Heizkraftwerk Nord:Kohleblock kann wohl nicht 2022 stillgelegt werden

Heizkraftwerk Nord Unterföhring

Das Heizkraftwerk Nord in Unterföhring.

(Foto: Florian Peljak)
  • Deutschland plant den Ausstieg vom Strom aus Kohle. Der umstrittene Kohleblock im Kraftwerk München-Nord wird voraussichtlich aber nicht früher vom Netz gehen.
  • Der erfolgreiche Bürgerentscheid von 2017 würde damit ins Leere laufen. Damals sprachen sich 60 Prozent der Wähler für eine Abschaltung schon 2022 aus.
  • Der Block ist möglicherweise "systemrelevant", das heißt, ohne ist ist die Versorgung nicht gewährleistet. Das liegt daran, weil die Pläne für ein neues Gaskraftwerk in Unterföhring vom Tisch sind.

Von Dominik Hutter

Von den Schwierigkeiten, ein Kraftwerk abzuschalten: Plante Florian Bieberbach ein Buch mit diesem Titel, hätte er inzwischen schon einige Kapitel zusammen. Auch wenn eine Kommission nun deutschlandweit den schrittweisen Kohleausstieg eingeleitet hat - der umstrittene Kohleblock im Kraftwerk München-Nord wird deshalb wohl auch nicht früher vom Netz gehen.

Das Prinzip der Systemrelevanz, so gibt Stadtwerke-Chef Bieberbach zu bedenken, bleibt erhalten. Er halte es nach wie vor für äußerst unwahrscheinlich, dass die für die Versorgungssicherheit verantwortliche Bundesnetzagentur das Kraftwerk im Münchner Norden für entbehrlich hält. Dann muss es - Bürgerentscheid hin oder her - in Betrieb bleiben. Zumindest vorerst.

Frühestens 2028, so vermutet Bieberbach, stehen die großen Nord-Süd-Trassen zum Transport von Ökostrom zur Verfügung. Erst dann sei es realistisch, dass die Systemrelevanz des Meilers ausläuft und sich die Stadtwerke beim Bund für die Abschaltung bewerben können. Geplant ist laut Bieberbach eine Ausschreibung: Wer die niedrigste Entschädigung für eine vorzeitige Stilllegung verlangt, ist klar im Vorteil.

Ob es sich dabei wie in München um ein Steinkohlekraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung handelt, oder um eine deutlich umweltschädlichere Braunkohleanlage, die allein der Stromgewinnung dient, spiele in den bisherigen Ausstiegsszenarien keine Rolle. Zum Entsetzen Bieberbachs, der es sinnvoller fände, die schädlichsten Meiler als erste stillzulegen. Im Vordergrund stehe aber offenkundig nicht der Klimaschutz, sondern das Schicksal der deutschen Braunkohlereviere.

Eine Liste, wann welches Kraftwerk an die Reihe kommt, hat die Kohlekommission nicht erstellt. In dem Ausstiegsszenario geht es vor allem um Gigawattzahlen, die in bestimmten Zeiträumen vom Netz gehen sollen. Die Stadtwerke halten für ihre eigene Anlage einen Stilllegungsantrag zum Termin 2028 für machbar. Ob dem auch stattgegeben wird, ist offen.

Damit wird es immer wahrscheinlicher, dass der erfolgreiche Bürgerentscheid von 2017 ins Leere läuft. Damals sprachen sich 60,2 Prozent der Wähler für eine vorzeitige Abschaltung des Kohleblocks bis Ende 2022 aus - die Beteiligung lag allerdings nur bei 17,2 Prozent.

Dass es bei dem Zeitpunkt der Stilllegung nur um wenige Jahre gehen würde, war schon vor der Abstimmung klar: Die mit Steinkohle betriebene Anlage hat eine technische Lebensdauer bis 2035, der Stadtrat hatte sich aber schon vor dem Bürgerentscheid für einen Ausstieg zwischen 2027 und 2029 ausgesprochen. Für eine Stilllegung um 2028 herum wäre also eigentlich kein Votum der Münchner erforderlich gewesen.

Dass die Systemrelevanz nun wieder in den Vordergrund rückt, liegt daran, dass nach dem Nein aus Unterföhring die Pläne zum Bau eines neuen Gaskraftwerks auf dem dortigen Stadtwerke-Areal endgültig vom Tisch sind. Die Stadtwerke hatten gehofft, dass die Bundesnetzagentur keine Einwände hat, wenn nach dem Aus für den Kohleblock eine etwa gleich starke Gasanlage ans Netz geht. Garantiert war diese Zustimmung allerdings nicht - die Bundesbehörde äußert sich prinzipiell nur zeitnah zum Abschalttermin.

Ein neues Kraftwerk in Unterföhring hätte die Lücke schließen können

Bieberbach hält eine Entscheidung zur Systemrelevanz zwischen 2020 und 2022 für realistisch. Dabei geht es ausschließlich um die Stromproduktion. Bei ihrer Abwägung muss die Behörde auch die ebenfalls für 2022 geplante Stilllegung des Atomkraftwerks Isar 2 berücksichtigen. Im bundesweiten Vergleich ist der Kohleblock im Kraftwerk München-Nord mit 330 Megawatt Strom- und 550 Megawatt Wärmeproduktion vergleichsweise klein. Die mit Braunkohle betriebene Anlage in Neurath in Nordrhein-Westfalen kommt auf mehr als 4200 Megawatt Strom.

Aus Münchner Perspektive ist allerdings die Fernwärmeversorgung der kritischere Punkt. Im Widerspruch zu den Organisatoren des Bürgerentscheids betonen die Stadtwerke seit jeher, dass 2022 noch nicht ausreichend alternative Kapazitäten zur Verfügung stehen, um den Kohleblock vom Netz zu nehmen. Ein neues Gaskraftwerk in Unterföhring hätte diese Lücke füllen können. Allerdings rechnet Bieberbach ohnehin damit, dass im Laufe der 2020er-Jahre immer mehr Geothermieanlagen zur Verfügung stehen werden und dass angesichts des Klimawandels sowie einer besseren Gebäudedämmung der Bedarf an Fernwärme sinkt.

Alternative Standorte für ein neues Kraftwerk sieht der Stadtwerke-Chef keine. Zwar werden im Kraftwerk Süd an der Schäftlarnstraße zwei neue Gasturbinen eingebaut, sie ersetzen aber lediglich ältere Anlagen am gleichen Standort. Da obendrein eine neue Geothermieanlage auf dem Areal entsteht, sei dort kein Platz mehr - zumal dies auch die Kapazität des umliegenden Leitungsnetzes sowie die Erlaubnis zur Kühlwasserentnahme überschreiten würde. Einen jahrelang vorgehaltenen "Vorratsstandort" für ein Kraftwerk bei Ismaning habe man längst aufgegeben, berichtet Bieberbach.

Noch nicht entschieden ist über die letzte verbleibende Alternative zur Aufstockung der Fernwärme: mehrere dezentrale Heizwerke mitten in den Stadtvierteln. Elf Standorte werden derzeit untersucht, darunter der Nußbaum- und der Luitpoldpark, benötigt werden aber wohl nur fünf bis sieben.

Ob es zum Bau dieser Anlagen kommt, dürfte von der Rathauspolitik und deren Bereitschaft zu heftigen Konflikten mit den Anwohnern abhängen. Die technische Planung jedenfalls ist im Gange. Die kleinen Heizwerke würden nur für wenige Jahre benötigt, und dann auch nur für wenige Stunden pro Jahr, wenn es besonders kalt ist. Die Begeisterung der Stadtwerke für eine solche Investition hält sich daher in Grenzen. Die Organisatoren des Bürgerentscheids halten die kleinen Heizwerke für entbehrlich.

Auch in Freimann errichten die Stadtwerke aktuell zwei neue Gasturbinen. Sie ersetzen zwei Anlagen, die so marode waren, dass ihre Stilllegung ausnahmsweise von der Bundesnetzagentur genehmigt wurde. Es war seit vielen Jahren das erste Ja zur Abschaltung eines Kraftwerks südlich der Mainlinie. Allerdings nur unter der Prämisse, dass sie durch gleich starke Turbinen ersetzt werden. Das ist beim Kraftwerk Nord nun nicht mehr möglich.

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