Hohe Strafen im Brunner-Prozess:Die harte Seite des Rechtsstaates

Zwischen sieben und zehn Jahren Haft für die Angeklagten - aus guten Gründen. Manchmal gibt es nichts, das mildernde Umstände rechtfertigt.

J. Käppner

Es war der Stoff, aus dem die ganz alltäglichen Albträume sind: Ein Mann mischt sich ein, als zwei Jugendliche in der S-Bahn Kinder bedrohen; keiner hilft ihm, die Sache eskaliert, am Ende liegt er tot auf einem Bahnsteig. Kaum eine Gewalttat hat die Republik so aufgewühlt wie der Mord an Dominik Brunner in München.

Munich S-Bahn Murder Trial Verdicts

Insgesamt hat Brunner nichts getan, was das Verbrechen der beiden jungen Männer in irgendeiner Weise abschwächen machen würde. Die harten Urteile gegen Sebastian L. (Foto) und Markus Sch. sind gerechtfertigt.

(Foto: Getty Images)

Es war ein furchtbares, sinnloses Verbrechen, das die Menschen so beschäftigt, weil es überall und jederzeit geschehen und jeder das Opfer sein könnte. Nun hat das Münchner Landgericht die beiden Täter zu sieben und fast zehn Jahren nach Jugendstrafrecht verurteilt - und damit genau so, wie es Innenminister oder Polizeiverbände gern fordern: mit "der ganzen Härte des Gesetzes". Es hat dies aus sehr guten Gründen getan.

Das Gericht hatte es ja nicht leicht. Auf der einen Seite gab es ein Bedürfnis nach Vergeltung, das in den tieferen Ebenen des Bewusstseins wurzelt und niemals zu befriedigen sein wird, nicht mit der härtesten Strafe, und schon gar nicht mit dem Jugendstrafrecht. Es ist, auch wenn viele das bedauern, kein Recht zum endlosen Wegsperren. Recht ist nicht Rache.

Die Staatsanwaltschaft, hieß es andererseits, habe nicht zeitig mitgeteilt, dass Dominik Brunner in Wirklichkeit an Herzversagen gestorben war. Das zu verschweigen, mag ein Versäumnis gewesen sein. Aber es ändert nichts an der Feststellung: Zum Herzversagen kam es nur, weil der Helfer viehisch getreten und geschlagen wurde.

Recht ist nicht Rache

Zugleich gab es das Bemühen der Verteidigung, das Opfer mitverantwortlich zu machen für sein Schicksal. Mag sein, dass Brunner möglicherweise im Verlauf des Streits anders, deeskalierender hätte reagieren können. Aber das ist einem Menschen kaum vorzuwerfen, der in einer seelischen Extremsituation stand und um sein Leben fürchten musste.

Insgesamt hat Brunner nichts getan, was das Verbrechen der beiden jungen Männer in irgendeiner Weise abschwächen würde; das hat das Urteil mit erfreulicher Klarheit bestätigt. Er hat versucht, den Kindern zu helfen, als einziger unter vielen Zeugen, und er hat diesen Versuch mit dem Leben bezahlt. Das allein ist abschreckend genug für jeden, der künftig in ähnlicher Lage entscheiden muss, ob er eingreift oder nicht. Eine milde Strafe, die das Opfer in einer Verkehrung von Ursache und Wirkung zum Mittäter gemacht hätte, wäre eine Strafe für Zivilcourage gewesen.

Die Justiz, so lautet ein beliebter Vorwurf von konservativer Seite, sei "täterfreundlich". Das Münchner Urteil beweist das Gegenteil. Die Justiz kann sehr hart sein, wenn sie hart sein muss; dazu braucht sie keine schärferen Gesetze, wie sie nach jedem spektakulären Verbrechen und auch nach diesem reflexhaft verlangt werden. Und es ist Ausdruck einer schlichten Weisheit, die in dieser Gesellschaft gern einmal vergessen wird: Menschen sind verantwortlich für ihr Handeln. Und manchmal gibt es nichts, das mildernde Umstände rechtfertigt.

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