenster und das helle Frühlingslicht geben den Rest dazu, es glänzt und blitzt im Orangerietrakt von Schloss Nymphenburg. Die Fenster werden später noch eine gesonderte Rolle spielen. Denn für die Pläne, was denn in dem nun so hübsch hergerichteten Saal in näherer Zukunft stattfinden könnte, sind sie nicht unerheblich.

Doch jetzt strahlt erst einmal auch Eckard Heintz, als er den Saal betritt, um ihn das erste Mal nach der Renovierung im vergangenen Jahr vorzuführen. Heintz, von 1982 bis 1998 Chef im Gasteig und seit 17 Jahren ehrenamtlicher Veranstalter des Kammermusikfestivals "Nymphenburger Sommer", verdankt dieser Raum sein momentanes Leben als Konzertsaal. Zwar ist er 1757 schon als Musiksaal eröffnet worden. Solche Daten hat Heintz im Kopf, erzählt sie, ohne nachschauen zu müssen. Es gebe sogar das Gerücht, dass der zehnjährige Mozart dort gespielt habe. Doch zur Zeit des NS-Terrors widmete Hermann Göring den 350 Quadratmeter großen Raum zum Jagdmuseum um. Als dieses 1946 dann in die Innenstadt umzog, wurde der Saal zur "Rumpelkammer", wie Eckard Heintz es ausdrückt.

In den Neunzigerjahren gelangt der Raum als Ort der Kultur wieder in den Fokus: Der damalige Finanzminister Kurt Faltlhauser regte die Renovierung an. Heintz mit seiner Expertise als Geschäftsführer des Gasteig wurde von Faltlhauser hinzugezogen und setzte etwa durch, dass die Türen trotz Denkmalschutzes verbreitert wurden, damit sie den Normen für Veranstaltungsräume entsprachen: "Sonst wäre das hier fertig geworden und man hätte kein Publikum empfangen dürfen."

Publikum darf Heintz nun gerade auch nicht mehr empfangen in diesem Saal, über den er so viel weiß und der ihm irgendwo auch emotional nahe steht. Das schmerzt. Denn 2021 wird Heintz zum letzten Mal den "Nymphenburger Sommer" veranstalten, wenn er ihn denn veranstalten darf. Einen Nachfolger hat er nicht. "Ich bin alt, da kann jeden Tag was passieren", sagt er. Er gehe jetzt wirklich in Ruhestand, nachdem er seinen bisherigen Ruhestand dafür verwandt hat, München dieses feine, kleine Kammermusikfestival zu bescheren.

Kammermusik ist sein Stichwort, denn da liegt die Crux: Die großen Veranstalter trauen sich wegen der Auflagen gerade nicht an Kammermusik heran, denn "rechnen Sie es durch", sagt Heintz, für 80 verkaufte Karten pro Konzert könne man damit keinen Gewinn machen. Hinzu kommt: Das Kammermusikpublikum ist eher älter, "trauen die sich im Sommer überhaupt schon ins Konzert? Trauen die sich je wieder in Konzerte?", fragt Heintz. Was passiert mit den Musikern, den Ensembles, wenn die über zwei Jahre hinweg nicht auftreten? "Die schon vor Corona sinkenden Publikumszahlen stehen in krassem Gegensatz zu den wachsenden Zahlen der Musikstudierenden", sagt Heintz. Auf der einen Seite kommt top ausgebildeter Nachwuchs nach, doch die Konzerte werden zunehmend leerer.

Deshalb startet der mittlerweile 85-Jährige Heintz jetzt die Initiative "Rettet die Kammermusik". Es gehe ihm dabei nicht um seine eigenen wirtschaftlichen Interessen, betont er. Denn mit der Reihe "Nymphenburger Sommer" verdiene er selbst kein Geld. "Ich kann mir das nur leisten, weil ich Pensionär bin." Er sorge sich vielmehr ernsthaft um den Fortbestand der Kammermusik-Konzertkultur. Deshalb richtet er also jetzt einen Aufruf an das Publikum. Er möchte über die Webseite rettet-die-kammermusik.de möglichst viele Stimmen sammeln, die auf eine differenzierte Betrachtung der Veranstaltungsmöglichkeiten seitens der Politik drängen.

Dass die Kultur unter den herrschenden Umständen gerade leidet, ist nichts Neues. Drängt aber trotzdem. Und symbolisiert sich vielleicht in diesem schön renovierten Saal. Der ist bereit für neue Konzerte, aber keiner darf oder kann hier irgendetwas veranstalten. Heintz habe sich mit allen größeren Klassik-Veranstaltern Münchens ausgetauscht. Kammermusik-Konzerte plane da für dieses Jahr keiner. Finanziell könne man das Risiko überhaupt nicht eingehen, sagt Heintz. 400 Zuschauer passen normalerweise in den Hubertussaal, unter Coronaauflagen sind es 80. Schon vor Corona zogen die meisten Veranstalter das Prinzregententheater vor, erklärt Heintz. Dort können über 1000 Plätze verkauft werden. Dem Hubertussaal steht also als Konzertsaal eine ungewisse Zukunft bevor, wenn Heintz dort nicht mehr veranstalten wird.

Doch der Saal hat gegenüber dem Prinzregententheater oder dem Herkulessaal nun einen entscheidenden Vorteil bekommen: Er hat Fenster. Und zwar viele. Die beiden Längsseiten sind überzogen von Fenstern. Macht man die alle auf, dürfte es kräftig durchziehen. Zum anderen ziehen aber auch Aerosole so sehr gut ab.

"Der Gasteig hat eine Umwälzungsanlage, aber das Prinzregentheater und der Herkulessaal nicht", erklärt Heintz. Im Hubertussaal könne aber mit geöffneten Fenstern beinahe ein Open-Air-Gefühl entstehen. Und Veranstaltungen an der frischen Luft sind ja gerade gefragt. Ein Konzert in bester Frischluft also, ohne, dass man wie für ein richtiges Open-Air-Konzert aufwendig Bühne, Technik und Bestuhlung anmieten müsste.

Optimistisch hat Heintz also ein Programm für diesen Sommer gebucht. Unter dem Motto "Ausklang" kündigt er sieben Konzerte vom 8. Juni bis zum 8. Juli an. Bekannte Musiker wie Julia Fischer oder Daniel Müller-Schott haben zugesagt, das Apollon Musagète Quartett oder das Schumann Quartett. Es wirkt gewagt gerade, aber es ist auch ziemlich schönes Zeichen, dass man sich für diese Konzerte tatsächlich schon Karten kaufen kann. Das Risiko trägt Heintz. Er verkauft zunächst nur 80 Plätze pro Konzert und bietet an, die Karten ohne Umstände zurückzunehmen und auszubezahlen, falls das jeweilige Konzert abgesagt werden sollte.

Man wünscht sich also nicht nur für den hübschen neuen Saal, dass dort im Sommer etwas veranstaltet werden kann. Man wünscht auch Eckard Heintz, dass er sich in diesem Sommer nach einer schönen Konzertreihe entspannt zur Ruhe setzen kann. Als er den Saal an diesem frühlingshaften Tag verlässt, bleibt er oben auf der Balustrade stehen, öffnet die Tür zu einem kleinen Balkon. Dort hängt eine schwere Glocke, dort läutet er seine Konzerte ein. Die Glocke ist mit seinem und dem Namen seiner Frau graviert.

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Quelle:
SZ vom 04.03.2021
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