Süddeutsche Zeitung

"Heppel & Ettlich":Zwei, die die Berliner Kultur nach München gebracht haben

Lesezeit: 3 min

Seit 1972 prägen Wolfgang Ettlich und Henry Heppel das kulturelle Schwabing. Jetzt ziehen sie sich zurück.

Von Oliver Hochkeppel

Eigentlich ging der Zug damals, 1968, in die andere Richtung: Die bewegte Jugend drängte nach Westberlin, oft schon deswegen, weil man so dem Wehrdienst entgehen konnte. Fünf Berliner Jungs aber, Lutze, Atze und Henne sowie Henry "Henny" Heppel und Wolfgang "Wolle" Ettlich, die sich nicht zuletzt beim Fußball zusammengefunden hatten ("Südstern 08" hieß ihr Verein), zogen just zu diesem Zeitpunkt antizyklisch nach München. "Wir konnten die Mauer nicht mehr sehen", erinnert sich Ettlich. Und bei München dachten sie an andere, weniger konservative Dinge als die meisten Berliner: "Das war für uns Vogel, nicht Strauß". Außerdem kannten sie ja das Schwabinger Lebensgefühl aus dem gerade laufenden Film "Zur Sache, Schätzchen".

In der Elisabethstraße ließen sie sich nieder, in einer 220-Quadratmeter-Altbauwohnung, die man seinerzeit noch für 700 Mark Miete bekommen konnte. "Wir waren so etwas wie die Kommune II", sagt Ettlich schmunzelnd, "aber natürlich viel harmloser." Zwei von ihnen studierten, die anderen jobbten, bis auch Ettlich beweisen wollte, dass er auch als Arbeiterkind ein Studium schaffen konnte. Auf der Abendschule machte er das Abitur nach und schrieb sich in Kommunikationswissenschaft und Politologie ein.

Nebenher kellnerte er und legte Platten auf - hatte er doch schon zuvor für die Labels Atlantic und Metronome Platten ausgeliefert und war so musikalisch auf dem neuesten Stand. Ein Wirt fragte ihn schließlich, ob er nicht das "Jennerwein" in der Belgradstraße pachten wolle. Ettlich schlug das Angebot der WG zur gruppendynamischen Diskussion vor. ",Kapitalismus-Scheiße', sagten alle, bis auf Henny", erinnert sich Ettlich noch heute.

Also ging es am 1. Januar 1972 zu zweit los, auf gerade mal 25 Quadratmetern und jenseits der Leopoldstraße, "wohin eigentlich keiner ging", wie die beiden anfangs befürchteten. Doch einige hatten offensichtlich auf genau so eine Kneipe im Neuköllner Stil gewartet, von den Fußballern im Norden bis zu Christian Udes Jusos. Sie überrannten den Laden und sorgten für einen derart sensationellen Bierumsatz, dass die Brauerei den wesentlich größeren Fäustlegarten in der Kaiserstraße anbot, der nicht so recht lief.

Dort gab es schon das Kekk-Theater im Nebenraum, also beschlossen die beiden, dort auch Theater zu machen und "die Berliner Kultur nach München zu holen", wie es Ettlich ausdrückt. Nach wochenlanger Renovierung in Eigenregie ging es am 23. Januar 1976 los - und niemand hat damals wohl daran gedacht, welch einzigartiges Biotop sich schnell daraus entwickeln würde.

Stelldichein der aufgeschlossenen Stadtgesellschaft

Was es heute in München nicht mehr gibt, im "Heppel & Ettlich" - wie die beiden ihr Etablissement nach dem Vorbild der legendären Berliner Kneipe "Müller & Schulze" nannten - fand es statt, das Stelldichein der gesamten aufgeschlossenen Stadtgesellschaft. Sportler, linke Politiker, Künstler und Musiker (auch ein Udo Lindernberg oder ein Peter Kraus saßen als Gäste am Tresen), sie alle kamen, und verstärkt auch Medienmenschen, Schauspieler und Filmleute.

"Günther Jauch hat bei uns seine Frau kennengelernt", erzählt Ettlich; auch Doris Dörrie war oft da. So wurde Ettlich selbst Filmemacher. Mit einer Dokumentation über den Sohn seines Mitkommunarden Lutze, der zwischen Punk und Baghwan schwankte, ging es los. Bis heute hat Ettlich mehr als 50 Dokumentarfilme gedreht und produziert, von Langzeitbeobachtungen wie "Die Schützes - Leben nach der Wende 1990 bis 2010", "Meine Reise in die DDR - 25 Jahre später" bis zur Sportler-Bio "Adolf "Adi" Katzenmeier - Der Vater der Nationalmannschaft" oder Musikreportagen wie "New Orleans - City of Jazz". Die meisten Filme hatten ihre Premiere natürlich im "Heppel & Ettlich", dort, wo auch Kabarettisten wie Frank-Markus Barwasser, Die Missfits, Piet Klocke oder Helge Schneider (vor sieben Zuschauern) ihre ersten Münchner Auftritte hatten. Wo aber auch Rock und Blues, Theater und Kinderkino eine Heimstatt fanden.

Nach der Sommerpause haben die jungen Mitarbeiter das Sagen

Aufregende, aber auch aufreibende Jahre, bei denen es irgendwann zum Running Gag wurde, dass Wolle und Henny mit dem Abschied liebäugelten und sagten: "Ein, zwei Jahre machen wir es vielleicht noch." Insgesamt wurden es in der Kaiserstraße 33 Jahre, bis 2009 dort tatsächlich Schluss war. Doch ganz wollten die beiden nicht von der Kultur lassen, wenig später übernahm man das ehemalige "Bel Étage" über dem "Drugstore" an der Feilitzschstraße.

Dieses zweite "Heppel & Ettlich" war nun keine Kneipe mehr, sondern ein Theatersaal, in dem man - auch wegen der stärkeren Konkurrenz - auf Nischen und Nachwuchs setzte, vom Opernstammtisch und Jazzsalon über den jungen "Music Monday" bis zur eingeführten Reihe "Das Heppel geht fremd" mit fremdsprachigem Programm. Auch wenn der Name des Theaters bleiben soll (nach der Sommerpause haben die jungen Mitarbeiter das Sagen) - mit Wolles Abgang wird Schwabing wohl nicht mehr dasselbe sein.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2018
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