Süddeutsche Zeitung

Hinter den Kulissen:"Meistens reicht es, laute Ansagen zu machen"

Inge und Paul Kandlbinder sind seit mehr als 20 Jahren an der Garderobe des Literaturhauses und bei anderen Veranstaltungen im Einsatz. Ein Gespräch über arrogante Gäste, durstige Besucher in der ersten Reihe, Open-Air-Schmuggler oder aggressive Zahnärztinnen

Interview von Philipp Crone

Es sind von seinem Arbeitsplatz nur ein paar Schritte, aber dieser Anblick ist für ihn ungewohnt. Paul Kandlbinder schaut im vierten Stock des Literaturhauses durch die Panoramafenster auf die Theatinerkirche und sagt: "So eine schöne Aussicht." Der 71-Jährige und seine Frau Inge, 69, arbeiten seit 22 Jahren an der Garderobe. Dort haben sie einiges erlebt und erst recht bei den Einsätzen im Olympiastadion oder im Circus Krone. Ob bei Metallica oder Cindy aus Marzahn, als Türsteher oder Garderobiere. Das Paar firmiert in der Veranstaltungs-Branche nur als "Inge und Paul". Sie sind häufig im Einsatz, gerade allerdings mit einer Pause, da die öffentlichen Veranstaltungen im Literaturhaus bis zum 19. April abgesagt wurden. Und das Ehepaar Kandlbinder kann neben Anekdoten in ihrem ruhigen Münchnerisch auch erzählen, wie es ist, seit 51 Jahren zusammen zu sein und zu arbeiten.

SZ: Frau Kandlbinder, geben die literaturaffinen Besucher bei Ihnen neben Jacken auch Bücher ab?

Inge Kandlbinder: Ja, oft sogar, vor allem zum Signieren hinterher.

Also ist eine Signierstunde nach der Lesung für Sie eine schlechte Nachricht, weil sie noch mehr unterbringen müssen.

Inge Kandlbinder: Nein, im Gegenteil. Denn dann wollen nicht alle sofort ihre Jacke. Ich hab mal mitgestoppt: Bei einem vollen Saal mit 320 Gästen dauert es am Ende nur zwölf Minuten, bis alle Jacken raus sind. Und da gibt es dann schon ein paar Ungeduldige. Wir freuen uns, wenn signiert wird. Dann können wir in Ruhe arbeiten.

Wie wird man denn Garderobenehepaar?

Paul Kandlbinder: Ich bin Friseur und hatte lange einen Salon in Pasing, meine Frau ist Schneiderin und hat im Geschäft mitgearbeitet. Unser ältester Sohn meinte dann Mitte der Neunziger mal: Papa, magst Geld verdienen? Der hatte zu der Zeit nebenbei bei einem Sicherheitsdienst gearbeitet.

Warf der Salon nicht genug ab?

Paul Kandlbinder: Am Anfang schon, bis die Billig-Friseure kamen. Mein Sohn hat zu der Zeit im Kunstpark gearbeitet. Also bin ich mit, bekam eine Warnweste und sollte mich auf den Parkplatz stellen und niemanden reinlassen.

Wann kamen Sie dazu, Frau Kandlbinder?

Inge Kandlbinder: Die Chefin der Sicherheitsfirma hat meinen Mann gefragt, ob ich nicht auch könnte, sie bräuchte Leute für Veranstaltungen am Königsplatz. Später kam dann die Frage, ob ich im Literaturhaus die Garderobe mache. Heute mache ich nur noch das Literaturhaus.

Wo waren Sie beide denn noch?

Paul Kandlbinder: Überall in München und Umgebung. Im Graben bei Konzerten, also zwischen Publikum und Bühne, zum Beispiel bei Papa Roach oder Bloodhound Gang, Rage Against the Machine. Was für ein krachender Lärm.

Und sie hatten die besten Plätze.

Paul Kandlbinder: Na ja, wir mussten ja immer nach vorne schauen, falls wieder einer über die Absperrung steigt zum Beispiel. Oder wenn jemand beim Stagediving auf die Bühne geschwemmt werden soll. Dann musst du ihn runterfangen, rausziehen und rausschmeißen.

Dafür muss man körperlich fit sein.

Paul Kandlbinder: Ich war Ringer, bin schon noch fit und kenne ein paar Griffe, falls es nötig ist. Aber meistens reicht es, laute Ansagen zu machen.

Vergleich der Garderobengäste: Wie sind die im Literaturhaus?

Paul Kandlbinder: Sehr angenehm, meist geduldig. Wir haben auch beim Vilserball im Löwenbräukeller gearbeitet, da sind sie arrogant, die Jungen. Einer kam mal und meinte, dass ihm eine Jacke fehlt. Der wollte einfach eine Entschädigung rausschinden, indem er so tat, als hätten wir was verschlampt. Das passiert hier im Literaturhaus nicht.

Kann man von der Jacke auf die Lesung schließen?

Inge Kandlbinder: Nein. Nur auf die Jahreszeit.

Bei Konzerten erlebt man aber schon mehr als hier an der Garderobe.

Inge Kandlbinder: Klar. Hier kennen wir zudem auch viele Gäste. Wir sind länger da als fast alle anderen, die hier arbeiten.

Sie dürfen an den Veranstaltungen nie teilnehmen, ist das nicht hart manchmal?

Paul Kandlbinder: Also in der Allianz Arena Ordner zu sein und mit dem Rücken zum Spielfeld zu sitzen, das würde ich nicht ertragen. Aber wenn hier eine Veranstaltung ist, die uns interessiert, dann weiß ich (lacht), wie man die Lautsprecher einschaltet, die den Ton ins Foyer übertragen.

Was machen Sie sonst während der Lesungen? Das entsprechende Buch lesen?

Inge Kandlbinder: Ich lese, aber Illustrierte. Oder ich stricke.

Paul Kandlbinder: Ich schau Youtube-Filmchen auf meinem Handy und setze mich an die Heizung.

Streit gibt es nie? Immerhin leben und arbeiten Sie schon so lang zusammen.

Paul Kandlbinder: Nein, selbst wenn man sich mal auf den Fuß steigt. Es ist da hinten in der Garderobe ja schon sehr eng.

Inge Kandlbinder: Ich glaube, dass Geheimnis in einer langen Beziehung ist: Man darf beim anderen einfach nicht alles zu ernst nehmen.

Die schönste Veranstaltung, bei der Sie gearbeitet haben?

Paul Kandlbinder: Cindy aus Marzahn im Circus Krone. Sie hat mich da in ihre Show eingebaut und immer wieder nach Paul gefragt. Der Direktor musste mich sogar suchen, als sie nach mir gerufen hat und ich grad draußen war. Sie hat uns einen Sekt ausgegeben. Im Krone habe ich zehn Jahre gearbeitet. Lustig war auch ein Mitarbeiter, der immer die nummerierten Stühle aufstellen musste.

Warum?

Paul Kandlbinder: Weil dann bei einer Vorstellung ein Gast kam und sagte, dass er seinen Platz nicht findet. Da habe ich gemerkt, dass die Stühle alle falsch standen. Der Mann konnte keine Zahlen lesen und hat die Stühle irgendwie hingestellt.

Was waren die schwierigsten Momente?

Paul Kandlbinder: In Landsberg waren wir einmal bei einem Sommer-Festival. Die in der ersten Reihe riefen uns zu: "Wir haben Durst!" Also hab ich den Wasserschlauch genommen und deren Becher aufgefüllt. Der Einsatzleiter kam und sagte, dass das kein Trinkwasser sei, ich hab ihm aber nur gesagt: Ist mir egal, wenn die Durst haben, dann sitzen sie halt hinterher zwei Tage auf dem Klo. Und dann gab es noch einen Italiener. Der ist bei einem Konzert insgesamt sechs Mal über die Absperrung geklettert und hat versucht, auf die Bühne zu kommen. Jedes Mal mussten wir ihn rauswerfen. Dann hat er sich nach vorne gearbeitet und es wieder versucht.

Inge Kandlbinder: Ich bin einmal richtig angegangen worden, und das bei einem Zahnärzte-Kongress. Eine Zahnärztin wollte partout ihren Mantel nicht abgeben und hat mich dann richtig weggestoßen, so dass ich hingefallen bin.

Was ist Ihnen noch passiert?

Inge Kandlbinder: Beim Königsplatz-Open-Air kam eine Frau mit Picknick-Korb und zwei Weingläsern drin. Ich sag: Die Gläser gehen nicht. Der Mann dahinter trägt eine gerollte Isomatte unter dem Arm und fragt seine Begleitung: "Schatzi, warum nimmst du Gläser mit, wenn du keinen Wein hast?" Ich schau ihn an, lang' in die Mitte der Isomatte und ziehe eine Weinflasche raus.

Ihr Ritual am Ende eines Abends?

Inge Kandlbinder: Wenn ich alleine arbeite, holt mein Mann mich ab. Wir setzen uns daheim aber immer noch zusammen, hören Schlager oder Country, trinken einen Nussschnaps und reden über den Abend.

Müssten Sie nicht mal das alles aufschreiben und ein Buch draus machen?

Inge Kandlbinder: Darüber haben wir wirklich schon nachgedacht.

Und dann hier das Buch präsentieren?

Paul Kandlbinder: Genau! Das müssen wir halt im Sommer machen, wenn wir nicht an der Garderobe gebraucht wer- den.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2020
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