So ein Raubfisch ist zwar schön, macht aber viel Arbeit. Sinngemäß dürfte dies spätestens Anfang der achtziger Jahre die Antwort eines Mitarbeiters im "Yellow Submarine" gewesen sein, wenn jemand nach den Haien gefragt hat. Und sie fragen alle nach den Haien, bis auf den heutigen Tag.
"Das war immer ein Heckmeck, wenn es darum ging: Wer geht ins Becken und putzt die Scheiben von innen?", erzählt Barbara Metz-Egert. Sie streicht mit ihrer Hand über das Panzerglas des riesigen Aquarium-Rondells. Es ist noch alles da: Die Bullaugen, hinter denen einst Dutzende Haie vorbei an Riesenschildkröten um das Partyvolk herumschwammen, die DJ-Kanzel, die Bars, die U-Boot-Atmosphäre. Barbara Metz-Egert fährt mit dem Finger über die Scheibe, hinter der die einstige Unterwasserwelt zur traurigen Wüste vertrocknet ist. Eine Abschiedsgeste. "Das war halt nicht mehr zeitgemäß", sagt sie achselzuckend.
Nicht mehr zeitgemäß. Das trifft es. Die Veranstaltungsleiterin des Holiday Inn Hotels an der Leopoldstraße war ohnehin schon lange nicht mehr hier gewesen an diesem für viele Münchner historischen Ort. Ziemlich aufgeräumt schlendert die langgediente Mitarbeiterin durch den verstaubten Rest der einst angesagtesten Diskothek Münchens. Nur noch wenige Tage, dann wird das traditionsreiche Holiday Inn Hotel im Norden Schwabings dicht machen, auch der Flachbau mit dem einst so glamourösen Tanzclub ist dann Geschichte.
An diesem Sonntag gibt's nach dem Frühstück noch eine Party für die Mitarbeiter, dann ist Schluss. Anfang 2012 sollen die Abrissbagger anrücken; sie werden das letzte Relikt des großen Investorenprojekts "Schwabylon" aus den siebziger Jahren entfernen. Bis 2015 soll hier das neue Stadtquartier "Schwabinger Tor" in die Höhe wachsen: ein 400-Millionen-Euro-Projekt der Münchner Immobilienfirma Jost Hurler. Für das moderne Quartier - auch ein Fünf-Sterne Luxushotel ist geplant - verschwinden drei Betonklötze aus dem Stadtbild, die einmal als exklusive Innovation galten. Doch wird hier nicht nur ein Architektur-Rudiment abgerissen; es wird auch das Monument eines Lebensgefühls abgewickelt, als High Life noch wichtiger war als High Profit.
Mittags im Hotelfoyer. Eine Frau in mittlerem Alter, Goldrandbrille, Pelzbesatz am Mantelkragen, fragt den Concierge auf Englisch nach der Zimmerreservierung. Leise klackert das Tippen auf der Tastatur durch die Hotellobby. Eine Gruppe von Männern in dunklen Anzügen geht vorbei, ihre Schritte schluckt der flauschige Teppich mit Siebziger-Jahre-Kringelmuster. Sie schreiten zum "Prinz-Luitpold-Saal", ein Tagungsraum. Auf einem Schild steht "Telekom. Sitzung".
"Wir haben derzeit eine Belegung von 90 Prozent", sagt Peter Bormuth zufrieden. Der Direktor des Holiday Inn, 362 Zimmer, 700 Betten, strahlt die leutselige, dabei seriös-verschwiegene Art aus, die ein erfolgreicher Hotelmanager braucht. Er lehnt sich zurück in den Plüschsessel und berichtet, dass der Betrieb bis zum letzten Tag normal laufe. Keiner der 105 Mitarbeiter kneift, exzellenter Service bis zur letzten Minute. Schließlich haben die meisten schon einen neuen Job. Noch diesen Samstag ist der große Konferenzsaal gebucht. 70 Prozent der Gäste sind inzwischen Geschäftsleute, berichtet Bormuth. Von den restlichen 30 Prozent Touristen fragen allerdings immer noch viele nach den Haien. Bormuth zuckt mit den Achseln. "Wir sind erwachsen geworden", sagt er.
Erwachsen geworden. Das trifft es. Business statt Party, das wollen die Gäste heute in einem Kettenhotel wie dem Holiday Inn. Anfang der siebziger Jahre - ein Jahr vor den Olympischen Spielen - tickte der Zeitgeist anders: München sollte mithalten mit anderen Metropolen, es sollte zeigen: Wir haben das richtige Bett für den Jet-Set. Das erste Holiday Inn Hotel in der Stadt war das Sahnehäubchen auf dem völlig neuen Einkaufs- und Freizeitzentrum "Schwabylon", ein Quartier mit extravaganter Architektur in Form einer Stufenpyramide und knalligen Fassadenfarben. "An Superlativen und Attraktionen wurde nicht gespart", hieß es in der Süddeutschen Zeitung am 16. April 1971 zur Eröffnung des Kongresshotels, das einen "völlig neuen städtebaulichen Akzent" setze.
Es war schlicht cool, einen Hotelkomplex der mit 1293 Dependancen damals größten amerikanischen Hotelbetriebsgesellschaft in der Stadt zu haben, dessen Hotelhalle mit 75 Metern die längste Europas war. Schließlich war so eine exklusive Bettenburg nicht nur ein schnödes Hotel zum übernachten; es war "eine Tafelrunde für Weltbürger", so die SZ. Die Öffentlichkeit erträumte sich einen Tummelplatz für die High Society, mit einem Hauch von James-Bond-Romantik. Dafür brauchte es schon etwas Ausgeflipptes: Haie zum Beispiel, die im "ersten und größten Unterwasser-Nightclub der Welt", so die Abendzeitung über den Tanzclub Yellow Submarine, die Gäste umkreisen. Das gefiel der Münchner Society und jenen, die dazu gehören wollten. "Da war immer Halligalli", sagt Barbara Metz-Egert.
Schwabylon, das ist ein Mythos. Barbara Metz-Egert sitzt jetzt neben ihrem Direktor in einem der Plüschsessel. Sie hat alte Fotoalben hervorgekramt. Seit 33 Jahren arbeitet sie jetzt im Holiday Inn. Gisela Alt sitzt neben ihr,
Sales-Managerin, seit 39 Jahren im Betrieb. Die beiden Veteraninnen des Holiday Inn schauen sich gackernd die alten Bilder aus glorreichen Zeiten an. "Ach schau, der Peter mit dem Model, wie hieß die doch gleich?" Alt nimmt ihre Brille ab. "Na, Cindy Crawford", sagt sie und begutachtet die Schwarz-Weiß-Aufnahme, auf der der ehemalige Hoteldirektor Peter Stadlmüller mit dem weltberühmten Model posiert. Crawford hatte damals, Mitte der achtziger Jahre, ihr erstes Fitnessvideo im Holiday Inn in der Leopoldstraße präsentiert.
Eine Aufnahme zeigt Altkanzler Helmut Schmidt beim Plausch mit Schauspieler Hardy Krüger. Großes Kino sind auch die Bilder von der ausschweifenden Eröffnungsparty im Club Aquarius, der dem Yellow Submarine folgte: Nackte Frauen blinzeln lasziv aus der Dschungel-Deko hervor. "Das könnte man heute nicht mehr machen", kommentiert Alt belustigt. Die Partys in der Diskothek auf drei Ebenen waren legendär: "Es gab sogar einen eigenen Aquaristen", erzählt Barbara Metz-Egert.
Der kümmerte sich um die Raubfische und musste abtauchen, um die Scheiben von innen zu putzen. Doch es kostete einen Haufen Geld, ein Aquarium mit 600 000 Litern Salzwasser zu unterhalten. Schwabylon, die glitzerbunte Freizeitstadt nebenan, war da längst abgerissen und dem Verwaltungsbau einer Versicherung gewichen. "Es wurde Zeit für eine neues Konzept", sagt Bormuth.
Der Direktor hat miterlebt, wie Anfang der neunziger Jahre das glamouröse Flair des Holiday Inn verblasste; die Prominenten und das Partyvolk kamen immer seltener; der Weltbürger-Charme war dahin, die Haie hatten ihre Schuldigkeit getan. Dazu erwuchs dem Hotel Konkurrenz in der Nachbarschaft, erst kam das Renaissance, dann das Mariott. Rockstars wie Jon Bon Jovi hielten lieber im Bayerischen Hof ihre Pressekonferenzen ab.
Das Management konzentrierte sich daher aufs Kerngeschäft: Die feudale Präsidentensuite wurde zum Tagungsraum umfunktioniert. BMW, Siemens, Telekom: Nackte Mädchen wichen nackten Zahlen. Das Management der großen Unternehmen buchte und buchte, die sieben Konferenzräume des Holiday Inn sind bis zuletzt gut belegt. Und wenn eine Fluggesellschaft auf die Schnelle 50 Zimmer braucht, "dann zaubern wir", sagt Bormuth. So geschehen erst vergangene Woche. "Dass die Mitarbeiter das bis zum Schluss mitmachen - das macht mich wehmütig", sagt der Direktor.
Es ist ein stiller Abschied von einer gut geölten Hotelmaschine. Doch es gibt Münchner, die sich mit noch mehr Wehmut an die alte Zeit erinnern. Brigitte Huber, 74, steht, eingehüllt in ein großes Handtuch, im Schwimmbad des Holiday Inn. Römische Säulen und Statuen stehen neben dem Becken - Restposten der mondänen Vergangenheit. Brigitte Huber kommt seit 37 Jahren hierher. Natürlich, die Haie habe sie noch gesehen. Wie stilvoll alles gewesen sei, wie großartig. Sie presst die Lippen zusammen und regt sich jetzt furchtbar auf über den Abriss des Hotels.
Dann sagt sie einen Satz: "Ich könnt' heulen."