Hochschulen:Immer mehr Studierende suchen psychologische Hilfe

Hochschulen: Swantje Röck ist eine von neun Therapeuten, die bei der psychotherapeutische Beratungsstelle Studenten helfen können.

Swantje Röck ist eine von neun Therapeuten, die bei der psychotherapeutische Beratungsstelle Studenten helfen können.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Der Druck auf die Studenten wächst - jedes Jahr steigt der Bedarf an Beratung um etwa zehn Prozent.
  • In München können sich Studierende an die Beratungsstelle des Studentenwerks wenden.
  • Hier können sie sich sogar anonym beraten lassen - das Angebot soll niederschwellig sein.

Von Sabine Buchwald

Der erste Schritt ist ein schwieriger, vielleicht der schwierigste, wenn man sich selbst in einem Loch sitzen sieht und keinen Ausweg weiß. Egal, aus welchem Grund Studierende in die Krise geraten, die Beratungsstelle des Studentenwerks ist da, um diesen ersten, wichtigen Schritt zu erleichtern und mit konkreten Angeboten zu helfen. Bei dem einen sind es finanzielle Probleme, ein anderer weiß nicht, wie er mit unangenehmen Mitbewohnern umgehen soll oder wie er seinen Liebeskummer überstehen soll, der ihn vom Lernen abhält. Wichtig ist zu wissen: Es gibt Hilfe.

Man muss noch nicht mal seinen Namen nennen, wenn man anonym bleiben will. Sogenannte Gedächtnisprotokolle der Therapeuten gehen nicht nach außen. Vor allem bei psychischen Problemen befürchteten Jura- oder Lehramtsstudenten, später nicht verbeamtet zu werden, sagt Swantje Röck, eine der neun Therapeuten, die Licht in dunkle Tage bringen können. Sie arbeitet seit acht Jahren bei der psychologischen Beratungsstelle des Studentenwerks, hat sie zeitweise geleitet. Sie glaubt, dass diese Angst nicht aus der Luft gegriffen ist. Der Druck auf die Studenten wachse, sagt sie, und jedes Jahr steigt der Bedarf an Beratung um etwa zehn Prozent.

Röck, 49, trägt Jeans zu einer karierten Bluse, flache Schuhe, die langen Haare offen. Sie ist promovierte Anästhesistin und Analytikerin, fand über die Schmerztherapie und Psychosomatik zur psychotherapeutischen Beratung. Studierende, die mit ihr oder einem ihrer Kollegen sprechen, bekommen konkrete Vorschläge mit nach Hause. Allerdings: Therapiert wird hier nicht. "Wir bieten ein niedrigschwelliges Angebot, Studenten zu helfen", sagt Röck. Man versucht bei der Beratung, die Ursache der Probleme herauszufinden, die Hilfesuchenden zu stabilisieren und ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, aus ihrer Lage herauszufinden.

Je nach Diagnose und Problem wird ihnen beispielsweise eine ambulante Psychotherapie oder ein Coaching empfohlen, um sich etwa Lernstrategien anzueignen. Dafür gibt es seit 2017 eine eigene Coachingstelle. Bis zu drei Gespräche sind bei der psychotherapeutischen Beratungsstelle möglich. Sie sind kostenlos und tauchen nicht auf der Krankenkassenkarte auf.

Finanziert wird die Beratung durch den obligatorischen Grundbeitrag an das Studentenwerk, derzeit 62 Euro pro Semester. 1510 Anmeldungen wurden im vergangenen Jahr gezählt und 2491 Beratungsgespräche geführt. 60 Prozent Frauen und 40 Prozent Männer kamen, davon 70 Prozent Studenten mit deutscher Staatsbürgerschaft. In diesem Jahr gab es bis Anfang November schon 1519 Anmeldungen. (Mail: psycho-beratung@stwm.de; Telefon: 35713540) Warum steigt die Zahl beständig an? Röck sucht im Gespräch nach Erklärungen. Mit der wachsenden Zahl der Studierenden steigt natürlich entsprechend die Anzahl derer, die Hilfe benötigen. An der Ludwig-Maximilians-Universität und der TU München zusammen sind derzeit mehr als 112 000 Studenten immatrikuliert.

Viele sind mit dem Leistungsanspruch überfordert

Das Studentenwerk ist aber für die insgesamt 14 angeschlossenen Universitäten und Hochschulen zuständig. "Gut zu performen" und Leistung zu bringen, das sei heute vielen sehr wichtig, sagt sie. Zu den Stressfaktoren gehören beispielsweise das Aussehen, vor allem aber setzen die Noten die jungen Leute unter Druck, weil sie nur mit einem guten Schnitt einen Masterstudienplatz ergattern. Sie fühlen sich gezwungen, Praktika zu machen und ins Ausland zu gehen, um mehr vorweisen zu können als die Konkurrenz und den Lebenslauf interessanter zu machen. Das führe auch dazu, beobachtet Röck, dass sich die Studenten weniger kollegial verhalten.

Die Studiengänge seien verschulter und damit strikter, sagt sie. "Früher war viel mehr Luft für die jungen Leute." Heute gebe es mehr Vorgaben, die erfüllt werden müssen. Wenn es einem nicht gut gehe, könne man kaum eine Prüfung oder einen Abgabetermin verschieben, sonst gelte man als durchgefallen. Aus Röck spricht viel Verständnis für die Studierenden. Es werde sehr viel verlangt, sagt sie.

Bedingt durch das G8 beginnen die Erstsemester in der Regel jünger als früher. Wer nicht am Heimatort bleibt, muss plötzlich das erste Mal im Leben für sich selber sorgen, sich um Essen, Wäsche, neue Beziehungen kümmern, und ist darauf nur unzureichend vorbereitet. Aus dem ehemals fidelen Studentenleben der Siebziger- oder Achtzigerjahre ist heute ein oftmals knallharter Alltag geworden. Dazu kommt: München ist eine teure Stadt, die sich viele nur mit jobben leisten können. Manche Studenten ächzten ganz schön, sagt Röck. Ein großes Thema sei die Sucht nach digitalen Medien, die nicht selten in die soziale Isolation führe. Vor allem bei Leuten, die sozial unsicher seien. Darüber vergäßen manche die Zeit, die ihnen dann beim Lernen fehle.

Oftmals dramatisch ist die Lage ausländischer Studierender. Viele unterschätzen die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Die erste Freude über die Zusage für einen Studienplatz weiche der Not, eine Unterkunft zu finden. Das Studentenwerk bietet 11 000 Betten in München, Freising und Rosenheim. Das ist bei weitem nicht genug, um den Bedarf zu decken. Wer aus dem Ausland kommt, sieht sich nicht selten mit interkulturellen Problemen konfrontiert. Auf manchen laste die Erwartung der Familie, die finanzielle Opfer bringt, damit der Sohn oder die Tochter in Deutschland studieren kann. Wenn dann das Studium nicht so läuft wie erwartet, wächst die Belastung.

Röck erzählt von einem jungen Mann, der sich verzweifelt dem Wunsch der Eltern beugte, eine von ihnen ausgesuchte Frau zu heiraten. "Wir können sehr oft helfen, aber nicht allen", sagt sie. Solche Geschichten stimmen sie traurig. Prinzipiell aber gilt: Wer Empfehlungen nicht oder erst später umsetzt, wird von ihr keinen Druck erfahren. Und die Tür bleibt offen.

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