Hohe Mieten:Der ganz normale Wohnwahnsinn in München

München: Serie WOHNEN IN MÜNCHEN

Wenig Platz zum Leben: Das WG-Zimmer von Cecil Beehler misst ungefähr 3,6 mal 1,4 Meter.

(Foto: Johannes Simon)
  • Nirgendwo in Deutschland zahlen die Menschen mehr Geld fürs Wohnen als in München.
  • Und die Mieten steigen weiter, ein Ende ist nicht in Sicht.
  • Die einen verlassen deshalb die Stadt, die sie sich nicht mehr leisten können, andere leben in ziemlich beengten Verhältnissen.

Von Günther Knoll, Stefan Mühleisen, Jessica Schober und Laura Terberl

Kleines Heim

Wie winzig fünf Quadratmeter sein können, das war Cecil Beehler vor einem Jahr nicht bewusst. Der Student aus Orlando freute sich einfach, aus der Ferne ein Zimmer in München gefunden zu haben, das auch noch in der Nähe bei TU lag und zugleich so günstig schien. Über Skype sprach er mit seinen zukünftigen Mitbewohnern, die er über ein Internetportal gefunden hatte. Als er auf dem Bildschirm das erst Mal den Raum sah, den man ehrlicherweise Kammer nennen muss, dachte er schon: Das ist aber klein.

"Meinem US-amerikanischen Kopf fällt es leichter, sich Raumgrößen in der Maßeinheit Feet vorzustellen als in Quadratmetern, mir war nicht klar, wie winzig das Zimmer wirklich ist", sagt der 27-Jährige. Er sagte zu. Das Bett füllt nun fast den ganzen Raum, und wenn Cecil die Arme ausstreckt, kann er beide Wände berühren. Eine Kleiderstange hängt über dem Bett und ein winziger Sekretär ist sein Arbeitsplatz. Allerdings muss er sich vor dem Hinsetzen entscheiden, ob er die Tür öffnen will oder nicht.

Seine Miete findet er mit 230 Euro "pretty good", auch wenn der Quadratmeterpreis bei stolzen 46 Euro liegt. Hinzu kommen noch 70 Euro für die Gemeinschaftskasse der WG, in der zusammen gekocht und Essen gekauft wird. Das kommt Cecil Beehler entgegen, denn lange am Stück hält er es in seinem Verschlag nicht aus: 80 Prozent der Zeit verbringt er in der Küche.

Plötzlich obdachlos

Vor einem Jahr ist Sarah Schneider (Name geändert) mit kräftigem Rumms in ein Loch im Münchner Wohnungsmarkt gefallen: Über Nacht stand sie ohne Bleibe da. Zunächst musste die Wirtschaftspsychologin aus ihrer Wohngemeinschaft in Haidhausen ausziehen, Grund: klassische Luxussanierung. Nach langer Suche fand sie eine Wohnung, die von einer Immobilienfirma überraschenderweise extra für eine WG ausgeschrieben war.

Im Treppenhaus standen beim Besichtigungstermin rund 80 Menschen, Schneider bekam die Zusage. Doch es kam nie zum Einzug. Angekündigte Baumaßnahmen fanden nicht statt, der Schlüssel wurde nicht überreicht und am Tag des Umzuges wurde der Mietvertrag schließlich annulliert. "Ich stand mit meinem Umzugslaster vor der Wohnung und musste heulen!" Über Nacht fand sie bei Freunden Unterschlupf und zog schließlich zu der Mutter eines Arbeitskollegen in der Nähe von Dachau.

Dort lebte sie drei Monate in einem Kellerzimmer zwischen Kisten und musste täglich eine Stunde zum Arbeitsplatz pendeln. "Halb so wild", sagt Schneider, "aber ich habe mich einfach nicht zu Hause gefühlt". Beratungen beim Mieterverein ergaben, dass sie in allem Elend vielleicht noch Glück gehabt haben könnte: Die Immobilienfirma sei schon öfter negativ aufgefallen. Heute wohnt Schneider rund 700 Meter von der Wohnung entfernt und sieht täglich die andauernden Bauarbeiten am Haus. "Ich bin froh, dass ich dort nie eingezogen bin."

Schwanger in der Pärchen-WG

WG mit Christkind

Eine Vierer-WG, die aus zwei Pärchen besteht: ungewöhnlich genug. Doch nun bekommt die Pärchen-WG Nachwuchs: Eine der Mitbewohnerinnen erwartet ein Kind und der errechnete Geburtstermin am 24. Dezember forderte die WG zu einigen Diskussionen am Küchentisch heraus. "Als ich schwanger wurde, haben mein Freund und ich kurz drüber nachgedacht auszuziehen", sagt die 29-Jährige. Aber nun wollen sie doch lieber bleiben. 700 Euro zahlen sie für zwei Zimmer mit rund 40 Quadratmetern, mit dem anderen Pärchen teilen sie sich die Küche und das Bad.

Früher hatte die künftige Mutter in London gelebt und bei der Rückkehr nach München sehr lange gesucht, um ein neues Zuhause zu finden. "Der Münchner Wohnungsmarkt ist furchtbar, das wusste ich", sagt sie. Die Vorstellung, jetzt noch hochschwanger nach einer neuen Bleibe zu suchen, einer weihnachtlichen Maria-und-Josef-Geschichte gleich, fand sie schrecklich. Lieber gründet sie eine Familie innerhalb der Pärchen-WG.

Hätten die anderen beiden Mitbewohner da nicht mitgespielt, wäre sie notfalls zurück zu ihren Eltern gezogen. "Ich habe noch keine Vorstellung, wie lange das jetzt nach der Geburt funktionieren kann, irgendwann brauchen wir wahrscheinlich mehr Platz, ein eigenes Kinderzimmer, aber für den Anfang ist es ein schönes Wohnmodell." In jedem Fall steht der WG ein besonderes Weihnachtsfest bevor.

Flucht ins Umland

Stefan Eckert zählt zu den Menschen mit mittlerem Einkommen, die vor dem Münchner Mietmarkt geflüchtet sind. Wenn man mit ihm spricht, klingt das, als wäre er einem Schlachtfeld entronnen. "Ich bin entmietet und vertrieben worden", sagte der Justizfachwirt vor zwei Jahren. Ihm erging es wie vielen Bewohnern sanierungsbedürftiger Wohnblöcke: Ein Investor kaufte das Haus, kündigte die Modernisierung und auch gleich die Mieterhöhung an - zu viel für Eckerts Budget.

Der Auszug war unvermeidlich, doch bei Wohnungsbesichtigungen registrierte er mitleidige Blicke auf seine Gehaltsabrechnung. Eckert weitete den Suchradius aus - und fand eine günstige Wohnung in Otterloh (Gemeinde Brunnthal). Inzwischen fühlt er sich wohl dort. "Der Münchner Mietmarkt lässt mir aber eh keine Chance auf Rückkehr", sagt er heute.

Favela nach "brasilianischem Vorbild"

Alles inklusive

Dass das Paar die 50-Quadratmeter-Wohnung im Hochparterre-Hinterhof in Obergiesing ergattert hat, liegt an der Faulheit der Vormieterin. Und an deren Dreistigkeit. Um sich den Umzug möglichst einfach zu machen, ließ sie die Nachmieter unterschreiben, dass sie ihr alle Möbel abkaufen wollen und die Wohnung "lieber unrenoviert" übernehmen. Wer den Münchner Mietmarkt kennt, weiß, dass Wohnungssuchende so verzweifelt sind, dass sie so ziemlich alles akzeptieren.

Unrenoviert hieß in diesem Fall: altbauhohe Wände, die in einem interessanten Mix aus lila, grau und gelb gestrichen waren. Die Forderung verkleinerte die Konkurrenz, zumal die Wohnung über keinen rechten Winkel und ebenso wenig Sonnenlicht verfügt. Die überteuerten Möbel stehen immer noch dort, gestrichen haben die neuen Mieter dreimal, bis das Grau überdeckt war.

Favela in Giesing

Kein Wunder, dass manchem da nur noch Sarkasmus bleibt: So wie dem Verfasser einer Anzeige, die kürzlich auf der Internetseite wg-gesucht zu lesen war: Gesucht wurden "engagierte Leute für die Gründung eines Slums". Die Ansprache war unmissverständlich: "Bist du eine gescheiterte Existenz? Eine der letzten nicht erschlossenen Flächen Münchens wartet auf dich."

Konkret ging es um die Hänge des Giesinger Berges, die "nach dem Vorbild brasilianischer Favelas" mit Wellblechhütten bebaut werden sollten. Gefragt waren neben handwerklichen Fähigkeiten und Improvisationstalent auch "Erfahrung aus dem illegalen Wohnungsbau" sowie Karate. Die zu gründende "Favela Giesing" biete die Chance, seinen "privaten Traum als Kleinkrimineller zu verwirklichen". Aus der Idee wurde nichts, weil das Inserat schnell deaktiviert wurde.

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