Süddeutsche Zeitung

Kritik:Pianistisches Wunder

Der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin verschenkt die Möglichkeiten des BRSO im Herkulessaal. Dagegen überzeugt die Pianistin Beatrice Rana.

Von Paul Schäufele, München

Das sind zwei sympathische Männer. Hans Abrahamsen, der den mehr höflichen als enthusiastischen Beifall linkisch entgegennimmt, und der beschwingte Yannick Nézet-Séguin, der den dänischen Komponisten-König immer wieder aufs Podium der Herkulessaal-Bühne dirigiert. Doch auch die Siegergesten Nézet-Séguins täuschen nicht darüber hinweg, dass seine Interpretation die neue Frucht aus Abrahamsens kaltem Klangkosmos, das halbstündige "Vers le silence", nicht mit Leben zu erfüllen vermag. Die Partitur macht es nicht einfach.

Ein gewaltiges Orchester muss durch komplexe Notenmassen laviert werden, um eine recht simple Idee zu veranschaulichen - allmähliches Verstummen in vier Sätzen. Doch anstatt die Formangebote aufzugreifen, die Abrahamsen macht, die diffizilen Schichtungen aufzuzeigen, bleibt Nézet-Séguin eindimensional: Erst ist es laut, dann leise. Auch zu Brahms' dritter Symphonie findet der kanadische Dirigent an diesem Abend keinen Zugang. Geschenkt, dass er Tempi wählt, die von anderen Orchestern als dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks rein spieltechnisch kaum zu bewältigen wären. Doch die Kurzatmigkeit, die unorganische, plumpe Phrasierung, die jeden Bogen in der Partitur zum Anlass eines geradezu vulgären Akzents nimmt und nicht zuletzt die Schludrigkeit des Dirigats verblüffen.

Doch das alles spielt keine große Rolle angesichts des pianistischen Wunders, das Beatrice Rana heißt. Man muss nur drei Takte aus ihrer Sicht auf Clara Schumanns Klavierkonzert gehört haben, um zu verstehen, dass sie uns etwas mitteilen will. Diese klare Idee macht sich in Phrasen von eminenter Klangschönheit hörbar, verbindet sich im zweiten Satz mit dem Spontanen, Phantasierenden, zumal in den subtil vorbereiteten Modulationen. Was diese Idee ist, lässt sich in Worten nicht sagen, doch ist das nur ein Grund mehr, genau hinzuhören, wenn Beatrice Rana spielt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5579624
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lyn/chj
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.