Hildegard Hamm-Brücher:"Damals hatte ich wohl einen Schutzengel"

Hildegard Hamm-Brücher hat den Luftkrieg in München erlebt. Die ehemalige FDP-Politikerin wohnte damals in der Feilitzschstraße, wo in der vergangenen Woche eine Fliegerbombe gesprengt wurde. Ein Gespräch über die Kriegsjahre, die Arbeit im Löschkommando - und welche Erinnerungen die jüngste Bombensprengung in Schwabing bei ihr weckte.

Christian Mayer

Kein Thema hat die Menschen in München in der vergangenen Woche so bewegt wie die Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die Dienstagnacht in der Schwabinger Feilitzschstraße gesprengt werden musste. Das Ereignis vermittelt einen vagen Eindruck von der Daueranspannung und Todesgefahr, die in den späten Kriegsjahren in der Stadt geherrscht haben muss. Auch die Münchner Ehrenbürgerin Hildegard Hamm-Brücher, 91, hat diese Zeit erlebt - die ehemalige FDP-Politikerin und einstige Staatsministerin im Auswärtigen Amt kann aus eigener Anschauung erzählen.

Dr.Hildegard Hamm-Brücher bei der Verleihung des Bürgerpreises in München, 2011

Hildegard Hamm-Brücher hat den Zweiten Weltkrieg in München erlebt. Die Bombensprengung vergangene Woche in Schwabing weckte Erinnerungen bei der 91-jährigen ehemaligen FDP-Politikerin.

(Foto: Stephan Rumpf)

Frau Hamm-Brücher, weckt die Bomben-Sprengung in Schwabing Erinnerungen bei Ihnen?

Oh ja. Die Erinnerungen waren in dieser Woche ganz stark, weil ich genau da, in der Feilitzschstraße, während des Krieges gewohnt habe - zur Untermiete. Ich habe spontan gedacht: Wenn eine solche Bombe damals in Schwabing explodiert wäre, dann wären wir alle kaputt gewesen.

Wie war das damals, in den späten Kriegsjahren in München: Wurden da überhaupt noch Bomben entschärft?

Nein, man war ja froh, wenn man das Schlimmste aufräumen konnte. Wir Studenten hatten damals alle Einsatzdienst. Ich studierte Chemie im Staatsinstitut in der Arcisstraße gegenüber vom Alten Botanischen Garten: Drei oder vier Studenten mussten dort immer übernachten und ausrücken, wenn bei Bombenangriffen etwas passierte. Mit Eimern und Sandsäcken, das waren lächerliche Hilfsmittel angesichts der schweren Bomben. An dem Tag, an dem unser Institut zerstört wurde - ich glaube, es war im Herbst 1944 -, ging diese Zeit dann zu Ende. Wir bekamen ein Ausweichlabor in Weilheim. Im dortigen Realgymnasium haben wir versucht, noch ein wenig zu arbeiten. Das war aber dann nichts mehr.

Wie muss man sich die Arbeit im Löschkommando vorstellen?

Anfangs kamen immer nur Brandbomben, die Sprengbomben wurden erst gegen Ende des Krieges von den Amerikanern eingesetzt. Wir Studenten sollten die Brände eindämmen oder löschen, bevor die Feuerwehr eintraf. Im Ernstfall konnten wir nicht wirklich etwas ausrichten, dazu waren die Mittel zu primitiv. Zum Glück habe ich nie einen richtigen Angriff auf das Staatsinstitut miterlebt, da hatte ich wohl einen Schutzengel. Ich erinnere mich aber an einen Einsatz in der Bayerischen Staatsbibliothek: Da war gegen Ende des Krieges eine Bombe gefallen, und wir wurden abkommandiert, um eine Art Kette zu bilden und wertvolle Bücher aus dem Gebäude herauszutragen. Wir reichten sie weiter, von einem zum anderen, um wenigstens das Mögliche zu tun. Ja, es war schon eine traurige Zeit.

Wie oft gab es in Schwabing eigentlich schwere Luftangriffe? War das eine tägliche Bedrohung?

Nein, das nicht. Einmal abgesehen von den letzten Kriegsmonaten, als sich die Lage dramatisch verschlimmerte, erinnere ich mich an vier große Luftangriffe. Später, als wir in Weilheim ausgelagert waren, habe ich die Tagesangriffe nicht mehr mitbekommen. Ich hatte dann auch in Starnberg ein Zimmerchen, weil ich in meiner Münchner Wohnung ausgebombt war.

Lebten die Münchner in ständiger Angst oder haben sie die tödliche Bedrohung, die jeden Moment wieder einsetzen konnte, im Alltag verdrängen können?

Das habe ich mich oft gefragt. Natürlich hatten die Menschen Angst. Vor allem dort, wo Kinder wohnten, war die Angst sehr groß. Allerdings gab es auch einen Gewöhnungseffekt, es war völlig normal, dass man bei Angriffen schnell irgendwohin rennen musste, wo man möglicherweise sicher war. So aufgeregt wie die Münchner am Dienstag in dieser Woche waren wir jedenfalls nicht!

Der Krieg muss verloren gehen, sonst kriegen wir die Nazis nicht los

Ist es nicht erstaunlich, dass die Fliegerbombe, die am Dienstag gesprengt werden musste, noch eine solche Verwirrung, ein solches Chaos auslöst - siebzig Jahre nach Kriegsende?

Nach einem Luftangriff auf München, 1944

Bei einem Bombenangriff der Amerikaner am 17. Dezember 1944 wurde die Münchner Innenstadt (auf dem Foto: Odeonsplatz und Theatinerkirche) schwer getroffen.

(Foto: SV BILDERDIENST)

Ja. Weil sich die Menschen daran gewöhnt haben, dass man solche Bomben in der Regel entschärfen kann. Diese Geschichte - dass die Bombe tatsächlich explodiert - ist doch sehr außergewöhnlich. Deswegen war die Situation für die Schwabinger, vor allem für die Anwohner, auch wirklich schlimm. Ich finde es erstaunlich, wie explosiv diese Bomben heute noch sind.

Wenn Sie noch mal zurückblicken: Wem haben die Münchner denn damals die Schuld für die fürchterlichen Angriffe gegeben: Den Nazis oder den Alliierten, die gegen Hitler kämpften?

Ich war ja im weiteren Umkreis der Studenten, die man später dann die Weiße Rose genannt hat. Und wir waren eigentlich der Meinung: Diese Situation müssen wir jetzt durchstehen, damit der Krieg irgendwann zu Ende ist. Unsere Hoffnung war, dass bald eine andere Zeit anbricht - und deshalb hatten wir sehr gemischte Gefühle. Einerseits große Ängste und Trauer und Aufregung, aber immer auch diese Widerstandshaltung: Der Krieg muss verloren gehen, sonst kriegen wir die Nazis nicht los. Dieses Gefühl wurde stärker, je länger der Krieg dauerte, und das hat den Überlebenswillen gestärkt.

Wie war das bei den Münchnern, die keine Sympathien für den Widerstand hatten?

Die hielten sich zum Beispiel im Luftschutzkeller in der Leopoldstraße, wo ich auch einige Male war, vollkommen zurück. Da traute sich keiner etwas zu sagen. Ich war allerdings nicht oft dort, weil ich, wenn ich Dienst hatte, über Nacht im Institut ausharren musste.

Wie war denn die Situation in den frühen Nachkriegsjahren? Damals muss es ja unzählige Bomben im Münchner Erdreich gegeben haben - und eine ständige Unsicherheit, ob so ein Ding mal hochgeht.

Richtig. Ich war ja von 1948 an gewählte Stadträtin, das war eine Zeit, als München noch in Trümmern lag und die Aufräumarbeiten intensiv liefen. Damals hatten wir immer wieder Bombenalarm, doch man konnte die Sprengkörper meist gut entschärfen. An eine solche Sprengung wie in Schwabing in dieser Woche kann ich mich gar nicht erinnern - die Leute haben sich nach ihren Kriegserfahrungen aber auch nicht so aufgeregt.

Für die Menschen in Schwabing, die den Krieg noch erlebt haben, war es in dieser Woche ein Déjà-vu-Erlebnis.

Und das Erstaunliche dabei ist: Dass dieser Krieg auch nach zwei, drei Generationen noch seine unmittelbare Wirkung zeigen kann. Ich bin Jahrgang 1921 - in Schwabing gibt es nicht mehr viele Menschen meines Alters, die diese Zeit erlebt haben. Und wissen Sie, was komisch war? Ich saß am Dienstagabend bei der Veranstaltung im Volkstheater mit Helmut Schmidt, der ja noch älter ist als ich, Jahrgang 1919. Wir bekamen immer nur am Rande mit, was gerade los war. Oberbürgermeister Christian Ude ist ja nach seinem Talk mit dem Altkanzler sofort wieder zum Ort des Geschehens geeilt, um sich gleich darum zu kümmern. So nah wie Christian Ude habe ich es nicht mitbekommen, weil dieser Abend anderweitig auch sehr aufregend war.

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