Gewalt gegen Homosexuelle:"Gregor, schau dich um, ob es jemanden stören könnte"

Gewalt gegen Homosexuelle: Schwule Szene im Münchner Glockenbachviertel, in dem sich der Überfall auf Gregor P. im vergangenen Mai ereignete

Schwule Szene im Münchner Glockenbachviertel, in dem sich der Überfall auf Gregor P. im vergangenen Mai ereignete

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Im Mai 2017 wurde Gregor P. verprügelt, weil er schwul ist. Bis heute wurde der Täter nicht gefasst.
  • Nach der Attacke hatte die Szene darauf gehofft, dass Gesellschaft und Polizei in München zum Thema Gewalt gegen Homosexuelle sensibilisiert würden. Das ist nicht geschehen.
  • Homophobe Gewalt würde viel zu häufig wie eine Schlägerei zwischen Betrunkenen behandelt, ärgern sich Schwulen-Vertreter.

Von Thomas Schmidt

Man sieht es seinem Gesicht nicht an, dass unter dem linken Auge, dicht unter der Haut, eine kleine Metallplatte liegt. Ohne sie würde der Augapfel absacken, einfach herabrutschen. Denn der Knochen darunter ist heute "dünn wie Papier", sagt Gregor P. Der Grund dafür liegt nun ein Jahr zurück. Es war eine warme Mainacht, als Gregor P. gemeinsam mit Freunden im Glockenbachviertel seinen 30. Geburtstag feierte.

Zufällig trafen sie dabei auf drei Männer. Einer davon holte aus und zertrümmerte mit einem Hieb den Knochen unter Gregor P.s Auge. Warum? Weil er homosexuell ist, eine "scheiß Schwuchtel", wie der Täter sich ausdrückte. Bis heute hat die Polizei ihn nicht fassen können - und wird es wohl auch nie. Geblieben ist die Metallplatte in P.s Gesicht. Und die Furcht, dass es für Schwule und Lesben zunehmend gefährlich wird, ihre Liebe zu zeigen.

Der brutale Überfall vom Mai vergangenen Jahres brachte damals viele Menschen auf die Straße. Sie demonstrierten im Viertel gegen Schwulenhass, der auch in vermeintlich weltoffenen Großstädten längst nicht überwunden ist. Die Medien griffen den Fall auf, von der Süddeutschen Zeitung bis zum ARD-Nachtmagazin. Für ein paar Wochen rückte das Problem in den Blick der Öffentlichkeit. Und dann verschwand es wieder. "Es ist sehr schwierig, das Bewusstsein aufrechtzuerhalten", sagt Christopher Knoll, der die Beratungsstelle im Schwulenzentrum "Sub" leitet. "Man will sich ja auch nicht ständig bedroht fühlen."

Auch wenn die Aufmerksamkeit wieder schwand, verschwunden ist das Problem deswegen noch lange nicht. Schwierig, wenn nicht unmöglich, ist es auch, belastbare Zahlen zu homophoben Angriffen in München zu finden. Glaubt man der Statistik der Polizei, dann handelt es sich eher um ein Randphänomen. Im vergangenen Jahr wurden 14 "politisch motivierte Straftaten" mit den Kriterien "Hasskriminalität" und "sexuelle Orientierung" erfasst. Bei vier dieser Fälle handelte es sich um eine Körperverletzung, bei zehn um Beleidigungen und Schmierereien. Doch die Polizei weiß selbst, dass diese Zahlen weit entfernt sind von der Wahrheit.

Schwule beobachten eine Zunahme verbaler und körperlicher Attacken

Spricht man mit Menschen aus der Schwulenszene, dann erzählen sie eine ganz andere Geschichte. "Wir beobachten seit einigen Jahren eine Zunahme verbaler, aber auch körperlicher Übergriffe", sagt zum Beispiel Sub-Geschäftsführer Kai Kundrath. Betroffen sind natürlich nicht nur schwule Männer. Bei sexuellen Übergriffen auf lesbische Frauen hat sich seit einiger Zeit ein besonders perfider Euphemismus eingeschlichen: Wenn Männer meinen, eine Frau liebe nur deswegen andere Frauen, weil sie "noch nie einen richtigen Kerl im Bett hatte", dann sprechen manche Experten inzwischen von einer "korrigierenden Vergewaltigung". Dabei ist es allein die Verblendung der Täter, die einer gründlichen Korrektur bedarf.

Die Berater des Münchner Schwulenzentrums Sub zählten im vergangenen Jahr 38 Fälle von homophober Gewalt, im Jahr zuvor waren es mit 22 deutlich weniger. Doch auch diese Zahlen kratzen nur an der Oberfläche, so wie Gregor P. ein leichtes Kratzen im Auge spürt, wenn er über die Metallplatte unter seiner Haut streicht. Denn die meisten Opfer schämen sich zu sehr, um Anzeige zu erstatten. Viele geben sich selbst eine Mitschuld, verheimlichen die Tat sogar vor Freunden und gehen erst recht nicht zur Polizei. "Ein Großteil glaubt, dass eine Anzeige eh nichts bringt", sagt der Berater Knoll. "Manche fürchten auch homophobe Äußerungen der Polizisten." Das Verhältnis zwischen vielen Schwulen und der Polizei sei "nicht gut", sagt Knoll.

Nach dem homophoben Angriff aus München weggezogen

Gregor P. kann das bestätigen. Er wird wütend, als er von damals erzählt: Polizisten seien zu ihm ans Krankenhausbett gekommen und hätten ihn befragt, ob er vor dem Überfall getrunken habe. "Ich hatte drei, vier Bierchen, schließlich war mein Geburtstag", habe er gesagt. "Na dann ist ja alles klar", habe ein Beamter geantwortet.

Später habe er noch erfahren müssen, dass die Polizisten die Aussagen der vielen Zeugen, die die Attacke miterlebt hatten, nicht protokolliert hätten. Laut Gregor P. notierten die Beamten nicht mal deren Handynummern. Der Staatsschutz sei nicht eingeschaltet worden, obwohl das bei sogenannten politisch motivierten Straftaten vorgesehen ist. Eine öffentliche Fahndung gab es auch nicht. Die Polizei teilt auf Anfrage nur mit, die Ermittlungen seien "sehr umfangreich" gewesen. Genutzt hat es nichts, der Täter kam davon.

Vertreter der Schwulenszene fordern nicht erst seit dieser Attacke, dass die Polizei sensibler mit dem Problem umgeht. "Wir erleben andauernd, dass schwulenfeindliche Angriffe behandelt werden, als wären sie eine Schlägerei zwischen Betrunkenen", ärgert sich Knoll. Einmal habe es einen Übergriff vor einer Schwulenkneipe im Viertel gegeben, erinnert er sich. "Im Pressebericht der Polizei wurde der Tatort dann 250 Meter weiter vor eine andere Kneipe verlegt. Da sollte verschleiert werden, dass es sich um eine homophobe Attacke gehandelt hat."

Als im Mai 2017 das Foto von Gregor P.s blaugeprügeltem Gesicht verbreitet wurde, keimte kurz Hoffnung auf, aus dem Schlechten könnte am Ende etwas Gutes erwachsen, die Attacke könnte die Polizei sensibilisieren. Doch ein Jahr später ist von dieser Hoffnung nichts mehr übrig. Sub-Berater Knoll sagt: "In 20 Jahren ist es kein einziges Mal passiert, dass die Polizei auf uns zugegangen wäre, um sich Rat zu holen." Oder auch nur für ein klärendes Gespräch.

Gregor P. ist nach dem Angriff aus München weggezogen, er lebt und arbeitet heute in Bremen, in seiner Heimat. Er denke oft an die Nacht im Glockenbachviertel zurück. "Wenn ich mit schwulen Freunden unterwegs bin, wenn man sich freundschaftlich berührt, ist der erste Gedanke: Gregor, schau dich um, ob jemand hier ist, den es stören könnte." Nicht nur das Metall unter der Haut ist geblieben.

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