Heizkraftwerk Nord:Soll München sein Kohlekraftwerk abschalten?

Entsorgung des Restmülls in München von der Abholung vor der Haustüre bis zur Verbrennung im Heizkraftwerk Unterföhring

Die CO2-Bilanz Münchens ist durch das Heizkraftwerk Nord nicht gerade positiv. Aber würde eine Abschaltung wirklich etwas bringen?

(Foto: Florian Peljak)

Am 5. November können die Münchner über die Zukunft des Heizkraftwerks Nord abstimmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Bürgerentscheid.

Von Dominik Hutter

Worum geht es beim Bürgerentscheid?

Die Stadtwerke München betreiben im Münchner Norden ein Steinkohlekraftwerk, in dem Strom und Wärme erzeugt werden. Block 2 (in den beiden anderen Blöcken wird Müll verbrannt) ging 1991 in Betrieb und galt wegen seiner Kraft-Wärme-Kopplung damals als besonders effizient und modern. Pro Jahr werden dort rund 800 000 Tonnen Steinkohle verfeuert. Ein Zusammenschluss von mehr als 50 Vereinen, Initiativen und Parteien fordert nun, die Anlage bis 2022 stillzulegen. Steinkohle sei eine Energiequelle von gestern, lautet die Kritik, und in Zeiten des Klimawandels solle auch München seinen Beitrag zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen leisten.

Wie viel Kohlendioxid wird eingespart?

Der Kohleblock stößt 2017 voraussichtlich 1,7 Millionen Tonnen CO₂ aus, in den vergangenen Jahren war es noch ein bisschen mehr (bis 1,9 Millionen). Diese Menge wird nach einer Abschaltung jedoch nicht komplett eingespart, die Energie muss ja durch andere Anlagen kompensiert werden. Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach schätzt, dass etwa 0,6 bis 0,8 Millionen Tonnen weniger anfallen, weil Teile der Produktion ins gasbefeuerte und damit umweltfreundlichere Kraftwerk Süd verlagert werden.

Laut einem Gutachten von Stadtwerken und Öko-Institut bleiben der Atmosphäre - gerechnet bis zum Jahr 2035 - zwischen 8,2 und 10,6 Millionen Tonnen CO₂ erspart, wenn die Anlage bereits 2020 stillgelegt wird (2023: 6,4 bis 8,8 Millionen; 2025: 5,3 bis 7,5 Millionen; 2030: 2,1 bis 3,5 Millionen). Einberechnet ist, dass Teile der Energie in anderen Anlagen erzeugt werden. Nicht berücksichtigt ist der Emissionshandel. Denn die Stadtwerke müssen für den CO₂-Ausstoß im Kohleblock auf europäischer Ebene Zertifikate erwerben. Tun sie das nicht mehr, kann stattdessen ein anderes Unternehmen zuschlagen - und entsprechend CO₂ produzieren. Dann beträgt die Einsparung laut Studie: null. Würde allerdings irgendwann der Emissionshandel reformiert, sodass regelmäßig Zertifikate vom Markt genommen werden, wären echte Einsparungen möglich.

Auf Seiten der Bürgerinitiativen kursiert aber auch die These, dass wegen der viel zu hohen Anzahl an Zertifikaten gar kein Bedarf besteht, das Kontingent des Kohleblocks anderswo zu verbrauchen. Für den Ausstoß anderer Schadstoffe wie Stickstoffdioxid oder auch Quecksilber ist das Kraftwerk laut der Studie nur in geringem Maße verantwortlich.

Welche Folgen hätte eine Stilllegung für die Stromversorgung?

Der Kohleblock speist etwa 14 Prozent des von den Stadtwerken produzierten Stroms ins Münchner Netz. Im Falle seiner Abschaltung würden die Stadtwerke Teile dieser Energieerzeugung auf das gasbetriebene Kraftwerk Süd und - in kleinerem Umfang - später auch auf das neue, ebenfalls gasbetriebene Kraftwerk Freimann verlagern. Der Rest würde auf dem internationalen Strommarkt eingekauft. Dies freilich hat Emissionen an anderer Stelle zur Folge. Gegner wie Befürworter des Bürgerentscheids sind sich einig, dass keine gravierenden Engpässe in der Stromversorgung drohen.

Welche Auswirkung hat das Votum auf die Versorgung mit Fernwärme?

Das Problem mit Fernwärme ist deutlich größer als das beim Strom. Der Kohleblock kann in Kraft-Wärme-Kopplung 900 Megawatt Fernwärme produzieren, sie werden in das alte Dampfnetz der Innenstadt sowie die Heißwassernetze Nord und Freimann eingespeist. Künftig soll vor allem die Geothermie für warme Wohnzimmer in München sorgen. Ziel der Stadtwerke ist es, zumindest die Grundlast komplett über diese regenerative Energieform abzudecken. Bis 2040 soll die Münchner Fernwärme komplett aus erneuerbaren Quellen stammen (neben Geothermie sind etwa ökologisch erzeugtes Gas oder Wärmepumpen denkbar). Nach Einschätzung der Stadtwerke steht aber 2022 noch nicht ausreichend Geothermie zur Verfügung, um das Kraftwerk Nord abschalten zu können. Die Quellen könnten nur schrittweise gesucht, erprobt und erschlossen werden, es handle sich um einen nicht komplett planbaren Prozess.

Zudem ist das auf sehr hohe Temperaturen (wie aus dem Kohleblock) ausgelegte Dampfnetz, das noch in weiten Teilen der Innenstadt liegt, für Geothermie ungeeignet. Die Rohre müssen komplett ausgetauscht und durch ein Heißwassersystem mit kleinerem Querschnitt ersetzt werden. Dafür müssen die Straßen aufgegraben werden - was nach Meinung der Stadtratsmehrheit nur in für die Münchner erträglichen "Dosen" möglich ist. Laut einem gemeinsamen Gutachten von Stadtwerken und Öko-Institut wären deshalb nach einer frühzeitigen Abschaltung des Kohlekraftwerks für einige Jahre provisorische Blockheizwerke notwendig, die mit Gas betrieben und später wieder abgebaut werden. Das gilt im Rathaus als unsinnig. Die Bürgerinitiativen bezweifeln jedoch deren Notwendigkeit.

Die Grünen bevorzugen den Bau eines ganz neuen Gaskraftwerks am Standort Nord in Unterföhring, in dem dann sowohl Strom als auch Fernwärme produziert werden können. Diese Anlage, die von Stadtwerken und Stadtratsmehrheit als völlig unrealistisch eingestuft wird, ist allerdings nicht Bestandteil des Bürgerentscheids. In dem geht es ausschließlich um die Stilllegung des Kohleblocks.

Was nach dem Bürgerentscheid passieren könnte

Warum ist die Rathausmehrheit dagegen?

Auch die Fraktionen von SPD, CSU, FDP und Bayernpartei wollen prinzipiell den Ausstieg aus der Kohleverbrennung, halten aber den Zeitpunkt für verfrüht. Bis 2022 sei die Geothermie, die einmal die Grundlast an Fernwärme abdecken soll, noch nicht weit genug ausgebaut, um auf die im Kraftwerk Nord erzeugte Energie verzichten zu können. Zudem sei ein vorzeitiger Ausstieg für die Stadtwerke sehr teuer, da das kommunale Unternehmen auf erkleckliche Einnahmen verzichten und wohl auch den Bau temporärer Gaskraftwerke finanzieren müsste, mit denen der Ausfall an Fernwärme für einige Jahre kompensiert würde. Dieses Geld sei beim weiteren Ausbau erneuerbarer Energien besser angelegt.

Ist das Votum der Münchner für die Stadt bindend?

Zunächst ja. Der Stadtrat kann als Eigentümer der Stadtwerke eine Stilllegung des Kohleblocks anordnen - und ein Bürgerentscheid wirkt wie ein Stadtratsbeschluss. Allerdings gilt ein solches Votum nur für ein Jahr. Theoretisch. Der Flughafen-Bürgerentscheid von 2012 ist längst nicht mehr bindend, wird aber im Rathaus weiterhin respektiert. Ein Bürgerentscheid ist nur gültig, wenn eine Mehrheit mit Ja abstimmt und wenn diese Mehrheit aus mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten besteht (Zustimmungsquorum).

Allerdings kann die Bundesnetzagentur, die für die Versorgungssicherheit in Deutschland verantwortlich ist, trotz des Bürgerentscheids eine Stilllegung der Anlage per Veto verhindern. Dies gilt als sehr wahrscheinlich, da bis zur Fertigstellung der neuen Nord-Süd-Stromtrassen an Tagen mit hohem Strom- und Wärmeverbrauch Engpässe in Süddeutschland drohen. Der Kohleblock würde dann zwar nicht mit voller Kraft weiterbetrieben. Die Anlage müsste aber betriebsbereit gehalten werden, eine komplette Abschaltung wäre damit vom Tisch.

Wer ist dafür, wer ist dagegen?

Hinter dem Bürgerentscheid stehen neben der ÖDP, die ihn maßgeblich initiiert hat, die Linken und die Grünen. Dazu kommen der Bund Naturschutz, Green City, Oxfam und diverse andere Initiativen. Gegen die vorzeitige Abschaltung ist die große Mehrheit des Stadtrats, darunter SPD, CSU, Bayernpartei und FDP. Auch die Grünen befanden sich vor einigen Monaten noch im Nein-Lager, sie initiierten zusammen mit SPD und CSU eine Kohleminderungsstrategie. Ihren Sinneswandel begründet die Partei mit der Vorstellung eines neuen Gaskraftwerks im Aufsichtsrat der Stadtwerke. Dieser Plan ist laut Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach allerdings nicht in Eigeninitiative entstanden. Der Unterföhringer Bürgermeister habe darum gebeten, so etwas doch einmal zu untersuchen. Das Ergebnis der Prüfung war negativ.

Was kostet der Ausstieg?

Wird der Kohleblock vom Netz genommen, entgehen den Stadtwerken Einnahmen aus einer profitablen Energiequelle. Zudem entstehen wohl Kosten für provisorische Blockheizwerke, die für einige Jahre die Spitzenlast übernehmen müssten. Laut der Studie von Stadtwerken und Öko-Institut macht dies, gerechnet bis 2035, zwischen 153 und 314 Millionen Euro bei einer Stilllegung im Jahr 2020 beziehungsweise 78 bis 160 Millionen bei einer Stilllegung 2025 aus. Gerechnet sind entgangene Gewinne vor Steuern. Diese Summe hängt aber sehr stark von den Rahmenbedingungen des Energiemarkts ab, vor allem die Preise für Erdgas und für die CO₂-Zertifikate spielen eine Rolle. Vor zwei Jahren haben die gleichen Experten die finanziellen Einbußen noch fast doppelt so hoch eingeschätzt. Ob eine vorzeitige Stilllegung auch Auswirkungen auf die Preise für Strom oder Fernwärme hätte, ist unklar. Denkbar wären auch Auswirkungen auf die Müllgebühren. Denn die Blöcke 1 und 3 im Kraftwerk Nord, in denen Abfall verbrannt wird, nutzen teilweise dieselben Anlagenteile wie der Kohleblock. Sie müssten dann vom städtischen Abfallwirtschaftsbetrieb allein unterhalten werden.

Wie geht es bei einem Nein zum Ausstieg weiter?

Wenn die Mehrheit am 5. November gegen den Ausstieg stimmt - oder aber wenn das nötige Quorum nicht erreicht wird -, dann läuft der Kohleblock erst einmal weiter - nach derzeitiger Beschlusslage des Stadtrats etwa bis 2027/2029. Der Termin ist variabel, er hängt vom politischen Willen und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Stadtwerke ab. Die Anlage wird dann aller Voraussicht nach nicht ersetzt. Beim Strom wollen die Stadtwerke auf regenerative Energien, Gas und Zukäufe an der Strombörse setzen. In Freimann soll ein neues, wenn auch kleineres Gaskraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung entstehen, die deutlich größere Anlage in München-Süd wird modernisiert. Zudem sind an diversen Stellen neue Geothermieanlagen geplant. Unklar ist, ob der Stadtrat ein Kohleminderungskonzept weiterverfolgt, das die Stadtwerke derzeit erarbeiten. Demnach könnte der Kohleblock in den kommenden Jahren zumindest im Sommer, wenn weniger Fernwärme benötigt wird, gedrosselt laufen. Der Stadtrat hat darüber aber noch nicht entschieden.

Was ist der nächste Schritt bei einem Ja zum Ausstieg?

Dann müssen die Stadtwerke bei der Bundesnetzagentur die Stilllegung des Kohleblocks beantragen. Die Behörde prüft, ob die Anlage systemrelevant, also für die Versorgungssicherheit unentbehrlich ist. Mit einem Ja beim Bürgerentscheid ist keine Aussage für Blockheizwerke, einen beschleunigten Ausbau der Geothermie oder ein neues Gaskraftwerk verbunden.

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