Süddeutsche Zeitung

Hobby:Carspotting: Je seltener das Auto, desto mehr Likes

Die Münchner Jugendlichen Simon und Ferdinand haben ein seltenes Hobby: Jedes Wochenende fotografieren sie auf der Maximilianstraße Sportwagen. Ihre Bilder interessieren Tausende Menschen.

Von Anna Hoben

Wer schicke Autos fotografieren will, muss vor allem warten können, und deshalb haben Ferdinand und Simon heute zum ersten Mal Campinghocker mitgebracht. Am Vormittag haben sie telefoniert, Ferdinand fragte, ob Simon vielleicht zwei Klappstühle habe, "also hab' ich die eingepackt", sagt Simon. Sieht ziemlich lässig aus, wie sie da sitzen an der Kreuzung Thomas-Wimmer-Ring und Maximilianstraße.

Links Gucci, rechts das neogotische Gebäude der Regierung von Oberbayern. Das Schwierige ist, locker dazusitzen und trotzdem wachsam zu bleiben. Ja nichts verpassen. Ein Lamborghini biegt um die Ecke. Simon springt auf, läuft vor zur Ampel, die Kamera schussbereit. "Oh! Mein! Gott!"

Ferdinand, 14 Jahre, und Simon, 15, sind Carspotter, so nennt sich dieses Hobby, und in welcher Stadt könnte man ihm besser nachgehen als im glitzernden, wohlhabenden München? Je seltener das Auto, desto besser. Ihre Leidenschaft sind Supersportwagen, jene auf Leistung getrimmten flachen Schächtelchen, die so viel kosten wie eine Eigentumswohnung oder manchmal ein ganzes Haus.

Zu Hause bearbeiten sie die Fotos am Laptop mit Lightroom und Photoshop. "Ich mache vor allem Verkehrsschilder raus oder Leute, die nerven", sagt Ferdinand. Dann laden sie die Bilder auf Instagram hoch, wo es sehr viele Menschen gibt, die sich ebenfalls für teure Autos interessieren. Ferdinands Account heiß Carphotographymunich.

Er hat knapp 10 000 Abonnenten. Simons Account heißt Cars.munich, 15 700 Abonnenten. Zusammen haben sie also mehr als 25 000 Follower, Menschen aus der ganzen Welt, die regelmäßig gucken, was die Neuntklässler aus München-Pasing hochgeladen haben. Je seltener das Auto, desto mehr Likes.

Nach diesem Wochenende wird es zum Beispiel der Lamborghini sein, der Simon gerade das "Oh! Mein! Gott!" entlockt hat. Ob man das mattschwarze Sportauto ästhetisch oder schön findet, ist die eine Sache. Die andere Sache ist die, dass das Teil sagenhafte 1250 PS hat, wie Ferdinand nun erklärt, das liegt daran, dass eine Tuningfirma namens Mansory es hochgerüstet hat. Der Mansory-getunte Lamborghini kann in unglaublichen 2,6 Sekunden von null auf hundert Kilometer pro Stunde springen.

Es ist ein herrlicher, sonniger Samstag in den Pfingstferien. Für Ferdinand und Simon sind Freibad oder Eisdiele allerdings kein ernsthaftes Konkurrenzprogramm. Samstag ist Carspotting-Tag, da sind sie diszipliniert. Wenn es nicht gerade schüttet, stehen sie hier an der Kreuzung, seit anderthalb Jahren schon, im Sommer sowieso und manchmal auch im Winter, von halb zwei bis fünf oder sechs Uhr; wenn's richtig gut läuft, auch mal länger.

"Samstags geht's meistens am besten", sagt Simon, "da haben die Leute frei." Und fahren ihre Sportwagen spazieren, am liebsten auf der Maximilianstraße. Fahren und gesehen werden. Zwischen eins und zwei geht es gut, zwischen zwei und drei läuft nicht so viel, ab halb vier ist dann wieder mehr los. Manchmal ist es aber auch so: "Wir denken, jetzt kommt eh nichts, also holen wir uns etwas zu essen und zu trinken", sagt Simon. "Und genau in den zehn Minuten kommt dann das Beste."

Ein Stück weiter oben, da, wo auch das Hotel Vier Jahreszeiten ist, sitzen die mutmaßlichen Sportwagenbesitzer am frühen Nachmittag an einem Tisch auf dem Bürgersteig, neben sich eine angefangene Flasche Pommery Brut Rosé im Kühler. Wer in den Autos sitzt, das interessiert die Jungs weniger. "Die Fahrer sind mir meistens nicht so wichtig", sagt Ferdinand. Manche wollen nicht fotografiert werden und schimpfen, aber die meisten freuen sich, wenn ihre Autos abgelichtet werden.

Vergangenes Wochenende erst, vor der Oper, da hat ein Fahrer Simon gefragt, ob er ihm die Bilder schicken könne. Manche "Owner", wie die Carspotter die Sportwagenbesitzer nennen, fahren sogar extra Schleifen, damit die Jungs sie möglichst gut und aus unterschiedlichen Blickwinkeln vor die Linse kriegen können.

Die Linse, sie gehört nicht etwa zu einem schnöden Smartphone. Fotografieren mit dem Telefon, das machen die Touristen, die am Hotel Vier Jahreszeiten vorbeilaufen. Auch Ferdinand und Simon haben mal mit dem Handy angefangen. Bei Simon hat alles begonnen, als er vor acht Jahren mit seinen Eltern in Monaco und Südfrankreich im Urlaub war.

Irgendwann reichte das Handyknipsen nicht mehr. Ferdinand bekam eine Kompaktkamera, vergangene Weihnachten haben seine Eltern ihm eine Spiegelreflexkamera geschenkt, eine Canon. Simon hat eine Nikon. Beide fotografieren generell gern, Landschaften, Tiere, aber hauptsächlich eben - Autos.

Da! Hinter dem Kleinwagen mit dem Logo eines Pizza-Lieferdienstes kommt ein weißer Porsche auf die Kreuzung zugefahren. Ferdinand und Simon gehen in Stellung. Hinknien, knipsen, auf dem Display gucken, was draus geworden ist. "Entschuldigung, was macht ihr da?", wollen Passanten wissen. "Wir fotografieren Sportwagen." - "Ist heute was Besonderes?" - "Nein, ein ganz normaler Samstag." Sie werden oft angesprochen. Und sie wissen nicht, wie oft sie schon den Weg zum Englischen Garten erklären mussten.

Ein Porsche GT3RS war das gerade hinter dem Pizza-Auto, "der gleiche steht in Lila vor dem Vier Jahreszeiten", sagt Ferdinand. Vor dem Hotel steht an diesem Tag auch das Auto, das alle verrückt macht, die Carspotter und die Touristen gleichermaßen. Ein Ford GT in Himmelblau und Orange, er sieht ein bisschen aus wie ein zu groß geratenes Spielzeugauto, niedlich irgendwie. Ferdinand und Simon sind nicht die einzigen Carspotter an der Maximilianstraße.

"Meistens sind so 15 bis 20 da", sagt Ferdinand. An diesem Tag anfangs fünf, später etwa zehn. Wo der Ford GT hin sei, fragen diejenigen, die später gekommen sind. Als der Lamborghini nochmal den Altstadtring runterfährt, laufen sie ihm hinterher, einmal die Straße hinunter.

Und die restliche Ausbeute von heute? "Viel Standardzeug", sagt Ferdinand, "ein paar Ferraris, ein McLaren, ein Aston Martin DB11." Autohersteller kennt er alle mit Namen, auch bei den Modellbezeichnungen der Supersportwagen ist er firm. Sie kommen genauso schnell aus seinem Mund wie der getunte Lamborghini von null auf hundert beschleunigt.

Frage: Wie finden denn eure Mitschüler das, was ihr macht? Ferdinand: "Früher wurde man runtergemacht, dass man an Kreuzungen steht und Autos fotografiert, hobbylos, armselig", das haben sie gesagt. "Aber da steht man drüber." Mittlerweile, so Simon, schwingt in den Kommentaren eher Respekt mit, "jetzt sagen sie, Alter, so viele Follower".

Ihre Eltern hätten sich auch daran gewöhnt. Allerdings interessieren sie sich nicht übermäßig für Autos. "Es ist nicht leicht, sie zu überzeugen, dorthin in Urlaub zu fahren, wo es schöne Autos gibt", sagt Ferdinand. London wäre so ein Ziel, Dubai, Abu Dhabi oder Los Angeles.

Nach dem Abitur wolle er BWL in Sankt Gallen studieren, sagt Ferdinand, und irgendwann einen eigenen Sportwagen besitzen. Reinsetzen durfte er sich schon in viele, einmal sogar bei einem Bekannten in einem Ferrari 458 Italia mitfahren. Vorerst müssen die beiden noch als Beifahrer mit den Familienautos vorlieb nehmen. Einem Skoda Octavia und einem VW Golf.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2017/amm
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