Süddeutsche Zeitung

Hilfe für Arbeitslose:Eine Brücke in die Arbeitswelt

  • Das geplante Teilhabechancengesetz soll Münchner Langzeitarbeitslosen Chancen auf Beschäftigung verschaffen.
  • Wieviel Geld aus dem mit vier Milliarden Euro bis zum Jahr 2022 ausgestatteten Programm nach München geht und wie viele Stellen in dem neuen sozialen Arbeitsmarkt sich daraus finanzieren lassen, steht noch nicht fest.
  • Die Fördervoraussetzungen erfüllen nach Angaben des Münchner Jobcenters 4500 Frauen und Männer.

Von Sven Loerzer

Zum Amtsantritt als stellvertretende Jobcenter-Chefin muss sich Brigitte Bieringer gleich um eine neue Aufgabe kümmern: Die 52-Jährige, die zuletzt den operativen Bereich der Arbeitsagentur Konstanz-Ravensburg leitete, soll Münchnern, die lange Jahre arbeitslos sind, Chancen auf Beschäftigung verschaffen. Sie wird das Teilhabechancengesetz umsetzen, dessen Entwurf gerade das Bundeskabinett gebilligt hat. Mit vier Milliarden Euro ist das Programm bis zum Jahr 2022 ausgestattet - wie viel davon nach München geht und wie viele Stellen in dem neuen sozialen Arbeitsmarkt sich daraus finanzieren lassen, steht noch nicht fest. Die Fördervoraussetzungen erfüllen nach Angaben des Münchner Jobcenters 4500 Frauen und Männer. Möglichst viele von ihnen sollen davon profitieren können - wenn sie wollen: Die Teilnahme an dem Programm, das laut der Berliner Koalition "Soziale Teilhabe für alle" sichern soll, ist freiwillig.

Das Gesetz, das Anfang 2019 in Kraft treten soll, sei eine "große Chance für Menschen, die am Rand der Arbeitsgesellschaft stehen", sagte Jobcenter-Geschäftsführerin Anette Farrenkopf bei Bieringers Amtseinführung. "Die Programme helfen den Betroffenen nachhaltig." Langzeitarbeitslose bekämen so die Möglichkeit, "einer sinnstiftenden Arbeit nachzugehen, die sozialversicherungspflichtig ist und entlohnt wird". Das gebe den Menschen Auftrieb, sie fühlten sich wertgeschätzt und einbezogen. Für das Jobcenter wiederum ist das herausfordernd: "Wir müssen zahlreiche Arbeitgeber gewinnen und die Arbeitnehmer auf ihrem Weg so gut wie möglich unterstützten und begleiten."

Im Mittelpunkt der Förderung stehen Langzeitarbeitslose, die sonst kaum Chancen haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Für sie gab es bislang nur die sogenannten Arbeitsgelegenheiten, besser bekannt als Ein-Euro-Jobs. Das neue Programm richtet sich an Klienten des Jobcenters, die älter als 25 Jahre sind, in den zurückliegenden acht Jahren mindestens sieben Jahre lang Arbeitslosengeld II, vulgo Hartz IV, bezogen und in dieser Zeit allenfalls kurz beschäftigt waren. Sie sollen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden, auf Stellen in der Wirtschaft, bei der Stadt, bei sozialen Betrieben oder Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände. Die Arbeit soll der Stadt und den Münchnern zugutekommen, sagt Farrenkopf; Ideen will das Jobcenter gemeinsam mit Stadt und Verbänden entwickeln. Die jeweiligen Arbeitgeber erhalten dafür hohe Zuschüsse: Im ersten und zweiten Arbeitsjahr werden laut Gesetzentwurf 100 Prozent des Lohns vom Jobcenter erstattet. Danach verringert sich der Zuschuss Jahr für Jahr um zehn Prozentpunkte, die Höchstdauer der Förderung beträgt fünf Jahre. Die Bewerber werden mit einem Jobcoaching begleitet, Qualifizierungen und Praktika sollen ihre Perspektive verbessern, später eine ungeförderte Arbeit zu bekommen.

"Jeder, der lange arbeitslos war, braucht besondere Unterstützung."

Auch Langzeitarbeitslose, die schon zwei Jahre oder länger arbeitslos sind, können gefördert werden, allerdings nur zwei Jahre: Im ersten Jahr gibt es einen Lohnzuschuss von 75 Prozent, im zweiten Jahr von 50 Prozent. Allerdings müssen sich die Arbeitgeber verpflichten, die Arbeitnehmer nach der Förderung mindestens noch für ein halbes Jahr weiter zu beschäftigen.

"Wir bauen mit den beiden Förderinstrumenten Brücken ins Arbeitsleben", sagt Bieringer. "Die Brücken müssen solide und tragfähig sein. Denn jeder, der lange arbeitslos war, braucht besondere Unterstützung." Ein Problem gibt es noch: Der Bund plant, dass die Lohnzuschüsse lediglich auf Mindestlohn-Niveau gezahlt werden können. Tarifgebundene Arbeitgeber wie die Stadt, die Wohlfahrtsverbände und viele Firmen müssten dann aber die Differenz zwischen Mindestlohn und tariflichem Lohn drauflegen und selbst tragen. Für das Jobcenter ist das nicht nur eine Hürde beim Finden von Arbeitsstellen: "Die Bewerber müssen sich das teure Leben in München leisten können. Aus Sicht des Jobcenters wären daher Zuschüsse in Höhe des Tariflohns sinnvoller."

Für ihre neue Aufgabe bringt Brigitte Bieringer mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in der Vermittlung und Beratung mit, zehn Jahre davon auch in München. Ihre Vorgängerin Sabine Schulheiß, 40, die nun als Geschäftsführerin das Jobcenter Nürnberg-Stadt übernimmt, hat viele Projekte zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit begleitet und die berufliche Integration von Geflüchteten vorangetrieben.

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SZ vom 27.07.2018/smb
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