Hilfsangebot:Damit keinem die Decke auf den Kopf fällt

Hilfsangebot: Elisabeth Feustel von den Johannitern.

Elisabeth Feustel von den Johannitern.

(Foto: Melissa Bungartz)

Pflegende Angehörige meistern schon in normalen Zeiten enorme Herausforderungen, nun ist alles noch schwerer. Die Johanniter helfen in diesen Tagen voller Unsicherheit

Von Sven Loerzer

Nicht nur für professionelles Pflegepersonal werden die ohnehin schon hohen Anforderungen durch die Corona-Pandemie zusätzlich erschwert - dasselbe gilt auch für pflegende Angehörige. Das liegt nicht nur daran, dass alte, kranke Menschen als Risikogruppe bei einer Covid-19-Erkrankung besonders gefährdet sind. Angehörige müssen zudem verkraften, dass Betreuungsangebote und Angehörigengruppen wegfallen, die bisher ein wenig Entlastung im harten Alltag schaffen konnten. Bei Weitem mehr als doppelt so viele Anrufe wie sonst in einem Monat registriert die Fachstelle für pflegende Angehörige der Johanniter-Unfall-Hilfe schon nach den ersten drei Wochen im April.

Pflegende Angehörige, die sich um Demenzkranke kümmern, fühlen sich besonders allein, sagt Leiterin Elisabeth Feustel. "Jetzt ist viel psychosoziale Begleitung nötig", erklärt die Gerontologin. Oft geht es um praktische Fragen: Wo bekomme ich einen Hausnotruf, wie kann man sich Essen liefern lassen? Schwieriger wird es, wenn ambulante Pflege benötigt wird. "Es ist schwer, derzeit einen Pflegedienst zu finden, der Neuaufnahmen macht." Gerade bei älteren Paaren, bei denen einer der beiden Partner unter Demenz leidet, entstehe Panik, die sich in der Frage ausdrückt: "Was ist, wenn ich plötzlich krank werde?"

Viele Nachfragen kreisen um das Thema, wie man sich richtig verhalten soll, um Infektionsrisiken zu minimieren. Penible Hygiene sei da wichtig: Vor jedem Kontakt die Hände mindestens 20 Sekunden mit Seife waschen und mit einem separaten Handtuch abtrocknen. Husten und Niesen im dem Raum, in dem sich der zu Pflegende aufhält, vermeiden. Weil Abstand halten bei der Pflege nicht möglich ist, empfiehlt Elisabeth Feustel Angehörigen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, um das Infektionsrisiko zu senken.

Die Pflege sollte möglichst nur von einer Person erbracht werden, die sich streng an Distanzregeln hält, also selbst möglichst zu Hause bleibt und sich Einkäufe liefern lässt. Den Pflegedienst aus Sorge vor Infizierung abzubestellen kann in besonderen Fällen sinnvoll sein, aber keineswegs generell. "Es ist nicht die erste Viruserkrankung, die Pflegekräfte erleben", wirbt Feustel um Vertrauen in den fachgerechten Umgang mit Hygieneanforderungen.

Manche Anrufer trauen den Johannitern, die ja auch im Katastrophenschutz tätig sind, deshalb besonderes Wissen zu. "Sie sind doch bei den Johannitern, haben Sie da Informationen, wie lange das noch dauert mit der Corona-Krise?" Natürlich weiß das auch Elisabeth Feustel nicht, aber sie versucht die Menschen zu beruhigen, ihnen psychosoziale Begleitung zu geben. Denn in der häuslichen Pflege gerade von Demenzkranken hatten es Angehörige auch schon ohne Krise nicht leicht. Und auch dort, wo zumeist osteuropäische, sogenannte 24-Stunden-Kräfte im Haushalt leben, ist es in diesen Tagen nicht unbedingt einfach. Denn jene Helfer, die nicht in die Heimat zurückgereist sind, "stoßen nun auch an ihre Grenzen, fühlen sich psychisch verloren", weil sie sich um ihre Familien Sorgen machen. Weil derzeit der Einsatz von ehrenamtlichen Helfern, die zur Entlastung in die Familie gehen, entfällt.

Weil keine Treffen von Angehörigengruppen stattfinden, hält Feustel telefonisch Kontakt. "Den Menschen fällt die Decke auf den Kopf." Und wenn sie sich selbst nach dem Kontakt zu ihren Enkeln sehnen, reagieren meist deren Eltern streng und untersagen den Kontakt, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Die Gerontologin rät, die Pandemie-Situation Demenzkranken zu erklären. Ein Teil der Älteren habe Seuchen erlebt, da könne eine Erklärung helfen, auch wenn man sie häufig wiederholen muss. Sofern sich pflegende Angehörige selbst Sorgen machen, sollten sie nicht so tun, als wäre alles gut. Gerade Demenzkranke würden Anspannung spüren, bemerken, wenn jemand behauptet, "dass alles in Ordnung sei, aber das Gesicht etwas anderes ausdrückt". Solche Widersprüche könnten zu Verwirrung beitragen, aber auch Aggressionen auslösen. Bei beunruhigenden Nachrichten sollte man daher besser zu seinen Gefühlen stehen: "Viele demente Menschen können auch gut trösten." Reißerische Nachrichten im Fernsehen, etwa Bilder von den vielen Särgen in Italien, könnten Panik schüren. Besser sei es da, Nachrichten aus dem Radio zu hören, Bayern 1 zum Beispiel habe sich da bewährt.

Um Pflegebedürftige gut versorgen zu können, sei Hintergrundwissen unbedingt nötig, betont Elisabeth Feustel: "Jede Erkenntnis hilft weiter." Die Johanniter-Unfall-Hilfe hat dazu gemeinsam mit dem Unternehmen "Töchter&Söhne digitale Helfer" ein neues Online-Angebot (johanniter-pflegecoach.de) geschaffen, das die Grundlagen der häuslichen Pflege vermittelt, über Alzheimer und Demenz sowie Wohnen und Pflege im Alter und rechtliche Vorsorge für den Ernstfall informiert. Nach Registrierung lässt sich das Kursangebot kostenlos nutzen.

Telefonisch berät die Fachstelle für pflegende Angehörige unter 089/ 12 47 34 41 81

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