Herzogpark:In guten Händen

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Ausgelassen scherzen zwei Bewohnerinnen mit Leiterin Erika Lech-Vlasa (re.). Die günstigen Wohnungen stehen einkommensschwachen Frauen zur Verfügung. (Foto: Robert Haas)

Seit 60 Jahren bietet der Evangelische Frauenbund am Kufsteiner Platz heimatlosen Münchnerinnen eine Bleibe. Die 120 Wohnungen reichen längst nicht aus, wobei das Haus viel mehr ist als ein schlichtes Apartmenthaus

Von Ulrike Steinbacher, Herzogpark

Heute werden sie Single-Frauen genannt, und niemand rümpft mehr die Nase über ihren Lebenswandel, niemand zieht die Augenbraue hoch, wenn sie alleine wohnen. Zu verdanken ist das der Frauenbewegung, die in den Sechzigerjahren die traditionelle Rollenverteilung mit der Frau als Ehefrau und Mutter in Frage stellte. Zuvor aber, in den ohnehin harten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, da hatten es alleinstehende Frauen noch einmal extra schwer: Sie wurden schlecht bezahlt, fanden nur mühsam eine Bleibe, mussten oft zur Untermiete in irgendeine Kammer ziehen. So mancher heimatlosen Münchnerin mag es wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein, wenn sie ein Zimmer im Neubau des Deutschen Evangelischen Frauenbunds (DEF) am Kufsteiner Platz 1 ergatterte.

Ende 1956 wurde das Haus im Herzogpark eröffnet, ein Zufluchtsort für Entwurzelte. Die 120 Wohnungen sind aber auch heute, 60 Jahre später, noch heiß begehrt. Im Lauf der Jahrzehnte hat sich die Belegschaft allerdings gewandelt. "Sie ist ein Spiegelbild der Gesellschaft", sagt Katharina Geiger, die Geschäftsführerin des Frauenbund-Landesverbands.

"Das ganze weibliche Schicksal" sei im Haus am Kufsteiner Platz versammelt: Sozialhilfeempfängerinnen und Studentinnen, Krankenschwestern, Polizistinnen, Rentnerinnen. In den vergangenen Jahren habe sich die Belegschaft stark verjüngt, gerade durch die Studentinnen. Heute seien mehr Frauen berufstätig, ihr Einkommen steige. Zugleich mache sich aber die Altersarmut bemerkbar, sagt Geiger: "Die Anfragen Älterer nehmen zu." Manche Mieterinnen bleiben nur für zwei, drei Jahre, bis ihre Ausbildung abgeschlossen ist, andere für immer. Die letzte Bewohnerin, die im Anfangsjahr 1956 eingezogen war, starb 2014 mit 98 Jahren. "Manche Frauen sind geblieben, obwohl sie sich auch etwas anderes hätten leisten können", ergänzt Hausmutter Erika Lech-Vlasa.

Den gelben Zweckbau mit den weißen Balkonen richtig einzuordnen, ist schwierig. Ein Wohnheim mit Kontrollen ist das Haus nicht, allerdings ist es für einen bestimmten Personenkreis gedacht: für alleinstehende Frauen christlichen Glaubens, die - Stand heute - maximal gut 1500 Euro im Monat verdienen dürfen. Aber die Concierge, die durch ihr Fensterchen an der Pforte beobachten konnte, wer wann nach Hause kam, wurde schon in den Siebzigern abgeschafft - zusammen mit dem dicken Buch, in das Gäste eingetragen werden mussten. Die Besuchszeit endete um 22 Uhr.

Zugleich ist das Gebäude aber viel mehr als ein schlichtes Apartmenthaus. Dafür sorgt schon Erika Lech-Vlasa, Hausmutter und Hausmeisterin in Personalunion und seit 30 Jahren guter Geist am Kufsteiner Platz. Werktags und am Samstagvormittag können die Bewohnerinnen bei ihr morgens und abends praktische Probleme besprechen, Post abholen, Verlängerungskabel und andere lebenswichtige Dinge ausleihen, Kaffee trinken, Trost finden und ab und zu einen guten Rat mitnehmen. "Es kommen viele und weinen mal ein bisschen ihren Kummer raus", sagt Lech-Vlasa, "wie bei einer Mutter eben". Ihr Büro hat sie mit Stühlen und Sitzkissen ausgestattet, schon wegen der Ratsch-Runden, die sich hin und wieder bilden. Vor allem junge Bewohnerinnen sitzen öfter bei ihr.

Ursprünglich war das Konzept des Hauses stärker auf eine Wohngemeinschaft ausgerichtet, sagt Katharina Geiger. Deswegen gab es Gemeinschaftsräume, einen Speisesaal im Erdgeschoss, eine Nähstube. "Dann hat sich die gesellschaftliche Individualisierung niedergeschlagen." Heute seien die Bewohnerinnen stärker für sich, auch wenn man einander grüße und oft auch gut kenne. Der Saal lässt sich für Feiern mieten, und Angehörige können in zwei Gästezimmern übernachten.

Denn die Wohnungen selbst, die meisten davon Ein-Zimmer-Apartments, sind ziemlich klein: 28 Quadratmeter mit Kochnische in der winzigen Diele und kleinem Bad mit Dusche; 32 Quadratmeter, wenn ein Balkon dabei ist. In den Anfangsjahren, als die Ansprüche noch nicht hoch und die Mieterinnen froh waren, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, war das sicher schon fast Luxus. Damals, sagt Erika Lech-Vlasa, "war alles mehr am Nützlichen orientiert". Das wiederum bescherte dem Frauenbund über die Jahre viel Sanierungsbedarf: In den Fünfzigern waren zum Beispiel die Telefonleitungen einfach auf Putz gelegt worden, und auf jedem Stockwerk gab es am Ende des Flurs exakt ein Telefonhäuschen für Privatgespräche. In den ursprünglichen Bädern versorgte ein Schlauch aus dem Boiler sowohl die Dusche als auch das Waschbecken mit warmem Wasser.

Doch diese Zeiten sind passé. Zimmer und Gebäude werden fortlaufend modernisiert. Als nächstes ist im Herbst der Innenhof an der Reihe. Danach soll ein größerer Aufzug her, der Fahrradkeller wartet auf Überholung. Und auch 60 Jahre nach der Eröffnung gibt es eine Warteliste. Gründe für das ungebrochene Interesse sind sicher der Standort nahe der Isar, fünf Minuten vom Englischen Garten entfernt, und natürlich der Preis: Eine Wohnung kostet im Monat 400 Euro. Und dann ist da noch dieser Hauch von Heimat mit Sommerfest und Weihnachtsfeier und Treff bei der Hausmutter. Katharina Geiger: "Es ist ein Haus, das lebt."

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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