Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 9:Eine Richtung für die Stadt

Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 9: Innegrit Volkhardt sehnt sich nach der Verbindung von wirtschaftlicher Kraft und Tradition.

Innegrit Volkhardt sehnt sich nach der Verbindung von wirtschaftlicher Kraft und Tradition.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Innegrit Volkhardt, der Chefin des Bayerischen Hofs, schwebt ein klares Konzept für Neubaugebiete und den Verkehr im Zentrum vor

Von Oliver Hochkeppel

Menschen kommen. Menschen gehen. Nie passiert etwas", behauptet der Hotelarzt Dr. Otterschlag eingangs wie ausgangs von Viki Baums berühmtem, drei Mal verfilmtem Roman "Menschen im Hotel" - was die turbulente Handlung mit Liebeleien und Gaunereien bis hin zu Mord und Totschlag rasch widerlegt. Und auch Innegrit Volkhardt, die Besitzerin und Chefin des Münchner Grandhotels "Bayerischer Hof" in vierter Generation, würde dem wohl für ihr Haus energisch widersprechen. Weniger wegen den legendären Anekdoten, die mit ihrem Haus in Verbindung stehen - wie die legendären Balkonauftritte von Michael Jackson oder die Schlägerei, bei der Oasis-Sänger Liam Gallagher zwei Zähne verlor.

In einem Hotel, in dem nicht nur die Schönen und Reichen, sondern seit Jahrzehnten auch die Wichtigen und Mächtigen absteigen, hat sich hinter den Kulissen mehr zugetragen, als sich erahnen lässt. Wer weiß schon, welche Geschäftsabschlüsse und politischen Entscheidungen, welche Intrigen und Visionen hier in den Suiten oder Salons ihren Gang genommen haben?

Am augenfälligsten wird das einmal im Jahr bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Auf der wird das Getriebe der Weltpolitik eine Woche lang nicht nur mit öffentlichen Erklärungen, sondern auch hinter verschlossenen Türen weitergedreht. Was hier 1963 als "Wehrkundetagung" startete, führt seither Staatspräsidenten, Spitzenpolitiker, Botschafter, hochrangige Militärs, Sicherheitsexperten, Vertreter von internationalen Organisationen, Wissenschaft und Wirtschaft in einer Zahl nach München, die sonst nur bei großen Gipfeltreffen erreicht wird. Mit einer Unterbrechung: "1990 gab es eine konkrete Anschlagswarnung. Da haben die Versicherungen gesagt, dass sie einen Schutz ablehnen, und meinem Vater war das Risiko zu groß", berichtet Volkhardt. Doch schon bald kam die bedeutendste Tagung ihrer Art zurück. Mit ihr der eine Woche währende Ausnahmezustand rund um den Promenadeplatz, die Demonstrationen der Gegner und die weitgehende Unterbrechung des regulären Hotelbetriebs.

Trotzdem steht Volkhardt zu der Veranstaltung. Einmal, weil es zu Ihrem Verständnis von Dialog passt, eine Plattform zu bieten "für offizielle und inoffizielle diplomatische Initiativen, um den drängendsten Sicherheitsrisiken der Welt zu begegnen" - wie es die Organisatoren als Ziel ausgeben. Aber natürlich auch als Signet des Hauses: "Mit zwei Sachen verbindet man München noch im hintersten Winkel der Welt: mit dem Oktoberfest und mit der Sicherheitskonferenz."

Himmlische Aussichten. SZ-Serie, Folge 9: Am Friedensengel kommt beides zusammen: die beschauliche Seite Münchens und der zunehmende Verkehr, der das Gesamtbild immer stärker trübt.

Am Friedensengel kommt beides zusammen: die beschauliche Seite Münchens und der zunehmende Verkehr, der das Gesamtbild immer stärker trübt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Großen wie im Kleinen passiert derzeit natürlich weniger im Bayerischen Hof, als es Innegrit Volkhardt lieb sein kann. Es ist recht leer auf den Gängen, die vielen internationalen Gäste bleiben wegen der Reisebeschränkungen aus; es gibt fast keine Veranstaltungen, Bars sind geschlossen, das Personal ist nach wie vor größtenteils in Kurzarbeit. Manche Angestellte werden vielleicht nicht zu halten sein, was eine wie Innegrit Volkhardt besonders trifft, die ihre Belegschaft als große Familie und Schlüssel zum Erfolg versteht. Wie schon ihr Vater Falk, der angesichts der schon immer hohen Münchner Mietpreise eigene Wohnungen für die Angestellten kaufte. Gut 170 Zimmer gibt es heute, "wir sind meines Wissens nach die einzigen der Branche in München, die das so machen", sagt Volkhardt.

Die Hoffnung, dass vielleicht in einem halben Jahr alles wieder in normalen Bahnen läuft, hat sie sich bislang bewahrt. Das Planen für die Zukunft ist für sie ja nichts Neues, sondern der tägliche Modus Operandi. "Den Blick immer nach vorne zu richten, finde ich wichtig," sagt sie. "Und eigentlich dreht sich in meiner Branche alles, was wir machen, um die Zukunft, um Kommendes. Nach der Veranstaltung ist vor der Veranstaltung, nach dem Umbau ist vor dem Umbau. In der Gegenwart bewege ich mich nur, wenn ich einen Kunden begrüße." Ursprünglich war die hochgewachsene, hagere Frau gar nicht dafür vorgesehen, das Familienunternehmen fortzuführen: "Mein Vater hatte mich gar nicht so auf der Rechnung, denn ich war eher die Schüchterne, die nur ihre Pferde im Kopf hatte." Es kam anders, Innegrit hatte doch mit der Familientradition Feuer gefangen und mit einer Ausbildung zur Hotelkauffrau, Praktika bei Feinkost Käfer und im Intercontinental in Hamburg sowie dem Besuch der Hotelfachschule Heidelberg doch den entsprechenden Weg eingeschlagen.

Als sie 1992 das Haus vom erkrankten Vater übernahm, hatte sie sich schon vorher an seiner Seite eingearbeitet - und auch noch ein Betriebswirtschaftsstudium absolviert. Das setzte sie dann sofort um: "Als ich anfing, war mir schnell klar, dass uns vor allem Organisationsstrukturen fehlten. Es gab eigentlich nur meinen Vater und zwei Mitarbeiter, bei denen alles zusammenlief. Dieses patriarchalische System, das bis zu diesem Zeitpunkt funktionierte, war überholt und das erste, was ich modernisieren musste. Heute haben wir sieben weitgehend eigenverantwortliche Bereichsleiter."

Zukunftsfragen an Innegrit Volkhardt

Sie stehen am Friedensengel in fünf Jahren und überblicken die Stadt. Was sehen Sie?

Was ich mir wünsche: ein ruhig fließendes Straßenbild, hier auf der Prinzregentenstraße über die Luitpoldbrücke Richtung Stadtmitte, aber auch stadtauswärts. In und aus der Stadtmitte, welche meine Heimat ist, auf die ich aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs, aber auch wegen der ausgestrahlten Gelassenheit besonders stolz bin und mir sehr wünsche, dass diese Besonderheit erhalten bleibt beziehungsweise wieder zurückkehrt.

Was ich fürchte: Eine weitere Eskalation auf der Straße durch ein fehlendes Verkehrskonzept, das zum Rückzug von Geschäftstreibenden führt, aber auch von vielen Touristen, die Erholung und das Besondere suchen.

Wie klingt für Sie die Zukunft?

Was ich mir wünsche: Das Lachen der Menschen und das Singen der Vögel.

Was ich fürchte: Hupen und Schimpfen entnervter Münchner auf der Straße - oder die Totenstille nach ihrem Rückzug aus der geliebten Umgebung.

Wem sollte in dieser Stadt in fünf Jahren ein Denkmal gesetzt sein und warum?

Wer immer die Umkehr von dem eingeschlagenen falschen Weg einer verfehlten Verkehrs- und Stadtplanung schafft.

In fünf Jahren kommt ein Hollywood-Film namens "Munich" ins Kino. Worum wird es darin gehen?

Um eine Liebesgeschichte, die in und um München spielt. Die Rahmenhandlung zeigt die gemeinsamen Anstrengungen aller um die Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Erfolg und Nachhaltigkeit, dann das, was eben hoffentlich weiterhin das Phänomen Münchens und Bayerns ausmacht: Die Kraft durch die wirtschaftlichen Erfolge, die in und für Deutschland und Europa wirkt, die kulturelle Vielfalt, aber auch die Verbundenheit zur Natur und - trotz aller Geschäftigkeit - die Gelassenheit und Zufriedenheit der Menschen.

Für das Kreative steht freilich immer noch sie. Für die vielen Umbauten, für die sie Star-Designer beauftragt. "Ein Hotel wie unseres ist immer in Veränderung, nie fertig." Inspiration holt sich die sehr Heimat- und Naturverbundene Hotelchefin, die ihre beiden Zuhause - das Haus am Starnberger See und das Hotel - genießt, trotzdem vor allem unterwegs. "In anderen Städten zu sein, andere Häuser und Restaurants oder einfach nur Architektur anzuschauen, gibt mir neue Ideen. Das vermisse ich im Moment total." Und ihre Ideen waren bislang sehr erfolgreich. Nicht nur gemessen an den vielen Auszeichnungen, etwa als "Unternehmerin des Jahres 2002" und daran, dass der Bayerische Hof lange das umsatzstärkste Hotel Deutschlands war. Sondern auch daran, dass das Hotel tatsächlich "anders als andere Häuser ist", wie sie stolz behauptet. Was vor allem am Grundgedanken liegt, dass der Bayerische Hof nicht nur ein Platz für auswärtige Gäste und Durchreisende sein soll, sondern auch ein Ort für die Münchner selbst.

Schon ihr Großvater Hermann und ihr Vater Falk Volkhardt bauten das im Krieg völlig zerstörte Hotel nicht nur wieder auf und vergrößerten es Zug um Zug, sie machten es mit dem Dreiklang aus Gastronomie, Wirtschaft und Kultur zur Anlaufstelle für die Münchner Stadtgesellschaft, von einfachen Veranstaltungsbesuchern bis zur berühmt-berüchtigten "Schickeria". Innegrit Volkhardt hat dieses Konzept weitergeführt und ausgebaut. Als Jazzfan - und Hobby-Saxofonistin, als sie noch Zeit dafür hatte - war quasi ihre erste Amtshandlung, als sie das Haus 1992 von ihrem erkrankten Vater übernahm, den Nightclub im Haus in einem veritablen Jazzclub zu verwandeln.

Schon seit 1961 gibt es mit der "Komödie" ein privates Boulevard-Theater im Haus, seit neun Jahren befindet sich mit der Cinema Lounge das mit 38 Plätzen kleinste, aber feine Kino Münchens mitten im Gebäude. Der Bayerische Hof ohne Kultur und Musik für alle - für Innegrit Volkhardt ist das "unvorstellbar". Ebenso wichtig ist ihr, dass es neben dem Drei-Sterne-Lokal "Atelier" und dem exotischen "Trader Vic's" auch den gutbayerischen "Palaiskeller" gibt, den sich auch Normalverdiener leisten können. Mit all dem ist der Bayerische Hof bewusst ein Spiegelbild, ja ein Destillat der umgebenden Stadt.

Volkhardt formuliert es so: "Wenn man nach einem Aufenthalt bei uns abreist und nie in der Stadt war, soll man trotzdem München kennengelernt haben." Freilich ist sie mit dem, was diese Stadt ihr rundherum an Rahmenbedingungen liefert, im Moment und ganz unabhängig von Corona, alles andere als glücklich. "Das beste Beispiel sind die Neubauviertel, wie etwa an der Arnulfstraße, wo ich oft langfahre. Was da entstanden ist und weiter bis nach Pasing entsteht, ist riesig, aber was ist das: ein Hotel und ein Wohnblock am anderen, keine Restaurants, keine Bars, kein Bäcker, nichts zum Einkaufen? In Riem draußen hatte es nicht einmal einen Arzt." Volkhardt fehlt in München eine alle Bereiche umfassende Stadtplanung, vor allem aber das, "was uns hier immer wichtig war: Dass man sich überlegt, was einem selbst gefallen würde. Wie würde ich gerne wohnen, was würde ich erwarten."

Die Miene der sonst so verbindlichen und freundlichen Frau verfinstert sich, wenn sie von ihrem Eindruck spricht, wie München in ihren Augen gefährdet und vieler seiner Chancen beraubt werde. Durch die Bebauung und ein verfehlte Verkehrspolitik. Man könne doch nicht einerseits Autos und Verkehr aus der Stadt heraushalten und dörflicher werden wollen und andererseits Dinge gestatten, die dazu führten, dass die Leute ins Zentrum müssen. Das könne nicht funktionieren. Und es gefährde die Einzigartigkeit Münchens: "Wir haben die meisten Dax-Unternehmen hier - ich sage immer, Bayern ist der Motor Europas -, und die ganze Kultur, hier ist richtig was lo. Aber es gab bisher zugleich diese Ruhe an vielen Stellen, die man nie vermuten würde. Das wird von der Politik nicht mehr gewürdigt und teilweise gar nicht mehr erkannt." Von der Corona-Krise erwartet sie kein großes Umdenken. "Alles ist so eingefahren, dass es kein Reset gibt, was sich eigentlich die meisten wünschen." Vielleicht muss man also das Eingangszitat vom Hotel für die Stadt umformulieren: Menschen kommen, Menschen gehen. Aber es muss etwas passieren.

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