Süddeutsche Zeitung

Wieder daheim:Worauf sich Heimfahrer an Weihnachten freuen

Viele Menschen, die in München aufgewachsen, aber dann in eine andere Stadt gezogen sind, kommen an Weihnachten in ihre Heimat zurück. Wir haben nachgefragt: Wie ist das denn so?

Von Nadine Regel, Heiner Effern, Melanie Staudinger, Linus Freymark und Julian Hans

Wenn Theresa Huber am Flughafen ihrer Geburtsstadt München ankommt, kauft sie sich als erstes eine Butterbreze. "Dann weiß ich, dass ich dahoam bin", sagt die 32-Jährige und lacht. Seit drei Jahren wohnt sie in Amsterdam und arbeitet dort als selbständige Stadtführerin. Amsterdamliebe. So nennt sie ihr kleines Reiseunternehmen für deutschsprachige Touren. Der Name spricht für sie. Theresa Huber ist ein sehr gefühlsbetonter Mensch. Mit jedem Wort und jeder Geste strahlt sie Leidenschaft für das aus, was sie tut. "Der Funke soll auf meine Gäste überspringen", sagt Huber und spricht dabei über ihre Liebe zu Amsterdam.

An Weihnachten kommt Theresa Huber aber gern nach München zurück. "Die Schneesicherheit ist in München höher als in Amsterdam", sagt sie, wissend, dass noch nicht einmal hier mit weißer Weihnacht zu rechnen ist. Aber Weihnachtsmärkte gebe es in Amsterdam nicht. Und auch keine Plätzchen. "In München geh' ich einfach in eine Bäckerei und kauf mir Plätzchen", sagt sie. Das habe eine besondere Qualität. Weihnachten werde in München viel stärker zelebriert als in den Niederlanden, alles sei viel intensiver und familiärer in München. Ihr niederländischer Freund Rob Lindner sei früher am 24. Dezember immer ausgegangen. "Seit drei Jahren muss er zu den Schwiegereltern ins schöne Bayern", sagt Huber und grinst.

Die Münchnerin sieht aber auch Parallelen zwischen den beiden Städten. München und Amsterdam verbinde der Sinn für Gemütlichkeit, was auf niederländisch "Gezelligheid" heißt. Das sei auch wiederum der Unterschied. Die Münchner sitzen auch gern mal allein im Biergarten und trinken ihre Mass. Die Niederländer suchen die Entspannung in der Geselligkeit. "Wenn ich abends durch Amsterdam radle, fahre ich alle zehn Meter an einer Bar vorbei", sagt sie. Die Kneipendichte sei hier viel höher - und das Feierabendbier den Menschen heilig. München hingegen sei fast schon ruhig.

Der schönste Platz für sie in Amsterdam ist die kleine Bank vor dem Cafe Il Momento an der Torensluis-Brücke. "Da passen nur drei Menschen drauf und man hat immer Sonne", sagt Huber. Von dort aus beobachtet sie das Treiben in den Grachten. Amsterdam ist für sie der Geruch des Wassers, die kleinen, schiefen Häuschen, die Tulpen auf dem Tisch, die lockere Art der Menschen. Ihr Lieblingsplatz in München ist der Monopteros, der romantischste Ort der Stadt. "Ich habe da die schönsten Küsse in meinem Leben empfangen", sagt sie. München bedeutet für Theresa Huber Vergangenheit und schöne Erinnerungen. Die werden nicht so schnell verblassen.

Denn einige ihrer liebsten Freunde wohnen noch hier. "Wenn die nach Amsterdam ziehen würden, würde ich an München nichts vermissen", sagt sie. Dieser Gedanke bringt sie kurz ins Stocken. München bleibe immer ihre erste Heimat, aber aus Amsterdam ziehe sie so schnell nichts weg. Nadine Regel

Spaziergänge an der Isar

Es gibt Menschen, die über Weihnachten nach München kommen, und den Rummel in der Stadt tatsächlich genießen können. Achim Jecht gehört zu ihnen. "Ein paar letzte Geschenke kaufen, auf einen Weihnachtsmarkt gehen", darauf freue er sich jedes Mal, wenn er für die Feiertage von Valencia in seine alte Heimatstadt komme, sagt der 55 Jahre alte promovierte Philosoph. Zum Bummeln in der Altstadt gehört für ihn unbedingt ein Stop bei der Buchhandlung Lentner am Marienplatz. "Da bin ich Weihnachten Stammkunde." Der Münchner Rummel habe im Vergleich zum spanischen einen entscheidenden Vorteil, sagt Jecht: "Er ist am 24. vorbei. Dann kann man entspannt die Beine hochlegen." In Valencia hingegen wird erst am 6. Januar beschert, weshalb die gesamte Weihnachtszeit Einkaufen angesagt ist, bis 5. Januar um Mitternacht.

Jecht kann die Bräuche in München und Valencia bestens vergleichen, schließlich lebt er seit 1996 in Spanien. Er blieb nach der Promotion dort, arbeitet mittlerweile als Deutschlehrer und hat auch ein Projekt mit dem Goethe-Institut initiiert. In einer alten Schuhfabrik, die er renoviert und zu einem Kreativzentrum umgestaltet hat, zeigt er Kinofilme. Früher gab es für seine Familie Weihnachten einen festen Rhythmus: einmal Valencia, einmal München. "Wir wollten als Familie eine eigene Tradition in Valencia aufbauen. Die Kinder sollten aber auch die Tradition der Großeltern kennenlernen." Doch mittlerweile ist das Gleichgewicht gekippt, Eltern und Schwiegereltern sind älter geworden.

Also gibt es nun jährlich Weißwürste am 24. Dezember, wie es in der Münchner Familie Tradition ist. "Die esse ich gerne, die besorge ich bei uns im Großmarktviertel." In Spanien gebe es die mittlerweile auch, deutsche Discounter böten sie zur Oktoberfestzeit an, sagt Jecht. Das Original aber bekommt er in München, und noch eine Spezialität, die sofort nach der Ankunft beim Bäcker ums Eck gekauft wird: "das leckere Vollkornbrot". An den Weihnachtstagen wird mit der Familie gegessen, danach freut sich Jecht regelmäßig auf einen langen Spaziergang an der Isar, "bis zum Flaucher".

In den ersten Januartagen lockt aber schon wieder Valencia, nach gut einer Woche merkt Jecht, was ihm in München schnell fehlt: Licht. Der bedeckte Himmel, das Fahle im Winter, das stört ihn. "Wir sind die satte Sonne gewöhnt. Auf die freue ich mich wieder." Mittags draußen zu sitzen auch im Winter, das entschädige auch dafür, dass spanische Wohnungen um diese Jahreszeit zur Kühle neigen. Für einen ausgedehnten Spaziergang hat Valencia zudem eine attraktive Alternative zu bieten: einen Bummel am Meer, Sand unter den Füßen. Heiner Effern

Familientreffen

Weihnachten kann in der Familie von Pauline Pfister auch schon mal später stattfinden, an Silvester zum Beispiel. "Meine Schwester ist Krankenschwester und hatte vergangenes Jahr am Heiligen Abend Dienst", sagt die 21-jährige Studentin. Also verlegte die Familie die Feier einfach ein paar Tage nach hinten. Weil der Tag an sich nicht so wichtig ist, sondern vielmehr, dass die Familie zusammen ist. Und heuer klappt das auch gleich am 24. Dezember.

Pfister ist in Pasing geboren und später mit ihren Eltern ins Glockenbachviertel gezogen. Nach dem Abitur stand sie vor einer Entscheidung, die so viele Münchner Gymnasiasten plagt: in München bleiben und während des Studiums bei den Eltern wohnen bleiben oder lieber ein Abenteuer wagen, alleine in eine neue Stadt gehen. "In München in eine eigene Wohnung zu ziehen, erschien mir absurd", sagt Pfister. Denn sie hätte aus der Stadtmitte an den Rand ziehen müssen, um sich die Miete leisten zu können. Sie beschloss zu gehen. Und fand vor zweieinhalb Jahren eine neue Heimat in Würzburg. Eingelebt habe sie sich dort gut, erzählt die Chemie-Studentin. Aber: "Würzburg ist halt nicht München." Ihr fehle das kulturelle Leben, die hochklassigen Theateraufführungen, die Konzerte. Immerhin: Im Uni-Orchester kann sie weiter Geige spielen. Und der Eintritt ins Frankentheater ist für Studenten kostenlos. "Ich freue mich jedes Mal wieder, wenn ich die Staatsoper in München sehe", sagt Pfister. Ihr fehle das urbane Gärtnerplatzviertel. Und ihre Familie: "Auf sie freue ich mich immer am meisten."

Ein traditionelles Weihnachtsritual haben die Pfisters nicht. Der engere Familienkreis ist fast immer da, oft schauen aber auch Freunde vorbei. Früher mit Oma und Opa habe es immer Fondue gegeben, jetzt ist die Familie bei der klassischen Gans gelandet. "Die lässt sich gut vorbereiten und schmeckt jedem", sagt Pfister. Melanie Staudinger

Glühwein und Geschenke

Der Zufall hat Dora Holicki nach Straßburg verschlagen. Eigentlich hatte sie schon eine Absage von der Universität bekommen. Aber dann ist sie zufällig in der Stadt, geht zufällig in die Uni und läuft dort zufällig der Direktorin über den Weg. Die beiden Frauen kommen ins Gespräch und irgendwann stellen sie fest, dass sie auf der gleichen Schule waren: dem Münchner Theresiengymnasium. Holicki erzählt der Direktorin von der Absage. Die Direktorin sagt: Da lässt sich doch bestimmt was machen. "Richtiger Ort, richtiger Zeitpunkt", sagt Holicki, 21. Sie studiert jetzt im dritten Semester Psychologie. Auf Französisch.

Alle ein, zwei Monate fährt Holicki nach München. Sie freut sich jedes Mal darauf, wieder hierherzukommen, Straßburg ist schön, aber deutlich kleiner als München. "Hier ist einfach mehr los", sagt Holicki über ihre Heimatstadt. Seitdem sie nicht mehr hier wohnt, gefällt ihr die Stadt noch besser als früher. München sei schon immer schön gewesen, findet Holicki, aber durch den Abstand "ist es nochmal schöner geworden".

Ihre Eltern und ihr Bruder leben nach wie vor hier, die meisten ihrer Freunde sind auch hier geblieben. Viele von ihnen sieht Holicki nur noch selten, aber jedes Jahr vor Weihnachten machen Holicki und ihre Freundinnen ein Weihnachtstreffen. Sie trinken dann zusammen Glühwein und schenken sich eine Kleinigkeit. Dieses Jahr hat Holicki ein selbst gebasteltes Memory bekommen. Linus Freymark

Kleine Fluchten

"München heißt für mich nicht Heimkommen, da wohnt halt die Mama", sagt Susanne Hoffmann nüchtern. Wenn sie zurückdenkt an ihre Jugend in Schwabing, dann wollte sie eigentlich schon immer weg. Weg aus dem Max-Gymnasium zum Beispiel, wo es drauf ankam, dass man zur richtigen Clique gehört. Sie erinnert sich: "Die trugen alle Perlenohrringe, Barbour Jacken und Seglerschuhe und gingen in die gleiche Tanzschule", sagt sie. "Da kam man nur rein, wenn man eingeladen wurde."

Sie wurde nicht eingeladen. Trotzdem ist sie noch eine begeisterte Tänzerin geworden, aber erst Jahre später, da lebte sie schon in Brasilien. Erst Capoeira, später Salsa. "Ich habe super viel getanzt", erzählt die 38-Jährige. Seit sie eine Tochter bekommen hat, ist es etwas weniger geworden.

Seit zehn Jahren lebt sie jetzt in Rio de Janeiro. Gekommen ist sie mit einem Stipendium, inzwischen hat sie eine Professur für Innovation und Technologiemanagement an der staatlichen Uni in Rio. Im Moment kann sie sich schwer vorstellen, zurückzukommen. Während ihrer Schwangerschaft gab es mal solche Gedanken, "aber das waren wohl die Hormone", glaubt sie.

Eigentlich wäre sie mit ihrer Familie über Weihnachten lieber am Meer, gibt Susanne Hoffmann zu. "Ich hatte schon ein bisschen Sorge, dass wir frieren werden". Aber ein paar warme Gefühle hat sie jetzt doch in München. Zum Beispiel auf dem Christkindlmarkt. "Da sind wir in der 12. Klasse schon am Vormittag hin, wenn wir eine Freistunden hatten, und haben Glühwein getrunken". Kleine Fluchten sind auch in München möglich. Julian Hans

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Quelle:
SZ vom 24.12.2018
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