Süddeutsche Zeitung

Hoch hinaus:Zehn neue Türme

Nach der Eisenbahn kam die Telekom nach Berg am Laim

Von U. Steinbacher

Bevor München begann, sich auszubreiten, war Berg am Laim ein Dorf auf einer Lehmzunge. Im Mittelalter wurden Ziegel für die Großbauten jenseits der Isar gebrannt, für die Frauenkirche zum Beispiel. Die Industrialisierung spülte dann all die Infrastruktur auf die Felder des Dorfes, die die Stadt nebenan unbedingt brauchte, aber nicht in ihrem Zentrum haben wollte. Zuerst entstand 1871 die Lebensader: die Eisenbahnstrecke Richtung Mühldorf und Rosenheim mit einem Rangierbahnhof und einem Bahnbetriebswerk für Dampflokomotiven. In der Folge siedelte sich beidseits der Gleise Gewerbe an, die Züge sicherten ja den schnellen Vertrieb der Waren. Dahinter, in zweiter Reihe, entstanden die großen Wohnblocks für die Eisenbahner. Als Berg am Laim 1913 nach München eingemeindet wurde, war die Gegend noch ländlich geprägt, aber mit der Verlängerung der Straßenbahn vom Ostbahnhof bis nach Ramersdorf in den Zwanzigerjahren änderte sich das. Großwohnsiedlungen entstanden, das Dorf wurde Vorstadt.

Das Grundmuster der Bebauung ist in den vergangenen 150 Jahren ziemlich unverändert geblieben: Gewerbe entlang der Gleise, Wohnhäuser dahinter. Die konkrete Gestaltung aber, die wandelte sich dramatisch. Im Dreieck zwischen Bahngleisen, Leuchtenbergring und Berg-am-Laim-Straße etwa: Wo die Züge in einer sanften Kurve zum Ostbahnhof einschwenken, sahen die Fahrgäste, die links am Fenster saßen, jahrzehntelang eine riesige Brachfläche. Gebrauchtwagenhändler fuhren dort ihr Angebot auf, später ließ sich ein Zirkus nieder. Inzwischen müssen die Betrachter im Zug den Kopf in den Nacken legen, um etwas zu sehen: Die Telekom hat an der Dingolfinger Straße ihre Ten Towers errichtet - einen Bürokomplex für 3000 Mitarbeiter in fünf Doppeltürmen mit 15 Stockwerken, alle verbunden durch gläserne Stege in unterschiedlichen Höhen. Ein sechsstöckiger Rundbau schließt das Turm-Band ab wie der Punkt das Ausrufezeichen. Mit einer schrägen Glasfassade ragt diese Rotunde über der Abfahrt zum Leuchtenbergtunnel auf.

Der Komplex verhalf den Architekten Kiessler + Partner 2006 zum Preis für Münchens beste Gewerbeimmobilie. Ihr Werk lässt sich auch von oben betrachten: Wer keine Höhenangst hat, fährt mit dem Panoramaaufzug von Haus Nummer 5 in den 14. Stock, wo im längsten der vier Verbindungsstege die "Skylounge" eingerichtet ist. Beim Cappuccino auf cremefarbenen Sofas hat man einen Blick auf Hochhaus-Ensemble und Skyline: Im Westen über Haidhausens alte Kirchen hinweg sind weitere Münchner Kirchtürme zu sehen, im Osten Wohnblocks und Einfamilienhäuser mit den Alpen am Horizont - altes Zentrum und neue Viertel, Stadt und Vorstadt.

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Quelle:
SZ vom 07.04.2015
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