Hilfe für syrische Jugendliche:Rettung aus der Hölle von Homs

In Syrien hätte keiner Hanadi und Ahmed helfen können: Bei einem Granatenangriff erleiden sie schwerste Verbrennungen. Doch die Jugendlichen können aus der umkämpften Stadt gebracht werden. Nun kämpfen Ärzte in München um ihr Leben.

Martin Jäschke

Wenn Hanadi in einigen Wochen aufwacht, wird sie nicht wissen, wo sie ist. Die Zwölfjährige wird nicht mehr in dem Land sein, an das sie sich erinnern kann. Das Mädchen wird sich in einem Land ohne Krieg wiederfinden, aber auch in einem Land ohne ihre Familie. Nur einer ihrer Cousins wird da sein, und einer ihrer Brüder. Womöglich wird sie den aber nicht gleich wiedererkennen.

Trotz Waffenruhe: In Syrien gehen die Gefechte weiter.

Seit Monaten wird das syrische Homs immer wieder bombardiert.

(Foto: dpa)

Hanadi und ihr 17 Jahre alter Bruder Ahmed liegen auf der Intensivstation der Haunerschen Kinderklinik in München, sind stark narkotisiert und schlafen. Ihr Zimmer steht unter Quarantäne, zu hoch ist das Risiko einer Infektion. Vor sechs Wochen verbrannte mehr als die Hälfte von Ahmeds Haut, bei Hanadi sind etwa drei Viertel der Haut zerstört.

Eine Granate hatte das Haus getroffen, als sie gerade in der Küche waren. Beim Einschlag explodierte der Gaskocher. Die Kinder hatten keine Chance, vor dem Inferno zu fliehen. Vor sechs Wochen war das, in der Stadt Homs, dem Zentrum des Widerstands gegen das Terrorregime des syrischen Präsidenten Assad.

Kurz nach dem Angriff, mitten in der Nacht, schleppen Kämpfer der Freien Syrischen Armee die schwer verbrannten und bewusstlosen Jugendlichen heimlich aus der Stadt, auf Schleichwegen vorbei an den Straßensperren des Militärs, 30 Kilometer weit, bis zur Grenze. Kurz dahinter nehmen Helfer des Internationalen Roten Kreuzes die beiden Brandopfer entgegen und bringen sie ins Hopital de la Paix, ein Krankenhaus in der nordlibanesischen Stadt Tripoli.

Nur eine Hauttransplantation kann helfen

Die Ärzte stellen fest: Nur eine Hauttransplantation kann das Leben der beiden Kinder noch retten. Doch Eigenhaut können sie nicht verwenden - zu wenig gesunde Haut ist noch vorhanden. Rettung gäbe es nur mit gezüchteten Hautkulturen aus dem Labor. Eine solche Behandlung ist im Libanon allerdings nicht möglich.

Dass Hanadi und Ahmed heute noch leben, verdanken sie etlichen glücklichen Zufällen. Der erste war eine Reise von Carsten Stormer. Der deutsche Krisengebiets-Journalist fliegt Mitte März in den Libanon, um für das Magazin Focus eine Reportage über syrische Kriegsflüchtlinge zu schreiben. "Eigentlich wollte ich nach Syrien rein, das hat aber aus mehreren Gründen nicht geklappt. Es war einfach zu gefährlich", erzählt Stormer.

Im Krankenhaus in Tripoli begegnet er einem syrischen Aktivisten, der ihn fragt, ob er sich zwei Kinder aus Homs ansehen könne. Es gehe ihnen nicht so gut. "Das war völlig untertrieben", sagt Stormer heute. Die Körper von Hanadi und Ahmed sind notdürftig einbandagiert, die Wickel und das Bettzeug durchnässt von Blut, Eiter und Jod. Auf Ahmeds linkem Oberarm spannt eine Brandblase, groß wie ein Golfball. Seit drei Tagen liegen sie dort so im Krankenhaus.

Stormer ist schockiert vom Zustand der Kinder und berührt von ihrem Schicksal. Der behandelnde Arzt ist sicher, dass Hanadi und Ahmed in seinem Krankenhaus nicht überleben werden und bittet den Journalisten um Hilfe. Mit Zustimmung des Arztes fotografiert Stormer die grausam verletzten Kinder und veröffentlicht die Fotos am 17. März auf seinem Facebook-Profil, sichtbar für jeden seiner mehr als 1300 Kontakte. Er fragt, ob irgendjemand helfen könne oder jemanden kenne, der es kann.

2500 Kilometer entfernt kommt sein Hilferuf an: Die Münchnerin Veronika Faltenbacher sitzt abends mit ihrem Laptop auf der Couch, der Fernseher läuft. Ihre Pläne, sich mit einer Bar in München selbständig zu machen, sind gerade geplatzt. "Ich dachte zu der Zeit, dass ich endlich mal was Sinnvolles machen will." Da stößt sie bei Facebook auf die Fotos der verbrannten Jugendlichen.

Normalerweise gibt es da nur lustige Partyankündigungen, und dann waren da mittendrin diese Bilder von den Kindern. Das war krass", erinnert sie sich. "Da hat etwas angefangen in mir zu arbeiten." Veronika Faltenbacher schreibt eine SMS an einen Bekannten, den Münchner Arzt Hans-Georg Klein. "Ich hab' ihn gefragt, ob ihm irgendetwas einfällt." Der Arzt wiederum nimmt sofort Kontakt zu Hubertus von Voss auf, Professor und Kinderarzt am Münchner Uniklinikum und in den achtziger Jahren Vorsitzender des Vereins Afghanistan Nothilfe. Er kennt die richtigen Anlaufstellen. "Es hat alles so gut ineinander gepasst", erinnert sich Faltenbacher. "Das war unglaublich."

Die Behandlung dauert viele Monate

In den folgenden zwei Wochen stellen Faltenbacher, Klein und von Voss eine außergewöhnliche humanitäre Einzelhilfsaktion auf die Beine: Sie verhandeln mit der UN-Flüchtlingshilfe im Libanon, mit der Deutschen Botschaft in Beirut, der bei den Vereinten Nationen und dem Auswärtigen Amt in Berlin. Denn offizielle Einreisepapiere für den Libanon haben Hanadi und Ahmed nicht - und auch für den Transport nach Deutschland müssen für sie vorab Visa organisiert werden. "Das war ein 24-Stunden-Einsatz", sagt Faltenbacher. "Alle Mitwirkenden haben da ein diplomatisches Meisterstück abgeliefert."

Hilfe für syrische Jugendliche: Die 35 Jahre alte Münchnerin Veronika Faltenbacher hat den Transport der schwerverletzten Jugendlichen nach Deutschland mit organisiert.

Die 35 Jahre alte Münchnerin Veronika Faltenbacher hat den Transport der schwerverletzten Jugendlichen nach Deutschland mit organisiert.

(Foto: Robert Haas)

Die Münchner kümmern sich auch um Spenden. Denn die Flugrettung des ADAC handelt nur, wenn die medizinische Behandlung in Deutschland finanziell gesichert ist. "Zum Glück sind wir schnell an einen großen Spender gekommen", sagt Faltenbacher. Insgesamt mehr als 200.000 Euro kann das Spendenkonto beim Verein "Kinder im Zentrum - Für Kinder e.V." bis heute verbuchen.

Zwei Wochen nach Carsten Stormers Hilferuf, am 31. März, werden Hanadi und Ahmed in einem Krankenwagen ins 80 Kilometer südlich gelegene Beirut gebracht und von dort nach München geflogen. Ihre Eltern bleiben in Syrien - sie vermissen zwei weitere Kinder. Stattdessen begleitet ein Cousin die beiden Jugendlichen. Im selben Flugzeug mitreisen kann er nicht, die Ärzte müssen wegen des dramatischen Gesundheitszustands von Hanadi mehr medizinische Geräte mitnehmen als zunächst geplant. Bei ihr gibt es erste Anzeichen von multiplem Organversagen.

"Die Kinder kamen halb tot hier an", sagt Christoph Klein, der Leiter der Haunerschen Kinderklinik in München. "Sie hatten schwerste Verbrennungen. So etwas habe ich noch nicht gesehen." Hanadi und Ahmed werden sofort operiert, die Ärzte entfernen das tote Hautgewebe und legen Ersatz-Hautschichten auf. "Da sind viele erfahrene Spezialisten zusammengekommen und haben das Unmögliche möglich gemacht", sagt Klein.

"Wir können aber noch nicht sagen: Alles ist gut." Noch sind die Kinder so stark betäubt, dass sie durchgehend schlafen, sie werden künstlich ernährt. Die Schmerzen wären für sie sonst nicht auszuhalten, sagt Klein. Möglicherweise wollen die Ärzte zumindest Ahmed Ende der Woche wieder aufwecken - jedoch erst, wenn alle Operationen abgeschlossen sind. Im Gegensatz zu seiner Schwester hat er noch im Libanon vom Transport nach Deutschland erfahren.

"Ich hoffe, dass die größten Hürden in etwa zwei Wochen genommen sind", sagt Klinikleiter Klein. Nach und nach werden kleine Hautstücke transplantiert, bis diese anwachsen. Aber auch danach könne es immer noch ernste Probleme geben. "Die Haut von Kindern aus Kliniken in diesen Ländern ist oft besiedelt mit multiresistenten Bakterien. Das macht es nicht leichter."

Ärzte arbeiten ohne Honorar

Antibiotika könnten bei Infektionen mit solchen Keimen nicht anschlagen, so der Arzt. Die Behandlung werde sicher noch viele Monate dauern. Möglicherweise, sagt Klein, seien die Kinder im Anschluss so entstellt, dass danach noch kosmetische Operationen notwendig würden.

Eine langwierige Behandlung stellt die Organisatoren der humanitären Aktion vor eine neue Herausforderung: "Die Spendensumme, die wir bisher gesammelt haben, wird niemals reichen", sagt Veronika Faltenbacher. "Wir benötigen wohl insgesamt 500.000 Euro für die Behandlung inklusive Rehabilitation." Die Behandlung in der Klinik erfolgt ohne Honorar. "Wir müssen aber die Sachkosten decken", sagt Christoph Klein. "Und die sind angesichts der Schwere der Verletzungen leider sehr hoch."

Vorerst kann Hanadi und Ahmed geholfen werden. Ob und wann sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können, weiß derzeit niemand. Ob sie es jemals wollen, auch nicht.

Spendenkonto: Kinder im Zentrum - Für Kinder e.V., Kontonummer: 39 35 000 00, Bankleitzahl 200 303 00, Bankhaus Donner & Reuschel, Verwendungszweck: Traumakinder

Mehr als 500 Kinder getötet

Laut der jüngsten unabhängigen Untersuchung der Vereinten Nationen zur Gewalt in Syrien vom 23. Februar 2012 sind seit März 2011 mehr als 500 Kinder von der Armee getötet worden, mehr als 600 wurden inhaftiert. Scharfschützen und Militärs töten und verletzen selbst Kinder, die jünger als zehn Jahre alt sind. Viele Kinder wurden durch Bombardements von Wohngebieten in Homs und weiteren Städten getötet. Marie von Möllendorff, Syrienexpertin bei Amnesty International, spricht von 563 getöteten Minderjährigen auf der offiziellen Liste der Menschenrechtsorganisation. "Wir sammeln alles, was uns berichtet wird, aber natürlich sind diese Zahlen immer am unteren Rand dessen zu sehen, was tatsächlich passiert." Insgesamt starben laut UN von März 2011 bis Februar 2012 fast 6400 Zivilisten sowie knapp 1700 Überläufer der Armee.

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