Süddeutsche Zeitung

Hinter Glas:Betonwürste und Swarovskis

Ungewöhnliche Christbaum-Kunst in der Galerie von Barbara Ruetz

Von Jutta Czeguhn

Der Plan war, die Kristalle selbst zu züchten. Doch dann fehlte Simon Rauter die Zeit, und er musste auf Swarovskis zurückgreifen. Die kann man nun, wenn man sich etwas anstrengt, durch die Scheiben der großen Schaufenster der Galerie an der Pinakothek der Moderne () funkeln sehen. Wie Schneepuder kurz vor der Schmelze sitzen sie an einem filigranen, schwarzen Geäst. Es ist die Wurzel eines Tannenbaums, die der Künstler aus St. Anton aus der Erde gezogen und angemalt hat. Rauter ist einer von 18 Künstlern aus Südtirol, die Galeristin Barbara Ruetz an die Gabelsbergerstraße 7 eingeladen hat. Weihnachtsbäume, lebendige wie künstliche, werden in ihren Räumen noch bis 23. Dezember zu Kunstwerken.

Man kann eintreten (Öffnungszeiten: www.galerie-ruetz.de) oder sie einfach nur beim Fensterbummel bewundern und sich für daheim inspirieren lassen: Da ist beispielsweise Ruth Oberschmieds Nostalgiebaum. Die Künstlerin aus Bruneck sammelt schon von Klein auf Dinge aus vergangenen Tagen. An ihrem Baum hängen runde Stucktäfelchen mit alten Fotografien ihrer Heimat. Elisabeth Oberrauch wiederum hat Tannenzapfen aus Hanji geformt, jenem berühmten koreanischen Papier, das aus Fasern der Maulbeerbaum-Rinde hergestellt wird. Echte Kerzen verbieten sich an diesem Weihnachtsbaum.

Hochgehalten wird in der O-Tannenbaum-Reloaded-Schau der Recycling-Gedanke: Wolfgang Zingerle hat Glasabfälle aus Murano zu erstaunlichen Kugelobjekten geformt, die man sich auch als Ohrgehänge vorstellen könnte. Weiterverwertung garantiert ist bei einer Schmuckvariante aus Centstücken. Bei diesem Geldbaum legt sich auch die sanfte Konsumkritik über die Zweige. Womöglich auch bei einem Christbaum, der über und über mit Kaminwurzen behangen ist, einer Südtiroler Wurstspezialität. Allerdings kann man sich an diesem Dekor die Zähne ausbeißen, die Geräucherten sind in Beton gegossen.

Unbedingt müssen wir nun noch einmal auf Simon Rauter und seinen Baum zurückkommen. Fragt man ihn, wie um Himmelswillen man denn Kristalle wachsen lassen kann, etwas, wofür die Natur Tausende Jahre braucht, dann erntet man nur breites Grinsen. "Salzlauge, das lernt man doch schon in der ersten Chemiestunde." Peinlich, da haben wir damals wieder mal nicht aufgepasst.

Mit der Adventsserie "Hinter Glas" schaut die Stadtviertel-Redaktion hinter sehenswerte, nicht nur weihnachtlich geschmückte Fenster.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2018
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