Süddeutsche Zeitung

Helfer in München:So funktioniert Flüchtlingshilfe am besten

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Von Inga Rahmsdorf

Die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof gingen um die Welt: Menschen, die Wasser und Decken verteilen, Dolmetscher, die übersetzen, Ärzte, die Flüchtlinge untersuchen. Der große Einsatz vieler Münchner Anfang September war beeindruckend. Für kurze Zeit standen sie im Licht der Weltöffentlichkeit. Mittlerweile sind die Kamerateams abgezogen, es ist ruhiger am Hauptbahnhof geworden, die Grenzkontrollen wurden verschärft, Züge werden um die Stadt herum geleitet. Doch die Arbeit der Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, geht weiter - meist weitgehend unbeachtet im Hintergrund.

Was wird in Zukunft bleiben von der Hilfsbereitschaft, von der Weltstadt mit Herz, als die München gefeiert wurde? Wird das Engagement anhalten? Und wie wird sich die Flüchtlingsarbeit in Zukunft verändern?

Viele engagierte Bürger haben geholfen

Die Willkommenskultur, die sich am Münchner Bahnhof gezeigt hat, sei weder den großen Verbänden noch der Politik zu verdanken, sagt Gerd Mutz, Professor an der Hochschule München: "Sie wurde getragen von den vielen kleinen Initiativen, Gruppen und Freiwilligen, die sich schon seit Jahren in der Flüchtlingshilfe engagieren." Ja, es hätten viele Menschen mitgeholfen, die zum ersten Mal dabei waren.

Und auch eine Bundeskanzlerin, die die Grenzen öffnete, und ein Oberbürgermeister, der an den Hauptbahnhof kam und signalisierte, dass er das Engagement unterstütze, hätten diese Willkommenskultur befördert, so der Sozialwissenschaftler. Aber letztlich seien es die erfahrenen Münchner gewesen, "die alten Hasen", die sich schon seit Langem in der Flüchtlingshilfe engagieren, die all das koordiniert und auf die Beine gestellt hätten. Es seien die gleichen Freiwilligen gewesen, die bereits in den vergangenen Jahren den Hauptanteil der Integration von Flüchtlingen geleistet hätten.

Viele würden spontan wieder helfen

Gerd Mutz hat in Kooperation mit dem Munich Institut of Social Sciences das Engagement für Flüchtlinge in München untersucht, mehr als 130 Gespräche und Interviews geführt und die Ergebnisse diese Woche in einer Studie veröffentlicht. "Wir waren überrascht, wie viele kleine Initiativen und Gruppen es bereits gibt, die sich in allen möglichen Bereichen der Flüchtlingshilfe engagieren." Von der Tanzgruppe bis hin zu Patenschaften.

Eigentlich hatten Mutz und seine Kollegen bereits im Juni ihre Interviews beendet. Als dann Anfang September der Hauptbahnhof zum Schauplatz der Flüchtlingshilfe wurde, weiteten sie ihr Forschungsprojekt aus. Und trafen dort viele Helfer, die sie schon aus den früheren Befragungen kannten. Mutz geht davon aus, dass sich diese schnelle und spontane Hilfe wieder aktivieren ließe, falls erneut Tausende Flüchtlinge in München ankommen sollten.

Der Organisations-Wissenschaftler Egon Endres beurteilt die Ereignisse im September am Hauptbahnhof etwas anders. Der Professor an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München ist überzeugt davon, dass es gerade erst die Zusammenarbeit so vieler verschiedener Akteure war, die diese enorme Hilfe ermöglicht hat. "Das hat nur so gut funktioniert, weil neue Formen der Vernetzung entstanden sind", sagt Endres. Weil plötzlich Freiwillige, Polizisten, Vertreter der Stadt, der Regierung von Oberbayern, des Freistaats und Mitarbeiter von Wohlfahrtsverbänden sowie von Unternehmen ganz neue Allianzen geschlossen und gemeinsam geholfen haben. Endres sieht in dieser Vernetzung eine riesige Chance, gemeinsam die Herausforderungen bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zu bewältigen. Einzelne Gruppen oder Behörden seien mit den Aufgaben alleine überfordert.

Aber dieser "frische Wind in der Flüchtlingshilfe" müsse jetzt auch in den Alltag der Behörden, Verbänden und Kommunen implementiert und weiterentwickelt werden, fordert er. Die Situation am Hauptbahnhof habe gezeigt, dass man in Deutschland Abläufe und Strukturen flexibler gestalten und radikal neu denken könne und dabei vielleicht auch manche der bisherigen Auflagen über den Haufen geworfen werden müssten. Er hält eine bundesweite Flüchtlingskonferenz für sinnvoll, denn nur wenn sich alle Beteiligten - von den Wohlfahrtsverbänden über Behörden und Flüchtlingsinitiativen bis hin zu Unternehmen und Kulturinstituten - an einen Tisch setzen würden, könne man neue Lösungen finden.

Helfer brauchen künftig mehr Unterstützung

Neben der Frage, wie alle Seiten künftig besser kooperieren, wird auch die Frage entscheidend sein, wie die Flüchtlingshelfer besser unterstützt werden können. Denn "die Integration und Arbeit geht ja jetzt erst richtig los", wie Manuela Dornis, Sprecherin der Caritas München sagt. Die Menschen, die neu angekommen sind, brauchen Deutschkurse, eine Ausbildung oder Arbeit und eine Wohnung.

Die Wissenschaftler Mutz und Endres fordern, dass die großen Organisationen sich mehr für Freiwillige öffnen müssen. "Die großen Wohlfahrtsverbände sind gut beraten, wenn sie die kleinen Organisationen wie den bayerischen Flüchtlingsrat ernst nehmen. Für beide Seiten ist es sinnvoll, im wechselseitigen Austausch zu stehen", sagt Endres. Die Studie von Mutz hat auch gezeigt, dass viele der Befragten mit den Strukturen der großen Verbände wenig anfangen können und stattdessen kleine Gruppen und Initiativen vorziehen, weil sie dort besser mitgestalten und flexibler mitarbeiten könnten.

Und es gibt weiterhin viele Münchner, die helfen wollen. Elisabeth Ramzews von der Inneren Mission spricht von einem "Hype in der Flüchtlingshilfe". Doch der bereitet auch Schwierigkeiten, denn für die Betreuung der Freiwilligen benötigen die Verbände und Organisationen viel Zeit. Wer langfristig helfen will, der muss derzeit oft Geduld mitbringen. Auf der Plattform willkommen-in-muenchen.de, die die Hilfe koordiniert, werden Interessierte gebeten, bis zum Winter zu warten. Laut Caritas haben sich dort bereits etwa 1400 Menschen gemeldet. Wichtig werde zudem sein, auch die Flüchtlinge selbst miteinzubeziehen, sagt Dornis, beispielsweise als Kulturdolmetscher. "Wir tun unser Bestes", sagt auch Ramzews, "aber wir sind überlastet mit den Anfragen." Der Bedarf sei zwar da, aber die Helfer brauchen auch Fachkräfte, die sie beraten, schulen und begleiten. Und davon gibt es viel zu wenige, kritisieren Wohlfahrtsverbände, Freiwillige und Wissenschaftler.

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Quelle:
SZ vom 02.10.2015
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