Süddeutsche Zeitung

Hospiz in München:Abschied in Würde

Wer hier einzieht, hat oft nur noch wenige Tage zu leben: Im Christophorus-Hospiz in Oberföhring werden Todkranke wie der 63-jährige Sepp Mayerhörmann liebevoll betreut. Doch der Verein braucht dringend Geld.

Von Bernd Kastner

Durch den Garten fließt ein kleiner Fluss. Er besteht nicht aus Wasser, sondern aus Steinen. Jeder Stein stammt aus der Isar und trägt den Namen eines Bewohners des Hauses. Bald werden sie einen Stein dazulegen, der den Namen von Sepp Mayerhörmann tragen wird. Wenn er jetzt aus dem Fenster schaut, dann blickt er in den Garten mit diesem "Fluss der Erinnerung", wie sie die vielen Steine hier nennen. Sepp Mayerhörmann lebt in der Effnerstraße 93, im Hospiz. Es ist sein letztes Zuhause. Sepp Mayerhörmann hat Krebs. Er ist erst 63, viel zu jung zum Sterben, aber er sagt: "Ist nicht so tragisch."

Der Christophorus Hospiz Verein (CHV), der das Haus in Oberföhring betreibt, ist einer der ältesten Hospizvereine in Deutschland. 1985 haben sie begonnen, sterbende Menschen zu begleiten, zunächst ambulant. Weil das Betreuen todkranker Menschen nicht nur Zeit und Ruhe braucht, sondern auch viel Geld kostet, muss der Verein sich nun ums eigene Weiterleben sorgen.

4,3 Millionen Euro beträgt sein Etat pro Jahr, nur gut zwei Drittel aber sind dauerhaft finanziert, durch Krankenkassen, Stadt und Kirche. Die Lücke hat der Verein bislang mit eigenen Mitteln geschlossen, vorwiegend durch Spenden, hin und wieder auch mit einer Erbschaft. Diese Einnahmen aber sind nicht kalkulierbar, ja, sie gehen tendenziell zurück, weshalb der Verein auf mehr dauerhafte Unterstützung durch die Stadt München hofft.

2001 startete der Verein sein erstes stationäres Projekt, in den Räumen der Aidshilfe in der Lindwurmstraße. Damals war es Aids, das das Sterben zu einem öffentlichen Thema machte. Seither wird der Abschied in Würde immer wichtiger, und im Lauf der Jahre stieg die Zahl derer, die eine behutsame Pflege wünschen, wenn es die eigenen Angehörigen nicht mehr schaffen. 2006 eröffnete der CHV in einem ehemaligen Bürogebäude an der Effnerstraße sein Hospiz mit den 16 Einzelzimmern. Ein helles Haus ist es geworden, schon die Atmosphäre spendet Trost. Außer dem CHV-Haus gibt es in München nur noch das Johannes-Hospiz der Barmherzigen Brüder in Nymphenburg mit zwölf Betten.

Ein letztes Mal im Garten sitzen

Ulrich Heller ist seit Anbeginn an dabei im Christophorus-Hospiz, heute leitet er den Pflegedienst. Ihm ist wichtig, dass nicht die Medizin die letzten Tage dominiert. Die Menschen hier werden Bewohner genannt, nicht Patienten. "Es geht darum, dass sie sich gut fühlen", sagt Heller. Dass sie sich noch einmal in den Garten setzen, ein letztes Mal ihre alte Wohnung besuchen, dass der Mund nicht austrocknet oder ein Pfleger einen Bewohner mit Öl einreibt, weil das Waschen des Körpers zu schmerzhaft wäre. Immer wieder kommen Studenten zu Besuch, die Musik machen. Manchmal, wenn ein Vater einzieht oder eine Mutter, jemand mit kleinen Kindern zu Hause, dann gehe das auch den Betreuern sehr nahe, erzählt Heller. Und immer wieder frage er sich, wie es ihm wohl ginge, ob er so stark wäre wie die meisten der Hospizbewohner, egal wie alt sie sind.

Auch ohne große Apparate ist die Fürsorge intensiv, aufwendig und teuer. 1,3 Millionen Euro, sagt Geschäftsführer Leonhard Wagner, fehlten dem Verein Jahr für Jahr. Die Lücke mit Vereinsgeld zu schließen, funktioniere auf Dauer nicht, weshalb man auf weitere Spenden hofft - und regelmäßige Unterstützung durch die Stadt. Die gebe bislang rund 85 000 Euro, künftig bräuchte das Hospiz aber 300 000 Euro zusätzlich, um gesichert arbeiten zu können. Immerhin, sagt Wagner, gebe es positive Signale aus dem Rathaus.

Außer der stationären Betreuung bietet der Verein weiter den ambulanten Dienst an. Etwa 1000 Menschen pro Jahr betreuen die Mitarbeiter, darunter Hunderte ehrenamtliche Hospizhelfer, zu Hause oder im Heim. Ins Hospiz selbst ziehen 300 Bewohner im Jahr, die Nachfrage aber ist wesentlich höher: Man könnte dreimal so viele Sterbende versorgen, wäre mehr Platz - und mehr Geld.

Wer einzieht, ist meist so schwer krank, dass er bald stirbt, jeder Zweite lebt nur noch zehn Tage. "Es wird nichts mehr gemacht, um das Sterben aufzuhalten", sagt Ulrich Heller, vorausgesetzt, der Bewohner will es so. Mit dem Tod endet für ihn und seine Kollegen aber nicht die Beschäftigung mit diesem Menschen. Der Tote bleibt noch einen Tag lang in seinem Zimmer. Es wird schön hergerichtet, soll ein würdiger Raum sein, in dem sich die Angehörigen verabschieden.

Sepp Mayerhörmann wohnt seit Mitte Januar im Hospiz. Viel Besuch hat er bekommen, manchmal, sagt er, werde es ihm fast zu viel, aber er weiß, die Leute meinen es gut. Er redet nicht wie einer, der weiß, dass er bald gehen muss. Er wirkt mit sich im Reinen. Seinem tiefen Glauben an Jesus Christus habe er das zu verdanken, sagt er.

Wenn er erzählt von früher, von seiner Familie, seiner Arbeit als Techniker, seinem Umzug vom Allgäu nach München vor gut zehn Jahren, von seinen Lederhosen, die er so gern getragen hat, von seinen Filmrollen als Komparse, wenn er seine kleinen Geschichten erzählt, dann hat er seine Augen geschlossen. Alles andere strengt ihn zu sehr an. Irgendwann kommt eine der vielen ehrenamtlichen Helferinnen ins Zimmer und fragt, ob er was zu trinken wünscht. Er bestellt Caro-Kaffee, bitte recht stark. "Ich bin so, so froh", sagt er. Froh, dieses Zimmer bekommen zu haben. Zum Abschied richtet er sich kurz auf im Bett und öffnet die Augen. "Ich bin sehr gut aufgehoben."

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SZ vom 05.02.2013/dayk
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