SZenario:Die der Kälte trotzen

SZenario: Horst-Bienek-Preisverleihung in der Akademie: Den Hauptpreis erhält in diesem Jahr Judith Herzberg (links), der Förderpreis geht an Ronya Othmann.

Horst-Bienek-Preisverleihung in der Akademie: Den Hauptpreis erhält in diesem Jahr Judith Herzberg (links), der Förderpreis geht an Ronya Othmann.

(Foto: Florian Peljak)

Judith Herzberg und Ronya Othmann werden in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste mit Horst-Bienek-Preisen für Lyrik ausgezeichnet - und geben mit viel Wärme auch anderen Raum.

Von Antje Weber

Sie ist tatsächlich gekommen. Insgeheim hatte man ja damit gerechnet, dass die 88-jährige Judith Herzberg absagen würde - zu anstrengend die Anreise aus Amsterdam, zu klirrend die Kälte. Weit gefehlt. Die alte Dame, etwas gebeugt, aber hellwach, ist nach München gefahren, sie sitzt an diesem Dienstagabend in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, um den Horst-Bienek-Preis entgegenzunehmen. Im Gegensatz zu den ja auch meist älteren Akademie-Besuchern, die es sich lieber daheim in ihren halbgeheizten Wohnungen ungemütlich machen, und von Jüngeren ganz zu schweigen, die die Akademie als Hochburg alter, weißer Männer wohl ohnehin meiden: Der Saal ist jedenfalls nur schütter besetzt, und von den Anwesenden lassen erstaunlich viele die Wintermäntel an, als müssten sie auch hier drinnen den frostigen Zeiten trotzen.

Wer sich das Kommen gespart hat, hat jedenfalls etwas verpasst: einen Abend, an dem die alten, weißen Männer doch eher Randfiguren sind und sich Akademiepräsident Winfried Nerdinger nur dadurch ungewollt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, dass er in seiner Begrüßung zwei der ohnehin raren bisherigen weiblichen Preisträger auch noch zu "Elisabeth Mayröcker" eindampft. Einen Abend, an dem zwei herausragende Schriftstellerinnen eindrucksvoll für ihr lyrisches Werk gefeiert werden: Judith Herzberg, hierzulande eher als Dramatikerin denn als Lyrikerin bekannt (das Residenztheater spielt im Dezember ihr zu Ehren noch zweimal ihre Trilogie "Die Träume der Abwesenden"), und Förderpreisträgerin Ronya Othmann, deren Band "die verbrechen" auch berühmtere Lyrikkollegen wie der anwesende Jan Wagner schätzen.

Ronya Othmann und das "Rückwärtslesen"

Als Schriftstellerin wie als Journalistin hat Ronya Othmann ein Lebensthema, wie ihr auch Laudator Alexandru Bulucz bescheinigt: die "tiefschürfende Auseinandersetzung mit Vertreibung, Flucht und Heimweh", mit Repressionen gegen und Massakern an Minderheiten weltweit, insbesondere den in Syrien und dem Irak lebenden Kurden und Jesiden. Was Othmann erfahre, überführe sie in einer Art "Rückwärtslesen" in das "archivarische Gedächtnis" des Gedichts, so Bulucz. Ihre Literatur fuße auf individuellen Erfahrungen und sei doch "Arbeit an kollektiven Gedächtnissen", eine "großangelegte Schmerzdarstellung" und Klage, ein "Monument für die Unschuldigen".

Auch in ihren Dankesworten macht Ronya Othmann schmerzlich klar, wie wichtig ihr der Einsatz für Verfolgte ist und welche Rolle dabei zum Beispiel ganz aktuell Handy-Videos von Protestierenden in Iran spielen. "Das Sehen kommt vor dem Schreiben", sagt sie. Sie will auch an diesem Abend "all jenen einen Raum geben, deren Bilder, Videos und Berichte als sprachliches Echo Eingang gefunden haben in meine Gedichte". Sie erzählt von Menschen, die ihr auf ihren Reisen etwa in kurdische Gebiete Fotos ihrer verlassenen Häuser und verlorenen Angehörigen gezeigt haben: "Es sind echte Menschen mit echten Leben, und die Gewalt ist keine Metapher."

Judith Herzbergs "Lust am leisen Widerspruch"

Für Metaphern hat auch die Hauptpreisträgerin Judith Herzberg nicht viel übrig, wie Laudator Kevin Perryman herausarbeitet. Ihr Werk könne "sich messen mit denen der besten Lyriker und Lyrikerinnen unserer Zeit", sagt er. Eine detailgenau beobachtende, "reizvoll verwirrende Stimme" sei zu entdecken, "Humor kommt immer wieder durch und manchmal ein bisschen Verzweiflung". Auch eine "Lust am leisen Widerspruch" präge ihr Werk: "Sie traut sich was."

Das beweist Judith Herzberg sogleich, so charmant wie selbstbewusst. Auffällig ist zunächst, wie sehr auch sie in einer feinen Geste jemand anderem Raum geben will: Sie hat sich eigens ins Werk Horst Bieneks eingelesen und ist hingerissen: "Er ist so wichtig wie Paul Celan." Nachdem sie ausführlich einen schönen Brief des Lyrikers Zbigniew Herbert an den Kollegen Bienek zitiert hat, fragt sie herrlich unprätentiös: "Muss ich jetzt noch ein Gedicht von mir lesen?" Sie macht es kurz und endet mit einer vielsagenden Prosa-Miniatur über eine "schmutzige Frau", die in einem Luxushotel aufs Klo gehen will; als ihr das verwehrt wird, pinkelt sie halt in der Lobby auf den Teppich. Wenn man dann noch später nach dem Empfang mitbekommt, wie Herzberg den Laudator und den Akademiepräsidenten minutenlang im für sie aufgehaltenen Aufzug warten lässt, weil sie gerade ehrlich interessiert die Garderobenfrau zum Thema Kälte ausfragt, bleibt nur ein Wort der Bewunderung übrig: Cool.

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