Henri Fabers Roman "Kaltherz":Auftoupierte Moneten-Monroes

Henri Fabers Roman "Kaltherz": Beherrscht die Tricks des Genres: der österreichische Thriller-Autor Henri Faber.

Beherrscht die Tricks des Genres: der österreichische Thriller-Autor Henri Faber.

(Foto: Gunter Gluecklich/dtv)

Henri Fabers aktueller Thriller spielt in München, wo Yuppies um die Wette glitzern und Kinder verschwinden.

Von Bernhard Blöchl, München

München aus Sicht des Thriller-Autors. Im Süden gibt es den Betontrabanten, den die einen "Entlastungsstadt" nennen, die anderen "Ghetto". Auch der Norden hat heiße Pflaster. "Wenn Neuperlach ein sozialer Brennpunkt ist, dann ist das Hasenbergl ein ewiges Kokeln und Glimmen." Dazwischen: die "Villenviertel der Reichen" und "diese verwöhnten Latte-Macchiato-Glucken". In Schwabing wiederum zeigt die Dekadenz ihre gebleachte Fratze, in der Rooftop-Bar eines Fünf-Sterne-Hotels: "Auftoupierte Moneten-Monroes mit Glitzer-Glitzer und Gucci-Täschchen bezirzen Slimfit-Lackaffen und braun gebrannte Lacoste-Yuppies."

Nein, eine Werbekampagne für München ist dieser Roman nicht. Soll er auch nicht sein. Henri Faber, den als Wahl-Hamburger aus Österreich immerhin die Heimat seines Verlages dtv mit der Bayernmetropole verbindet, hat hier einen Thriller angesiedelt, in dem Kinder verschwinden, Männer online Mädchen nachstellen, Menschen sterben - kurzum: in dem harte Themen verhandelt werden. "Ich bin nicht fürs Sightseeing gekommen", denkt denn auch Kim Lansky, die neue Kommissarin bei der Vermisstenabteilung der Münchner Kripo.

Henri Fabers Roman "Kaltherz": "Wenn Neuperlach ein sozialer Brennpunkt ist, dann ist das Hasenbergl ein ewiges Kokeln und Glimmen", schreibt der Autor. In Neuperlach ist seine Kommissarin groß geworden.

"Wenn Neuperlach ein sozialer Brennpunkt ist, dann ist das Hasenbergl ein ewiges Kokeln und Glimmen", schreibt der Autor. In Neuperlach ist seine Kommissarin groß geworden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Lansky ist eine von mehreren Ichs des Buches. Wie schon in seinem Thriller-Debüt "Ausweglos" (2021) lässt Faber vier Menschen abwechselnd aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählen, blickt also im Wechsel der kurzen Kapitel in vier Köpfe. Im Fall von "Kaltherz" sind das - neben der Ermittlerin - Jakob und Clara Lipmann, deren fünfjährige Tochter Marie verschwunden ist, zuletzt gesehen am Parkplatz des Feringasees. Auch in den Kopf des Kindes schaut Faber. Und schlägt einen besonders stimmigen Erzählton an, zum Beispiel wenn er die Kleine drollige Begriffe denken lässt ("Miste-Kiste") und generell einfache, klare Sätze wählt.

Lansky, eine ziemlich lässige Zeitgenossin, möchte den Fall unbedingt lösen. Sie ist bei der Polizei bereits aus mehreren Abteilungen geflogen, nun will sie es allen zeigen. Verdächtig, Marie entführt zu haben, ist unter anderen das Kindermädchen der Lipmanns. Dass es keine Lösegeldforderung gibt, macht die Beteiligten stutzig. Und warum bleiben ausgerechnet in München so viele Kinder verschwunden?

Als Werbetexter weiß Faber genau, was er für welches Publikum wie erzählt

Henri Faber, Jahrgang 1986, beherrscht die Tricks des Genres, das Spiel mit den Perspektiven, die Täuschungsmanöver. Nichts ist, wie es scheint. Das beginnt schon mit dem Prolog. Darin heißt es am Ende: "Ich habe sie auf dem Gewissen. Ich habe sie getötet. Alle drei." Bumm. Sätze mit Sogkraft. Als Werbetexter weiß Faber genau, was er für welches Publikum wie erzählt. Während er als Rudolf Ruschel ("Ruhet in Friedberg", 2020) den schwarzen Humor mit der Bestatterschaufel aus dem Friedhofsboden hebt und dabei ein bisserl zu offensiv seinen Landsmann Wolf Haas imitiert, fährt er als Henri Faber Wortwitz und Satzschlenker zugunsten einer plotgetriebenen Spannung zurück. Was nicht heißt, dass nicht auch hier, in der Klarheit des Thrills, Sätze zum Schmunzeln zu entdecken sind: "Blond, blaue Augen, sieht aus, als wäre sie einem Walt-Disney-Reißbrett entsprungen ... Bei der Mutter wiederholt sich das Muster: Clara Lippmann, achtundzwanzig, ebenfalls blond und blauäugig, ebenfalls Disney... Photoshop würde sich vor Langeweile selbst schließen bei ihren Bildern."

Zurück zum München-Bild. Auch hier zeigt der Autor an einer Stelle überbordende Fantasie. Da ist von einem "Schlachthaus" die Rede. "Ein hässlicher Betonklotz, geplant in den Siebzigern, angepriesen als Prestigeprojekt der modernen Landwirtschaft, geendet als größter Schandfleck der Stadt. Sechs Stockwerke vertikale Massentierhaltung: ein Schweinehochhaus". Im Hier und Jetzt der Geschichte steht der Komplex leer, wird unter anderem für illegale Raves genutzt und dient Faber als Kulisse für einen spannungsgeladenen Plot-Punkt in der Mitte des Romans. Dass es in München so ein Schweinehochhaus nie gegeben hat, geschenkt. Reiseführer stehen im Handel in einer ganz anderen Ecke.

Henri Faber: Kaltherz, erschienen bei dtv, 416 Seiten, Paperback 16,95 Euro

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