Süddeutsche Zeitung

Hilfsaktion:Schwere Fracht für Beirut

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Der Verein Orienthelfer schickt acht Rettungswagen in einer Antonov nach Libanon.

Von Moritz Baumstieger

Ein Mann steht auf dem Rollfeld, in der Hand ein Smartphone, und spricht in dessen Kamera. Ein paar schnelle Sätze für die sozialen Medien, nichts Besonderes, könnte man meinen. Schließlich trägt der Mann einen Schal des FC Bayern über dem Anzug, wahrscheinlich gehört er zum Tross von Münchens erfolgreichster Fußballmannschaft, die hier am Flughafen mal wieder mit einer Sondermaschine zu einer Titelmission aufbricht. Doch etwas irritiert an den Worten, die der Mann da aufsagt: "... und deshalb trage ich - als eingefleischter Ur-Sechzger - heute diesen Schal sehr gerne".

Und auch die Maschine, die an diesem Samstagvormittag für den Abflug vorbereitet wird, passt nicht recht: Eine Antonov 124 ist es, einer der gigantischsten Flugzeuge, die der Mensch je konstruiert hat, selbst für einen Großklub wie den FC Bayern zu groß. Der Frachtraum, der sich unter der hochgeklappten Nase des Flugzeugs auftut, ist so geräumig, dass ein Bagger bequem hineinfahren könnte - oder etwa acht Krankenwagen. Solche stehen aufgereiht am Rande des Rollfelds, an ihren Seiten ist noch jeweils gut das deutsche Wort "Rettungswagen" zu lesen, auf den Motorhauben sind aber teils schon neue Beschriftungen angebracht: Unten arabische Buchstaben in schwarz, "dschameia musanadah asch-scharq". Drüber das selbe in ocker und auf Deutsch: "Orienthelfer".

So heißt der Verein, den der Kabarettist Christian Springer 2012 gegründet hat. Springer ist der 1860-Fan, der in der Münchner Frühherbstsonne den Bayernschal trägt. Denn Uli Hoeneß sei einer der ersten gewesen, der ihn anrief, als Springer 2013 Feuerwehrwagen nach Libanon bringen wollte - und der FC Bayern spendete auch nun wieder, nach der Explosionskatastrophe am 4. August in Beirut. Mit 200 000 Euro unterstützte der Verein den Ankauf von gebrauchten Ambulanzfahrzeugen. "In Libanon haben sie derzeit vielleicht ein Rettungsfahrzeug für 200 000 Menschen", sagt Springer, "und wenn man sich die anschaut: Da ist in Deutschland jeder Leichenwagen besser ausgestattet."

In Syrien und Libanon betreibt der Verein mobile Küchen, Bildungseinrichtungen und Ausbildungsmaßnahmen, unterstützt nach der Katastrophe von Beirut dort lebende Flüchtlinge und notleidende Einheimische. Der Verein hat das Ziel, den Menschen vor Ort zu ermöglichen, sich selbst helfen zu können. Deshalb folgten auf das erste von Hoeneß gespendete Feuerwehrfahrzeug weitere, zwei hingen zuletzt wochenlang beim Zoll im Beiruter Hafen fest. Nachdem dort 2750 Tonnen Ammoniumnitrat detonierten, werden mit ihnen wohl keine Brände mehr gelöscht.

Die Ambulanzfahrzeuge, die am Samstagmittag dann mit der Antonov in Richtung Beirut abhoben, werden aber hoffentlich schneller zum Einsatz kommen: In das Flugzeug kletterte auch der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, der den Fahrzeugen so etwas wie Geleitschutz gab. Die Europäische Union finanzierte den Transport, es war der dritte Flug im Rahmen ihrer sogenannten "Humanitären Luftbrücke", neben den Sankas wurden einige Tonnen Hilfsgüter der portugiesischen Organisation Camões verladen. "In Notsituationen wie nach der Explosionskatastrophe hilft Europa bedingungslos", so Lenarcic.

Während der slowenische EU-Kommissar erläutert, dass die Politik in Libanon für ein Engagement der internationalen Gemeinschaft und der EU beim Wiederaufbau aber tief greifende Reformen anschieben müsse, erkundigt sich Christian Springer bei Flughafenmitarbeitern nach Möglichkeiten für Corona-Tests bei seiner Rückkehr. Die Sankas will er in Beirut nur schnell abgeben und gleich wieder zurückfliegen, schließlich hat er ja auch noch einen Beruf. Und das bedeutet im Fall eines Kabarettisten: Auftritt am Sonntagabend, 19.30 Uhr, im Kuhstall Schwabbruck - Springers Mission in Beirut dauerte in diesem Fall nicht einmal so lang wie eine Reise des Rekordmeisters zu einem Auswärtsspiel.

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SZ vom 14.09.2020
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