Hochschule für Film und Fernsehen:Der Regisseur, der immer wieder bei "E.T." weinte

wickie walchensee

Heute ist Ditter in Deutschland als Regisseur etwa von "Wickie auf großer Fahrt" etabliert und geschätzt, und nun auch in den USA erfolgreich.

(Foto: Marco Nagel/Constantin Film)

Christian Ditter war als Junge so verwundert über seine Gefühlsausbrüche, dass ihn Filme nicht mehr losließen. Der ehemalige Münchner Student hat nun für Hollywood "How to be Single" gedreht.

Von Philipp Crone

Beim dritten Mal heulte er immer noch. Wie bitte, dachte sich Christian Ditter, kann das sein? Zum einen war das Video von "E.T." vom hin- und herkopieren auf VHS-Kassetten seiner Schulfreunde kaum mehr richtig zu sehen, aber viel wichtiger war ja: Der 13-Jährige wusste doch ganz genau, als er den Film von Steven Spielberg das dritte Mal sah, wie er ausgehen würde. Trotzdem: wieder Tränen. Wieder Emotionen.

Die Geschichte, Bilder, Kamera-Einstellungen, Schnitte, Musik, alles zusammen brachte ihn immer wieder zum Weinen. Warum? Diese Frage besiegelte damals sein Schicksal, sein berufliches. Und weil er bis heute nach Antworten sucht, obwohl er als Regisseur schon einige gefunden hat, liest sich sein Werdegang, wie sich das jeder Regiestudent erträumt: Abschlussfilm läuft im Kino, deutsche Filme mit Millionen Zuschauern, dann internationales Kino und jetzt: Hollywood.

Ditter, 39, sitzt im Max-Emanuel-Biergarten an einem sonnigen Aprilnachmittag und sagt über das "E.T."-Erlebnis: "Das war, als ob man ein Lego-Modell wieder zurückbaut und sich hinterher ansieht, wie die einzelnen Teile zusammengebaut sind." Ditter ist dreifacher Vater, wohnt nebenan und hat gerade noch mit seinem viereinhalbjährigen Sohn an einem Lego-Hubschrauber gebastelt.

Alles, was in einem Film zu sehen ist, spielt eine Rolle

Wenn dieser schmale koboldige Kerl, der seit zehn Jahren aussieht wie Ende zwanzig, vom Film spricht, wirkt das, als ob ein Mathe-Professor über Gefühle referiert. "Es gibt zum Beispiel das Prinzip des Plant & Pay off." Eine der Grundgleichungen des Filmemachens. Pflanze etwas in den Film ein, später kommt es wieder zum Vorschein und zahlt sich aus. In den Filmwährungen Emotion oder Erkenntnis.

Neben "E.T.", den sich der junge Ditter damals jede Woche einmal ansah, gab es noch einen zweiten Film, den er genauso oft gesehen hat. "Bei ,Zurück in die Zukunft' sieht man Plant & Pay off in Vollendung: In der ersten Szene rollt ein Skateboard an eine Box, auf der ,Plutonium' steht, dann kommen Uhren ins Bild, die 15 Minuten nachgehen und anschließend ein Plakat, auf dem ein Bürgermeisterkandidat für sich wirbt." All das wird später eine Rolle spielen.

Pflanzen und ernten. Statt Plutonium oder Uhren wären das, würde man einen Film über Ditter mit dieser Technik beginnen: Avid, Viva, "Türkisch für Anfänger", "Wickie auf großer Fahrt" und New Line Cinema. Das ist die US-Produktionsfirma, die etwa "Herr der Ringe" produzierte und Ditter nach seinem jüngsten Film fragte, ob er nicht für sie drehen würde.

Ditter sieht ein wenig aus wie eine Mischung aus Marty McFly und dem verrückten Professor Doc Brown. Er sagt: "Alles, was der Zuschauer sieht, hat in einem guten Film auch eine Bedeutung, gleich oder später." Deshalb sind Soaps oft langweilig und Spielberg-Filme oft spannend. Die einen drehen Dinge ohne Bedeutung, die anderen mit.

Ditter drehte zunächst einmal ohne Ausrüstung, dafür mit Ausdauer. Die Super-8-Kamera seines Vaters und ein von den Eltern erbettelter Videorekorder. "Nach ,Zurück in die Zukunft' habe ich mir sofort ein Skateboard gekauft" - um seine Kamera darauf zu stellen und Fahrten zu simulieren. Denn ein weiterer Legostein für einen Filmemacher sind die Kamera-Einstellungen.

Mit welcher Ausdauer Ditter Regisseur wurde

"Was bewirkt eine Zufahrt, was eine Wegfahrt", hat sich Ditter damals gefragt. "Bei einer Zufahrt komme ich der Figur sehr nahe, es entsteht auch emotional Nähe." Und wenn nun ein Mensch etwa im Biergarten sitzt, die Kamera erst auf seinem Gesicht, dann aufzieht und man sieht, dass er ganz alleine an einem Tisch hockt, während um ihn herum alle in Gruppen wild durcheinanderreden, kann das Einsamkeit erzeugen, "oder Entspannung, je nachdem, was der Film erzählt". Noch sitzt Ditter alleine auf seiner Bierbank.

Mit 14 kann Ditter "E.T." auswendig, als die Familie nach Gütersloh zieht und er an seiner Schule die Video-AG belegt. Er verbringt ganze Wochenenden am Schneidegerät. "Ich hatte schon damals viele Freunde", sagt er und sortiert die sechs Bierdeckel neu, die er seit einer Stunde dreht und wendet, als seien es Legosteine, die nicht zusammenpassen. Nicht, dass der Eindruck entsteht, hier sei jemand als einsamer Technik-Nerd den frühen Videokameras verfallen. "Ich habe die Freunde immer für Filme eingespannt, oft haben die aber nur ein paar Tage mitgemacht."

Ausdauer braucht man als Filmemacher, und klare Vorstellungen. Als Ditter für die Schulband Musikvideos schneidet, sind die nachts auf Viva zu sehen (erstes Pay off) und gewinnen einen Wettbewerb. Ditter wird nach München eingeladen und erfährt, dass es da eine Filmhochschule namens HFF gibt.

Manche sammeln schnell Erfahrungen

Dort wird er nach dem Abitur vorstellig, allerdings heißt es: zu jung, sammle erst mal Lebenserfahrung. Er schreibt sich in Lüneburg für Kommunikationswissenschaften ein. "Weil ich wusste, dass die mit einen der ersten professionellen Avid-Videoschnittplätze hatten." Ein Jahr später kommt Ditter wieder zum Vorstellungsgespräch, "da haben die gelacht". Manche sammeln schnell Erfahrungen.

Ditter studiert in München, seine Kurzfilme gewinnen Preise, sein Abschlussfilm "Französisch für Anfänger" war 2006 kurzzeitig auf Platz vier der Kinocharts, über einen Schüleraustausch nach Frankreich, wie er ihn selbst erlebt hatte. "Wichtig ist es, einen persönlichen Zugang zu einem Film zu haben, dann funktioniert er emotional." Wie? An der Stelle wird aus der Wissenschaft mit berechenbaren Einstellungen, Fahrten oder Lichteinfall die Kunstform. Der Professor für Gefühle, sagt: "Es gibt kein richtig oder falsch. Es gibt nur: Ich glaube es oder ich glaube es nicht."

Der Regisseur muss glauben, was er sieht. Dann glaubt es auch der Zuschauer. "Das ist so, als ob einem auf einer Party jemand eine Geschichte erzählt. Da weiß man doch auch sofort, ob man das jetzt glaubt oder nicht."

Die Schauspieler spielen, der Regisseur fühlt. Sind beide gut, fühlt der Zuschauer, dass es nicht gespielt ist.

"Ich kann am Set auch nicht immer sagen, wie ich etwas haben will. Aber ich weiß, wenn ich zwei Versionen gesehen habe, welche die richtige ist." Wenn jemand zum Beispiel in einer Szene von seinem Gegenüber zehn Euro haben möchte, "da kann er bitten, betteln oder auch kämpfen, kann alles richtig sein", aber nicht alles wirkt auch echt. "Warum funktioniert der neue Star-Wars-Film so gut? Weil man die Freundschaft zwischen Ray und Finn glaubt, so wie bei den alten die zwischen Luke, Han Solo und Leia." Ditter übersetzt ins Glaubhafte. Seit 26 Jahren.

"Keine zwei Schauspieler sind gleich"

Mit Bora Dagtekin, dem Regisseur von "Fack ju Göhte", einem gelernten Drehbuch-Autor, dreht Ditter noch während der Ausbildung eine Sitcom, später einige Folgen der "Türkisch für Anfänger"-Serie. "Schon damals war er für mich einer der besten Regisseure", sagt Dagtekin. Mit seinem Gespür, für Schauspieler und für die Geschichte, "analytisch und dramaturgisch sehr versiert".

2005, nach dem Abschluss an der HFF, geht es nahtlos weiter. Produzent Christian Becker ("Türkisch für Anfänger", "Fack ju Göhte") sagte Ditter, nachdem er einen seiner Kurzfilme gesehen hatte: "Wenn du mal einen Langfilm machst, sag Bescheid." Sie drehen zusammen "Vorstadtkrokodile" und "Wickie auf großer Fahrt".

Nora Tschirner, Günther Kaufmann, Eva Padberg, Christian Ulmen, Elyas M'Barek, Christoph Maria Herbst - sie stehen am Set mit Ditter. Für den Legostein- Schauspieler interessiert sich der Regisseur anfangs am wenigsten, vielleicht weil er für den Mann mit Mathe-LK am wenigsten berechenbar ist.

"Keine zwei Schauspieler sind gleich", sagt er. "Der eine ist beim ersten Take am besten, der nächste muss sich erst in die Szene einfinden und ist beim fünften am besten." Also fragt er, der Regisseur. Um zu lernen, mit welchen Charakteren er es zu tun hat. "Das ist auch ein bisschen wie beim Lego-bauen. Die einen sagen: Lass mich, ich will keine Hilfe. Die anderen lassen sich beraten."

Wie man gute Regisseure erkennt

Der Chef am Set fragt dann also. "Ich kenne nicht das beste Licht, das weiß der Kameramann, das beste Kostüm kennt die Maskenbildnerin und die beste Mischung der Tonmann." Und wenn Ditter das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt? "Dann sage ich zum Beispiel: Fühlt sie sich in den Klamotten denn nicht unwohl?" Produzent Becker sagt: "Ein guter Regisseur lässt sich immer auch Sachen anbieten am Set." Verschiedene Varianten, eine Szene zu spielen zum Beispiel. "Man erkennt den guten Regisseur, wenn einem an einem Film einfach alles gefällt."

Wenn die Schauspieler natürlich wirken, einen die Handlung mitzieht, die Geschichte immer im Blick bleibt, die Musik passt. Das merkten auch die Produzenten von New Line Cinema und ließen Ditter "How to Be Single" drehen, der am Donnerstag in Deutschland angelaufen ist und in den USA bereits mehr als 100 Millionen Dollar eingespielt hat. Mit Dakota Johnson ("Fifty Shades of Grey") in der Hauptrolle und Lily Collins, der Tochter von Phil Collins.

Der Biergarten hat sich gefüllt, Ditter die Sonnenbrille abgelegt, zwei Bierdeckel sind ihm runtergefallen. Er schaut in die Sonne und überlegt. "Im Prinzip geht es in jeder Szene um die Frage: Was will die Figur? Was steht ihr im Weg? Erreicht sie es oder nicht." Klingt wie eine Art Dreisatz. Im Prinzip geht es immer darum, die Zuschauer zu bewegen, wie "E.T" den jungen Ditter bewegt hat.

Bora Dagtekin, auch ein Kenner des "Plant & Pay off", sagt: "Da schlummert noch einiges in ihm." Und für Produzent Becker ist Ditter "immer ein normaler, filmbegeisterter Junge geblieben". Dann zögert er kurz und überlegt laut, ob man das jetzt glaubt oder ob es nicht echt wirkt, wenn er über Christian Ditter sagen würde: "Seine Filme versuchen immer, die Welt ein bisschen besser zu machen." Glaubt man es?

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