Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber:Aktivisten fordern geschützte Unterkünfte für homosexuelle Flüchtlinge

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Von Jasmin Siebert

Drei Männer haben ihn umstellt, auf Arabisch beschimpft und verprügelt. Am Montagabend ist ein schwuler Syrer in der Nähe einer Münchner Gemeinschaftsunterkunft angegriffen worden - vermutlich von anderen Flüchtlingen. Der Homosexuelle kam mit dem Schrecken und ein paar Kratzern davon. Thomas Michel von Rainbow Refugees spricht dennoch von einer "Katastrophe mit Ansage".

Seit November vergangenen Jahres kommt der Betroffene ins Sub. In dem Kulturzentrum betreuen rund 40 ehrenamtliche Mentoren mindestens 65 schwule Geflüchtete, darunter auch den Mann, der am Montag angegriffen wurde. In Gesprächen sei die Angst in der Unterkunft von Anfang an ein großes Thema gewesen. Obwohl er seine sexuelle Orientierung zu verbergen versuchte, ahnten die Mitbewohner etwas, schoben zum Beispiel immer wieder Zettel mit Drohungen unter der Tür hindurch.

Die mangelnde Privatsphäre, die Angst vor einem ungewollten Outing und daraus folgende Anfeindungen führen dazu, dass sich geflüchtete Homosexuelle in Gemeinschaftsunterkünften oft genauso unsicher fühlen wie in ihren Heimatländern. "Es ist für viele ein Schock zu sehen, dass sie hier der gleichen Bedrohung wie zu Hause ausgesetzt sind", sagt Melina Meyer vom Verein LeTra Lesbentelefon. Sie beschreibt die "doppelte Bedrohung", der Lesben ausgesetzt sind: Neben homophober müssen sie auch sexistische Gewalt fürchten.

Zwar gibt es in München bereits zwei Unterkünfte für besonders schutzbedürftige Frauen, doch auch dort seien Lesben nicht vor Verunglimpfungen geschützt. Bisher wurden erst zwei lesbische Frauen in einer WG untergebracht. Meyer ärgert sich auch über die Ablehnungsbescheide. Dass sie wegen Morddrohungen geflohen seien, glaubten Asylentscheider den Lesben oft nicht. Manchmal würde das Bundesamt für Migration in seinem Ablehnungsbescheid auch vorschlagen, dass die Betroffenen in ihrem Heimatland untertauchen könnten.

Um sexuelle Minderheiten besser zu schützen, beschloss der Sozialausschuss des Münchener Stadtrates im Januar, dezentrale Unterkünfte für psychisch belastete lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Asylbewerber einzurichten. 19 Plätze und eine halbe Sozialarbeiterstelle sind vorgesehen. Die Wohnungen, die das Amt für Wohnen und Migration recht schnell zur Verfügung stellte, konnten jedoch nicht belegt werden, da noch keine Fachkraft gefunden worden war. Die halbe Stelle soll nun zum 1. Oktober besetzt werden. Bis dahin müssen geflüchtete Homosexuellen weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften leben.

Sachsen gilt als Vorbild im Schutz queerer Flüchtlinge

Ausgerechnet Sachsen zieht Michel als Vorzeigebeispiel dafür heran, wie queeren Geflüchteten effektiv Schutz geboten werden kann. Dort gibt es seit vorigem Jahr einen Landeskoordinator, der 200 queere Flüchtlinge in geschützten Unterkünften in Großstädten untergebracht hat. "Auch wir hier in Bayern brauchen eine Lösung von ganz oben", fordert Michel. Flüchtlinge, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung besonderen Schutzes bedürfen, sollten vorrangig in großen Städten untergebracht werden und nicht auf dem Land. Bisher würde der politische Wille fehlen, kritisiert er.

"Der politische Wille ist da", sagt dagegen SPD-Stadtrat Christian Müller. "Wir schauen, dass die Geflüchteten, die besonderen Schutz brauchen, ihn auch bekommen." Allerdings gebe es viele besonders schutzbedürftige Flüchtlinge und nicht genug Wohnraum für alle. Etwa 2500 Flüchtlinge lebten noch in Gemeinschaftsunterkünften, obwohl sie bereits anerkannt sind. Der Mann, der am Montag angegriffen worden ist, soll von Freitag an übergangsweise in einem Clearinghaus untergebracht werden, ehe er von Oktober an in eine speziell geschützte Unterkunft ziehen darf.

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SZ vom 28.07.2017
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