Klassik – aber in jung. Das ist so etwas wie der heilige Gral, nachdem die Musikvermittlungsprogramme der Orchester, die Opernhäuser und beteiligte Dramaturginnen und Dramaturgen seit Jahren suchen. Wie kriegt man die alte Musik an die jungen Leute? Hilfreich ist es da schon mal, wenn die jungen Leute die alte Musik selbst für die jungen Leute so spielen, wie sie das interessant finden. Das Münchner Künstlerkollektiv Hidalgo fing damit vor sieben Jahren an: andere Orte, andere Programme, weg vom steifen Konzert, hin zur multimedialen Performance. Innerhalb von sieben Jahren und unterschiedlichsten Programmen, konnten sich die Konzerte des Kollektivs mittlerweile etablieren, samt Freundeskreis und eigener Vermittlungs-Werkstatt. Und es funktioniert: Die Veranstaltungen sind gut besucht (auch von Menschen unter 40) und werden als Gastspiele in anderen Städten aufgeführt. Vom 13. bis zum 18. Oktober steht jetzt wieder das jährliche Hidalgo-Festival an. Ein Überblick.
Der Ort
Die elegant nach oben strebende Fassade der Fünfzigerjahre verleiht dem Gebäude etwas gleichzeitig Zartes und Monumentales. Doch der ehemalige Glanz großer Kaufhäuser ist vorbei, das Konzept Warenhaus hat seinen Glamour irgendwo zwischen Investor und Ramschkisten verloren. Zeit also für die Kunst dort! Das diesjährige Hidalgo-Festival findet in dem als B-Tween zwischengenutzten ehemaligen Galerie-Kaufhof-Gebäude am Stachus (Karlsplatz 21-24) statt. Und nutzt die verschiedenen Orte, mit denen das Kaufhaus ursprünglich lockte, auch ideell. Mit dabei: Die Spielzeugabteilung, Wellness, Parfümerie und Luxus oder die Feinkostabteilung.
Das Programm
Das Hidalgo-Festival im Kaufhaus startet am Sehnsuchtsort der Kinder und dem Horror begleitender Eltern: „Toi Toi Toy“ heißt das erste Programm (Sonntag, 13. Oktober, 20 Uhr). Untertitel: „Lebe Dein Inneres Kind“. Mit einer solchen Konventionsfreiheit soll man hier der Musik begegnen. Mut zum Spiel heißt es, wenn Radiohead, Billie Eilish und die Beatles sich im Konzept von Digitalkünstler Paul Bießmann, Cellistin und Dramaturgin Anne Keckeis und Tänzerin und Choreografin Roberta Pisu das Programm mit Händel, Vivaldi und Clara Schumann teilen. Der Countertenor Elmar Hauser singt zu Cello und Elektronik, dazu gibt es Tanz – und die Elektronik verspricht, die Trennung der musikalischen Genres aufzulösen.
Weiter geht es mit der dunklen Seite der Kaufkraft: „Sell your Soul“ (Dienstag, 15. Oktober, 20 Uhr) zeigt den Teufel in der Musik samt seiner ganzen Verführungskraft in den „Mephisto-Walzern“ von Franz Liszt, den „Capricen“ des Teufelsgeigers Niccolò Paganini, der „Histoire du soldat“ von Igor Strawinsky und dem „Abîme des oiseaux“ von Olivier Messiaen.
„60 Minutes of Utopia“ (Mittwoch, 16. Oktober, 20 Uhr) versteigt sich ins vielleicht falsche „Alles wird gut“-Versprechen von Wellness und Werbung, wenn Bassist Andrew Munn und Pianist Jacob Greenberg Lieder von Hanns Eisler und Franz Schubert aufführen. Moderiert von Diana Marie Müller sind dazu noch verheißungsvoll einige „ungenannte Perlen“ versprochen.
Abschließend zieht man zum „Fine Dining“ (Freitag, 18. Oktober, 20 Uhr) vom Kaufhaus in den Max-Joseph-Saal der Residenz. Diesmal eingedeckt aus der Feinkostabteilung der Musikgeschichte, mit Stücken aus der Kaffeekantate „Schweigt stille, plaudert nicht“ von Johann Sebastian Bach, „Das irdische Leben“ von Gustav Mahler sowie dem „Augsburger Tafelkonfekt“ von Valentin Rathgeber. Ganz gediegen dürfte das aber trotzdem nicht werden. Immerhin ist am Konzept dieses Abends der Komponist Christopher Verworner beteiligt, der in München nicht zuletzt durch die Leitung und seine Werke für das Anarcho-Kammerorchester VKKO bekannt wurde.
Die Idee

„Dein bester Deal“, versprechen die Hidalgo-Macher via Motto in diesem Jahr. Und treffen damit etwas. Denn wo der selbsternannte große Dealmaker Donald Trump vielleicht als wirrer alter Mann entzaubert wird und immer wieder Warenhäuser, das große Nachkriegs-Wohlstands-Versprechen, pleitegehen, ist die Glücksverheißung Kapitalismus vielleicht auch nur noch eine vergangene und ebenfalls entzauberte Utopie.
Und was wäre da passender, als mit der die Jahrhunderte so lange überdauerten Utopie der klassischen Musik darauf zu antworten? Die Künstlerinnen und Künstler um Hidalgo hatten schon immer ein Gespür dafür, die Situationen der Gegenwart in die Klassik hinein zu spiegeln. Zur „Fridays for Future“-Hochzeit rief man 2021 mit dem „Orchestra for Future“ und Schostakowitsch zur „Revolution“, jetzt, ein paar Krisenjahre später, geht es zum Kapitalismus-Eskapismus ins verlassene Kaufhaus. „Es lebe die Klassik, es lebe der Konsum, es lebe der Kommerz! Hol dir deinen besten Festival-Deal!“, verkünden sie wie der lauteste Marktschreier, um dann ein Programm zu präsentieren, das eben solche Gewissheiten sanft unterspült.
Der Hintergrund

Hidalgo wurde 2017 von einer Gruppe junger klassischer Musikerinnen und Musiker gegründet. „Auf denn zum Abenteuer“, singt der Namensgeber in Robert Schumanns gleichnamigem Lied. Dem Aufruf wollte man nachkommen. Das hieß für die Musikerinnen und Musiker also nach dem Studium erstmal, sich nicht auf die sichere Stelle im Orchester zu bewerben, sondern: Raus aus dem Herkulessaal und Klassische Musik von der Aufführung bis zur Interpretation mal grundlegend anders denken. Kern ist für die 13 im wechselnden und offenen Kollektiv zusammenarbeitenden Künstlerinnen und Künstler dabei das klassische Kunstlied. Dessen Umsetzung aber wird gedehnt. Statt des schlichten Bühnenvortrags gab es Konzerte auf der Straße, bei denen die Musiker durch verschiedene Stadtviertel zogen, und Kooperationen mit Tänzern, bildenden Künstlern und Videokünstlern. So wurde bisher etwa das Abgründige der Romantik wörtlich genommen und eine Boulderhalle oder ein Boxring zum Spielort. Oder man befragte jüngst in der Microsoft-Zentrale die künstlerischen Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz.
Hidalgo-Festival 2024, Sonntag, 13., bis Freitag, 18. Oktober, weitere Informationen: www.hidalgofestival.de