Hilfe für Häftlinge:"Ich sehe kein Monster, ich sehe den Menschen"

Hilfe für Häftlinge: Ehrenamtliche Helfer der Evangelischen Straffälligenhilfe, wie Peter Möller und Eva Jung-Kramer, kümmern sich um Drogendealer, Betrüger, Vergewaltiger und Mörder.

Ehrenamtliche Helfer der Evangelischen Straffälligenhilfe, wie Peter Möller und Eva Jung-Kramer, kümmern sich um Drogendealer, Betrüger, Vergewaltiger und Mörder.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Evangelische Straffälligenhilfe kümmert sich seit 25 Jahren um Häftlinge in den bayerischen Justizvollzugsanstalten.
  • Die ehrenamtlichen Mitarbeiter hören sich die Sorgen und Nöte der Gefangenen an - und betreuen sie mitunter auch weiter, wenn sie wieder in Freiheit sind.
  • Die Straftäter müssen selbst um eine solche Betreuung bitten.

Von Thomas Schmidt

Die ersten Monate im Gefängnis sind die Hölle. Das Schloss der Zellentür rastet ein, dann gibt es nur noch Stahl, Beton und die eigenen Gedanken. "Du kriegst Platzangst, klopfst gegen die Tür, aber es macht keiner auf", erinnert sich Tobias Weinzierl. 28 Monate saß der Mittzwanziger im Knast. Irgendwann wird selbst die Hölle Routine. Aber nun ist er frei, will nie wieder zurück. Seine Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben stehen gut. Auch weil ihm Eva Jung-Kramer auf seinem Weg in die Freiheit hilft. Sie ist eine von gut 30 ehrenamtlichen Betreuern der Evangelischen Straffälligenhilfe, die nun schon seit 25 Jahren Teufelskreise durchbrechen.

Der Teufelskreis beginnt sich zu drehen, wenn Probleme einfach weggesperrt und vergessen werden. Tür zu, erledigt. Doch was geschieht, wenn die Haftzeit beendet ist? Wenn sich Familie und Freunde abgewandt haben? Wenn sich die Welt draußen weitergedreht hat, während sie drinnen stillstand? Werden Täter allein gelassen, erhöht das nur das Risiko, dass sie rückfällig werden, weiß Gerhard Gruber, der Leiter der Straffälligenhilfe. Was fängt ein Mensch mit seiner Freiheit an, der jahrelang nicht mal entscheiden durfte, was es zum Mittagessen gibt?

Tobias Weinzierl, der in Wahrheit anders heißt, hat einen Plan: eigene Wohnung, Ausbildung, Freundin. Nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge. Wegen einer günstigen Sozialprognose wurde er vor ein paar Wochen vorzeitig entlassen. Im Gefängnis war er wegen mehrerer Drogendelikte gelandet. Erst waren es Kleinigkeiten, mit 18 zum ersten Mal mit einem Joint erwischt, aber dabei blieb es nicht. Er flog von der Schule, rauchte zwei Gramm Gras am Tag, die erste Tüte schon vor dem Frühstück. Um seine Sucht zu finanzieren, dealte er. Eines Tages verriet ihn ein Bekannter bei der Polizei. "Das Einlaufkommando kam in meine Wohnung und hat mehrere Hundert Gramm gefunden", erinnert sich Tobias Weinzierl. Dieses Mal kam er nicht mehr mit Sozialstunden davon.

Im Gefängnis ist Eva Jung-Kramer der einzige Mensch, mit dem er offen sprechen kann. Über seinen Liebeskummer, weil seine Freundin ihn verlassen hat. Über seine Angst vor der Zukunft, dass er sein Leben verbockt hat. Und über die Einsamkeit. "Was man im Gefängnis sagt, kann einen schnell einholen", sagt seine 65 Jahre alte Betreuerin. Schwäche zeigen vor dem Zellennachbarn? Bloß nicht. Vor den Ehrenamtlichen der Straffälligenhilfe aber darf auch der härteste Kerl weinen.

Die Betreuer kümmern sich um Drogendealer, Betrüger, Vergewaltiger und Mörder. Sie schreiben ihnen Briefe, besuchen sie ein- bis zweimal pro Monat im Gefängnis, begleiten sie bei Ausgängen und helfen ihnen manchmal auch noch nach der Entlassung bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Arbeitsplatz. Die Straftäter müssen selbst um eine solche Betreuung bitten, anschließend steht es den Ehrenamtlichen frei, ob sie den Häftling übernehmen möchten oder nicht.

Die Helfer bekommen Hilfe

Jeder muss seine eigenen Grenzen ziehen, erklärt Peter Möller, der sich nun mehr als 20 Jahre lang um Straftäter gekümmert hat. "Wir haben auch Betreuer, die klipp und klar sagen, mit Vergewaltigern möchte ich nicht umgehen." Er selbst zog diese Grenze allerdings nicht. "Ich sehe kein Monster, ich sehe den Menschen", sagt er. Eva Jung-Kramer empfindet das ähnlich: Nicht die Straftat sei für sie entscheidend, nur der Mensch. "Und diese Menschen müssen nach der Haft wieder ein Teil der Gesellschaft werden. Doch sie werden nach der Entlassung oft völlig allein gelassen."

Die Betreuer der Evangelischen Straffälligenhilfe werden nicht allein gelassen: Vor ihrem ersten Treffen mit einem Häftling in einer der elf oberbayerischen Justizvollzugsanstalten erhalten sie eine Schulung durch die Landesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe. Danach treffen sie sich regelmäßig untereinander und sprechen über ihre Erfahrungen mit den Verbrechern. Einerseits müssen sich die Helfer von den Häftlingen abgrenzen, sich selbst schützen. Gleichzeitig aber müssen sie auch etwas von sich preisgeben, um Vertrauen aufzubauen. Es ist nicht immer leicht, die Balance zu finden zwischen Distanz und Nähe. Und im Kopf lassen sich Probleme nicht einfach wegsperren.

Die Türen für Tobias Weinzierl sind nun wieder offen. Zu seinen alten Freunden hat er keinen Kontakt mehr, sagt er, "ist auch besser so". Noch ein bisschen kümmert sich Eva Jung-Kramer um ihn, aber die schlimme Zeit ist überstanden. Es gibt sicher einen nächsten Häftling, der ihre Hilfe brauchen wird. Peter Möller drückt das so aus: "Ich reiche ihnen die Hand, gehen müssen sie selbst." Man müsse dafür kein Psychologe sein, sagt er. Mensch sein reicht schon.

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