Süddeutsche Zeitung

Hobby Stricken:Zwei links, zwei rechts

Handarbeiten galt lange Zeit als spießig. Doch der ehemals angestaubte Zeitvertreib ist wieder angesagt. Nun treffen sich Frauen und einige Männer zum gemeinsamen Stricken in Cafés, Wollläden - und sogar im Haus der Kunst.

Von Kathrin Hollmer

Hier steht 'Mit linken Maschen aus den Randmaschen heraus stricken'. Links kann man doch gar nicht herausstricken!" Die Frau ist aufgebracht. Mit dem Strickzeug in der einen und einem Handarbeitsbuch in der anderen Hand kommt sie auf Linn Quante und Rosmary Stegmann zu. Die beiden haben sich bereits mit Wolle und Stricknadeln in einer Nische im Haus der Kunst ausgebreitet. Linn sieht kurz in das Buch. "Das geht genau wie rechts, nur, dass man den Faden nach vorne nimmt - wie bei einer normalen linken Masche", sagt sie. "Ach", sagt die Frau und bedankt sich. Sie ist sichtlich zufrieden, setzt sich, strickt weiter.

Die Kulturarbeiterin Linn Quante, 29, und Rosmary Stegmann, 43, Gründerin des Wolle-Labels Rosy Green Wool sind es gewohnt, manchmal Nachhilfe in Handarbeit zu geben. Seit fast zwei Jahren veranstalten sie regelmäßig sogenannte "Knit Nites", Stricknächte. Das bedeutet, sich abends auf ein Bier zu treffen - und zu stricken. An solchen Abenden arbeiten die meisten an teils aufwendigen Strickprojekten. Sie freuen sich über die Unterhaltung bei der sonst so einsamen Handarbeit.

Strick-Treffs gibt es mittlerweile viele in der Stadt, vor allem in Cafés und Wollläden. Denn das, was ältere Generationen noch unter dem Begriff "Handarbeiten" zusammengefasst haben, liegt bei Jüngeren im Trend. Längst wurde das Hobby mit dem altmodischen Image entstaubt und in ein neues Zeitalter katapultiert. Stricken ist heute alles andere als spießig. Das sehen auch Linn und Rosmary so, die Erfinderinnen der Stricknacht. "Wir wollten keine Kaffeeklatschstimmung, sondern einen coolen Ort, mit Bewegung, Kulturaustausch", sagt Linn Quante. Seit Februar 2012 laden sie etwa alle zwei Monate an ungewöhnliche Orte. Diesmal sind sie beim "Festival of Independents" im Haus der Kunst.

Etwa 20 Strickerinnen sind gekommen, auch ein Mann ist dabei. Die Stühle reichen nicht, darum werden immer wieder welche dazugeholt. Am Boden liegen neben Handtaschen und Rucksäcken durchsichtige Plastiktüten mit murmelkleinen bis honigmelonengroßen Wollknäueln. Es ist laut, denn die Strickerinnen sind nicht die einzigen Anwesenden. In einem Workshop wird Siebdruck erklärt, von einem Vortrag dringen immer wieder Wortfetzen und Musik hinter einer Trennwand hervor. Die Besucher der Stricknacht stört das nicht. Das Klappern von Holz- und Metallnadeln hört man nur selten durch die Unterhaltungen durch. Die einen diskutieren über Nadelstärken und Wollläden, andere über die Mützen und Pullis, an denen sie gerade arbeiten. Oder über den vergangenen Urlaub.

Und das alles, ohne sich anzusehen. Hoch konzentriert schauen alle auf die Schals und Socken auf ihrem Schoß, auf die zwei oder vier Nadeln, an denen das Strickwerk baumelt, und die Wolle, die über ihre linken Zeigefinger gewickelt ist. Manchmal sehen sie dann doch hoch. Zum Beispiel, als Stefanie Ramb, 32, Regie-Assistentin beim Bayerischen Rundfunk und Gründerin des Taschenlabels Krambeutel, erklärt, welche Spezial-Handschuhe sie sich gerade strickt: "Ich brauche welche zum Fahrradfahren."

Durch gestrickte zieht es durch, deswegen habe ich welche aus Wollwalk genäht, mit Leder an der Innenfläche, damit ich nicht vom Lenker abrutsche. Jetzt stricke ich noch Bündchen dran", sagt sie. Stefanie Ramb ist ein Stammgast bei der Knit-Nite. "Ich bin ganz schlecht darin, nur eine Sache auf einmal zu machen", sagt sie, "deswegen stricke ich immer beim Fernsehen." Die Unterhaltung an so einem Abend kommt ihr gerade recht. Und sie schätzt den Austausch. "Bei einem der letzten Treffen habe ich gelernt, wie man das Norweger-Muster mit zwei Fäden strickt."

Denn bei Stricktreffen wie diesen geben nicht nur Rosmary und Linn Tipps, sondern im Grunde hilft jeder jedem. Trotzdem sind die Veranstalterinnen oft die ersten Ansprechpartner. Und sie bringen viel Strick-Erfahrung mit. Rosmary strickt, seit sie zwölf ist. Sie hat es von ihrer Oma gelernt, die eine kleine Spinnerei hatte. Linn hat vor sechs Jahren angefangen zu häkeln, als sie in einem Laden Topflappen entdeckt hat, die sie nachmachen wollte. "Ich war gerade auf der Documenta und habe mir für die Rückfahrt eine Häkelnadel und Garn gekauft. Darüber bin ich auch zum Stricken gekommen", erzählt sie.

Auch der Videojournalist Manuel Dünfründt, 27, hat vor ein paar Jahren mit dem Stricken angefangen. "Ich wollte wieder etwas mit den Händen machen", sagt er. Sein leuchtend neon-orangenes Wollknäuel fällt auf. "Das ist Plüschwolle", sagt er, "ich mache viel Urban Knitting, eine Form der Streetart, bei der man die Stadt mit Gestricktem verändert. Das wird ein Monster, das ich an einem Baum befestigen will." Dünfründt ist der einzige Mann bei der Stricknacht - und zugleich regelmäßig bei der Männerrunde "Maleknitting" dabei, die sich einmal im Monat trifft.

Er hat festgestellt: Männer und Frauen stricken unterschiedlich. "Die Frauen reden ununterbrochen, bei den Maleknitting-Treffen schweigen wir mehr, da sehen wir vielleicht alle zehn Minuten mal hoch und reden ein bisschen." Warum man sich trifft, um dann fast nur zu schweigen? "Ich glaube, um Gewissheit zu haben, dass auch andere Männer stricken", sagt er, "und um sich inspirieren zu lassen." Zuletzt hat er gelernt, einen Pullover zu stricken. "Vorher hatte ich immer ein bisschen Angst davor."

Selbstverständlich sind die "Knit Nites" natürlich auch die ideale Gelegenheit, Selbst gestricktes zu tragen - und dafür die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen. Schließlich wissen die Anwesenden bestens, welche Mühe ein selbst gestrickter Kurzmantel mit Norwegermuster macht. Kaum einer in der Runde hat nicht mindestens ein selbstgemachtes Stück an, einen Schal, eine Strickjacke mit Zopfmuster, sogar ein gestricktes Brillenband ist dabei. Neid sollen die Stücke aber nicht erwecken.

Vielmehr zeigen sie, dass jeder etwas kann oder weiß, was ein anderer womöglich auch können oder wissen will. Dann fragt man einfach nach. Manuel erklärt, wie man Urban-Knitting-Monster strickt. Stefanie hilft Linn mit einer Anleitung aus einem schwedischen Blog. Rosmary erklärt einer jungen Frau, wie sie den halbmondförmigen Schal gestrickt hat, den sie trägt. Nur eines hört man bestimmt nicht auf die Frage: "Wie geht das?" Die Antwort: "Sag ich nicht."

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Quelle:
SZ vom 29.11.2013/wib
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