Süddeutsche Zeitung

Hörenswert:Der nötige Irrsinn

Es gibt Coverbands. Und es gibt "Boxhead", die aus allem mehr machen

Von Egbert Tholl

Kaum ist das anfängliche Klanggewitter vorbei, knallen einem die Akkorde gegen den Kopf. Gitarre, Bass, Orgel, Schlagzeug, vereint in wundervoller Sturheit, als könnten sie stundenlang ein und dasselbe tun, wumm wumm wumm, dunkel, aufreizend, aufregend. Da braucht es keine Varianz. Das hat genug Überzeugungskraft. Dann nehmen sich die vier Herren an ihren Instrumenten ein wenig zurück, geben dem Sänger Raum. "I was only seventeen, I fell in love with a gypsy queen." Kaum hat er dies gesungen, mit expressiven, verheißungsvollen Tremolo, geht es weiter, wumm wumm wumm. Und weiter und weiter, hin und her zwischen Stimme und den Instrumenten, bis diese für lange Zeit das Geschehen vollständig übernehmen, immer verrückter werden, seltsame Harmonien modal gegeneinander schneiden. Aus. Die Orgel ist allein übrig. Spielt eine Art Kinderlied, das schwer schnaufend in einen Ton gerinnt, der vor sich hin gleißt, bis der leuchtende Klangstern im Gurgeln der tieferen Register versinkt, ein Schlagzeugwirbel - und es geht wieder los, wumm wumm wumm.

1970 betrat die britische Band Uriah Heep mit "Gipsy" die Weltbühne des progressiveren Hardrocks. 50 Jahre später klingt das Debüt noch genauso aufregend, nur spielt hier gar nicht Uriah Heep, sondern Boxhead. Deren fünf Bandmitglieder fanden sich im Sommer 1999 als Schulband am Josef-Effner-Gymnasium in Dachau, und wenn alle Schulbands so klängen, man müsste sich um die gymnasiale Ausbildung hierzulande keine Sorge mehr machen. Zum 20. Geburtstag nahmen sie sich eine CD auf, zu bestellen über info@boxhead.de. Sie trägt den Titel "20", mehr muss man nicht sagen. Tatsächlich spielen sie, mit Ausnahme von Sänger Mikey Wenzel, der zwar auf demselben Gymnasium war, aber erst 2013 fest zur Band kam, heute noch in der Gründungsbesetzung: Florian Ebner, Martin Treppesch, Andi Pernpeintner und Jan van Meerendonk. In dieser hätten sie fast mal einen Wettbewerb gewonnen, den der Landesvereinigung der Bayerischen Milchwirtschaft, doch die Eigenkomposition "Göttertrank" erreichte unter 130 Bands nur den vierten Platz.

Nach Milch klingt ihre Musik ohnehin nicht. Die Fünf widmen sich mit Liebe der Rockmusik der späten Sechziger und frühen Siebzigerjahre, und da damals einige der besten Songs geschrieben wurden, die überhaupt je geschrieben wurden, spielen sie die halt nach. Aber wie. Und das muss man sich erst einmal trauen: Lieder von Deep Purple, Uriah Heep, Led Zeppelin, zur Entspannung mal einen Hammondorgel-Spaziergang von Booker T. & The MG's, zur Nichtentspannung, Hendrix' "Voodoo Child". Und sie können es. Boxhead hat den Druck, die Improvisationskunst und den Irrwitz dieser 50 Jahren alten, gloriosen Rockmusik. Und doch sind sie Boxhead, haben ihren eigenen Kopf, ersetzen etwa das psychedelische Zwischenspiel von Led Zeppelins "Whole lotta love" durch ein ganz eigenes Klimbimexperiment. Es bleibt die Erkenntnis: Wer Led Zeppelin oder Deep Purple (die frühen) liebt, wird Boxhead umarmen.

Wie kommt man jetzt auf die? Erstens spielen sie am 1. Mai einen Livestream im Rahmen von "Spotlight on DAHoam", einer Initiative unter anderem des Gewerbevereins Dachau handelt e.V. Ziel ist es, die Dachauer Musikszene am Leben erhalten und Ton- und Veranstaltungstechnikern die Gelegenheit der Berufsausübung zu bieten (20 Uhr, www.spotlight-on-dahoam.de). Das Zuschauen kostet nichts, Spenden über die Website sind willkommen. Zweitens spielt Andreas Pernpeintner bei Boxhead Hammondorgel. Normalerweise spielt er Klavier, schreibt als freier Journalist für die SZ Musikkritiken, meist aus dem klassischen Genre, und arbeitet als Musikwissenschaftler an der neuen Richard-Strauss-Gesamtausgabe mit. Wenn er das nicht tut, verwandelt er sich in John Lord (Deep Purple) oder John Paul Jones (Led Zeppelin), steht diesen weltgrößten Organisten in Nichts nach, ist ungemein geistreich, gewitzt, kennt alle Stile und verfügt über den nötigen handwerklichen Irrsinn.

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SZ vom 30.04.2021
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