Hilfe für Bedürftige:Ein Haarschnitt, der Leben verändert

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Obdachlose bekommen einen kostenlosen Haarschnitt von Friseuren der Barber Angels Brotherhood. (Foto: Robert Haas)

Ein Friseur hat die "Barber Angels Brotherhood" gegründet, die Obdachlosen kostenlos die Haare schneidet. Mit der Aktion wollen sie den Menschen ein Stück Würde zurückgeben.

Von Franziska Schwarz

"Acht Millimeter, rundherum", erklärt der knochige Mann mehrmals. Er wirkt angespannt. "Sind Sie sicher?", fragt Daniela Flohr. Die 27-jährige Friseurin findet, dass man bei dem 56-Jährigen das Haar seitlich stärker kürzen sollte. Oben würde sie lieber etwas mehr stehen lassen. Am Ende hat der Mann dann einen klassischen Fassonschnitt, sagt, dass er zufrieden ist - und drückt das auch in seinen Gesten anschaulich aus. Er fährt sich mit den Händen über den Kopf, anstatt weiter die Arme vor dem Oberkörper zu verschränken.

Normalerweise ist für den 56-Jährigen höchstens ein Schnitt für acht Euro am Hauptbahnhof drin, und das auch nicht regelmäßig. Seit er seinen Job als Busfahrer verloren hat, ist er arbeitslos. An diesem Sonntag ist aber die "Barber Angels Brotherhood" - in etwa: die Bruderschaft der Friseur-Engel - im Männerwohnheim in München-Sendling. Acht erfahrene Friseure verpassen Bedürftigen seit Mittag unentgeltlich eine neue Frisur. Zwölf Kunden kommen, am Ende ist die dunkle Auslegeware im Gemeinschaftsraum voller Haarbüschel. Die Friseure müssen es schaffen, ohne Spiegel zu arbeiten.

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Den Klub hat der Friseur Claus Niedermaier, seit fast 40 Jahren im Geschäft, im vergangenen November gegründet. Der entscheidende Auslöser war für ihn ein Fernsehbericht über Obdachlose. Für sein Vorhaben hatte der 55-Jährige aus Biberach an der Riß schnell ein paar Kollegen zusammen. Mindestens einmal im Monat organisiert der Klub bundesweit einen Ort, an dem die Mitglieder Bedürftigen gratis das Haar schneiden. Wer Zeit hat, kommt.

"Wir wollen den Menschen ein Stück ihrer Würde zurückgeben", sagt Niedermaier. Dem kann man nichts entgegensetzen. Haare rahmen schließlich das Antlitz und besser situierte Menschen werden ja schon nervös, wenn sie einen sogenannten Bad Hair Day haben - selbst, wenn sie sich gerade weder um einen Job, noch um eine Wohnung bewerben müssen.

Die Mitglieder der Barber Angels Brotherhood sind für den Termin in München aus Biberach, Crailsheim, Friesheim, Mönchengladbach, Schwäbisch Gmünd und Tübingen angereist. Sie haben alle die gleiche Weste an: aus schwarzem Leder, mit einem aufgenähten Button, der das Klub-Emblem zeigt. Das heißt aber nicht, dass sie Rocker wären. Bei dem Klub-Outfit gehe es ihnen darum, einen gewissen Wiedererkennungswert zu haben, sagt ein Barber Angel.

Niedermaier trägt ein Namensschild mit "Figaro Apostel". Auf den Aufnähern seiner Kollegen stehen "Apostel Barber-Papa" oder "Apostel Little Willy". Ist das jetzt ironisch gemeint? Nein, sagt er, und hat dabei ein kleines Lachen in den Augen: "Wir ziehen durchs Land und versuchen, neue Jünger zu bekommen." Momentan umfasst der Klub 30 Friseure, sowohl Männer als auch Frauen. Die Barber Angels zahlen monatlich 15 Euro Mitgliedsbeitrag, etwa für Unkosten wie die Anreise, das Catering bei den Meetings, sagt Niedermaier - oder die Werbung für die Aktion.

Die Kunden sind mit dem Ergebnis der Aktion in einem Männerwohnheim offenbar zufrieden. (Foto: Robert Haas)

Die erfolgt auf traditionellem Weg, denn wer kein Dach über dem Kopf hat, hat auch keinen Wlan-Anschluss oder einen Account in den sozialen Netzwerken. Die Barber Angels hängen etwa zwei Wochen vor ihren Terminen Zettel in den Wohnungslosen-Einrichtungen der Heilsarmee aus. Noch kein einziges Mal standen die Barber Angels ohne Kunden da. Anfangs sprachen die Klub-Mitglieder die Menschen selbst auf der Straße an. Es gibt oft Hemmungen bei den Obdachlosen, erzählt Niedermaier, es gehe hier darum, das Eis zu brechen. Und das gelingt immer wieder.

Die Übernachtung in einem Hotel zahlt den Barber Angels an diesem Wochenende sogar ein Sponsor. Normalerweise kommen sie bei Freunden unter. Das Problem, dem sich die Barber Angels Brotherhood annimmt, ist offensichtlich universell. In den Medien wurden zuletzt ein Friseur aus New York City und einer aus London bekannt, die beide Obdachlosen unentgeltlich das Haar schnitten.

In der vergangenen Woche ging ein Video aus Mallorca viral. Über einen Mann, der dort mehr als 20 Jahre auf der Straße lebte, und der ebenfalls ein Makeover erhielt. Die Aussage des Clips: den Bart gefärbt bekommen - und ein neues Leben anfangen. Ganz so einfach ist es sicher nicht. Aber ein Haarschnitt rahmt zumindest wieder das eigene Gesicht.

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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