Hilfe für einkommensschwache Frauen:Verhütungsmittel von der Stadt

Immer mehr Hartz-IV-Empfängerinnen werden ungewollt schwanger, berichten Beratungsstellen. Frauen mit geringem Einkommen sollen nun für Pille, Spirale oder Sterilisation Geld aus der Stadtkasse bekommen - der Freistaat hatte sich bisher quergestellt.

Von Sven Loerzer

Diese Woche hat Helga Schwarz, Ärztin bei der Beratungsstelle von Pro Familia, schon lange herbeigesehnt, weil nun endlich eine Entscheidung fällt, die ihr wichtig ist. Nicht in ihrem eigenen Interesse, sondern für die vielen Frauen, deren Einkommen so gering ist, dass sie sich Empfängnisverhütung nicht leisten können. Denn an diesem Donnerstag soll der Sozialausschuss des Stadtrats beschließen, dass die Stadt die Kosten der ärztlich verordneten Verhütung übernimmt, ganz gleich, ob sich Frauen für die Pille, Verhütungspflaster oder -stäbchen, Hormon- oder Kupferspirale entscheiden, oder, nach einer eingehenden Beratung, für die Sterilisation. Bis zu 1,6 Millionen Euro jährlich könnte das die Stadt kosten, wenn die insgesamt etwa 20 000 Frauen, die Hartz-IV-Leistungen, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, ihren Anspruch auf das freiwillige Angebot der Stadt geltend machen.

Bis Ende 2003 konnte das Sozialamt die Kosten für die Verhütungsmittel übernehmen. Doch das Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes 2004 beendete diese Praxis. Hartz-IV- und Sozialhilfebezieher müssen seitdem die Kosten für die Verhütungsmittel aus dem Regelsatz für den Lebensunterhalt bezahlen. Alleinstehende Langzeitarbeitslose erhalten monatlich 391 Euro für ihren Lebensunterhalt, zusammenlebende Partner 353 Euro. Nach der Bemessung des Bundesgesetzgebers sind darin rund 16 Euro für die "Gesundheitspflege" zugestanden.

Aus diesem Betrag müssen aber nicht nur Verhütungsmittel, sondern auch alle benötigten nicht verschreibungspflichtigen Arznei- und Heilmittel bezahlt werden. Der Gesetzgeber macht es sich dabei einfach, wie Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) kritisiert: Er gehe davon aus, "dass Mehrausgaben in dieser Bedarfsgruppe durch Einsparungen bei einer anderen ausgeglichen werden", weshalb der Betrag auch nicht erhöht werde.

Bundesweit kostenloser Zugang gefordert

Die Folgen davon spüren die Beratungsstellen deutlich: Sie berichten, "dass sich die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen, die Verhütungsmittel anwenden, halbiert hat und die Zahl ungewollter Schwangerschaften angestiegen ist", sagt Brigitte Meier. Angesichts der Kosten von bis zu 60 Euro bei der Pille für sechs Monate Verschreibung ist das nicht verwunderlich. Bis zu 200 Euro fallen alle drei Jahre für Verhütungsstäbchen an, die Kosten für die Einlage betragen bis zu 100 Euro. Für die Hormonspirale veranschlagt das Sozialreferat bis zu 200 Euro für fünf Jahre, für das Einsetzen fallen bis zu 100 Euro an. Die Sterilisation kann bei der Frau bis zu 850 Euro, beim Mann bis zu 400 Euro kosten.

Pro Familia hat deshalb dafür gekämpft, wieder bundesweit den kostenlosen Zugang zu ärztlich verordneten Verhütungsmitteln einzuführen. Für Christian Reisenberg, Geschäftsführer von Pro Familia München, ist die "selbstbestimmte Familienplanung" ein Grundrecht. "Die meisten Frauen, die eine Langzeitverhütung wollen, haben schon mehrere Kinder", berichtet Helga Schwarz . "Sie können es finanziell nicht stemmen, die Pille zu kaufen, oder das Einsetzen einer Spirale zu bezahlen." Seit 2006 hat deshalb Pro Familia versucht, diesen Frauen mit Spendengeldern und einem Zuschuss der Stadt für Härtefälle zu helfen. Doch das hat den Bedarf nicht decken können, nur etwa 250 Frauen pro Jahr konnte Pro Familia helfen.

Um so mehr freut sich die Ärztin nun, dass das Sozialreferat die Verhütung für Menschen mit geringem Einkommen als freiwillige Leistung finanzieren will, auch wenn die Stadtkämmerei Bedenken hat. "Eigentlich müsste die Leistung bundesweit wieder eingeführt werden", erklärt Helga Schwarz.

Pro Familia werde deshalb weiter dafür kämpfen, dies zu erreichen, betont Reisenberg, zumal die Forderung inzwischen von fast allen Sozial- und Familienministern der Länder unterstützt wird. Nur Bayern habe sich quergelegt. Dabei, sagt Reisenberg kopfschüttelnd, muss der Freistaat bei Frauen mit geringem Einkommen immer dann, wenn es zu einem straffreien Schwangerschaftsabbruch kommt, letztlich die Kosten dafür übernehmen. Das Land Berlin dagegen habe, ungeachtet seiner finanziellen Lage, den kostenlosen Zugang zur Verhütung über all die Jahre immer aufrecht erhalten.

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