Süddeutsche Zeitung

Hörenswert:Frischekur für Welthits

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Eine fulminante Louis-Armstrong-Hommage von Trompeter Martin Auer

Von Oliver Hochkeppel

Unter normalen Umständen wäre die Sache wohl anders gewürdigt worden. Doch die Pandemie überschattet auch den 50. Todestag von Louis Armstrong in diesem Juli (obendrein ist sein 120. Geburtstag im August). Kaum ein Gedenkkonzert ist bislang angekündigt, kein Festival hat sein Konterfei bisher aufs Plakat gehoben. Dabei war Satchmo, wie er genannt wurde, in den Zwanzigerjahren als Kornettist, Trompeter und Komponist der wichtigste Gründervater des Jazz, danach eine prägende Figur der Swing- und Bigband-Ära und noch in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Sänger (mit seinem unverwechselbaren gepressten Sprechgesang) und Entertainer ein Weltstar. Ein Nachfahre freilich hat an ihn gedacht und etwas gemacht.

Unter dem Titel "Hot 5" ist soeben das neue Album des Trompeters Martin Auer und seines Quintetts erschienen, eine Hommage an Louis Armstrong und zugleich ans 25-jährige Bestehen der Band, das an diesem Freitag auch im Livestream aus der Unterfahrt vorgestellt wird. Der 45-Jährige aus Prien am Chiemsee hat seine Vielseitigkeit und Innovation schon immer aus der Tradition geschöpft. So hat er nicht nur für so unterschiedliche Jazzer wie Pat Metheny, Clark Terry oder Nils Landgren und Pop-Musiker wie Cyndi Lauper, Udo Jürgens oder die Fantastischen Vier gearbeitet, sondern auch in diversen Bigbands - und bei den South West Oldtime All Stars, die sich ganz den zwischen 1925 und 1928 aufgenommenen Klassikern von Louis Armstrongs legendären Hot Five- und Hot Seven-Besetzungen verschrieben haben und sie originalgetreu spielen.

Genau dieses Repertoire ist jetzt auch die Grundlage für "Hot 5". Allerdings ziehen Auer und seine Begleiter die ehrwürdigen Klassiker wie "Wild Man Blues", "Hotter Than That" oder "Struttin' With Some Barbecue" (deren Historie im Booklet von Trevor Richards ausführlich und exzellent vorgestellt wird) nach einem kurzen Intro im traditionellen Sound beim Opener "Irish Black Bottom" schnell in die Gegenwart. Viel Hardbop, wilde Tempo- und Rhythmuswechsel, eine dem Cool Jazz entliehene Balladenkultur (das letzte CD-Projekt der Band war 2015 ja eine Retrospektive auf "Kind of Blue") und eine große Lust am Improvisieren und Solieren katapultieren Armstrongs heute etwas vergessene, damalige Welthits in aktuelle Klangwelten.

Was mit dem Münchner Personal wohl gar nicht anders möglich gewesen wäre, an dem Auer, obwohl seit langem in Berlin lebend, seit 25 Jahren in Nibelungentreue festhält. Holzbläser Florian Trübsbach, Pianist Jan Eschke, Bassist Andreas Kurz und Schlagzeuger Bastian Jütte gehören heute allesamt zur Creme de la Creme des deutschen Jazz-Establishments, und zwar des modernen. Es ist dementsprechend ein echtes Aha-Erlebnis, ihre Armstrong-Interpretationen zu hören. Und man wünscht sich nach dem Genuss dieses fulminanten Albums, dass auch andere "Moderne" sozusagen zurück in die Zukunft blicken würden. Denn Satchmos alte Geniestreiche klingen hier und so gespielt innovativer und zeitloser als die meisten von deren unvermeidlichen, ach so zeitgemäßen Eigenkompositionen.

Martin Auer Quintett: "Hot 5" , Laika-Records, Präsentation im Livestream: Freitag, 16. April, 20 Uhr, Unterfahrt, www.unterfahrt.de

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Quelle:
SZ vom 16.04.2021
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