Heiligabend im Club:Schrille Nacht

Exzess statt Besinnlichkeit? In Großstädten haben mittlerweile fast alle Clubs an Heiligabend geöffnet und konkurrieren um das Weihnachtsgeld derjenigen, die nach der Feier im Kreis der Familie noch nicht genug haben. Viele finden: Die stille Nacht ist die heißeste des Jahres.

Lisa Sonnabend

Weihnachten wird in diesem Jahr nicht nur unterm Baum entschieden, wie ein Elektronikhersteller proklamiert, sondern auch im Club. Vor allem die Szene-Gastronomie verzeichnet seit einigen Jahren glänzende Umsätze während der Feiertage. Hatten in München früher nur ein paar vereinzelte Lokale geöffnet, so gibt es inzwischen mehr als fünfzig Clubs mit einem speziellen Weihnachtsangebot.

Eröffnungsparty im P1 in München, 2009

Ausgelassen wie sonst nur selten: Immer mehr Münchner gehen an Weihnachten aus. (Archivbild aus dem P1)

(Foto: lok)

Stille Nacht, schrille Nacht - für jede Zielgruppe gibt es längst das passende Motto, vor allem in der Innenstadt. Das Atomic Café in der Neuturmstraße lädt zum "Rock'n'Roll X-Mas". Im Valentin Stüberl im Dreimühlenviertel heißt das Motto "Ihr Kinderlein kommet", das Backstage an der Friedenheimer Brücke wirbt mit der Aufforderung: "Freak Out".

Weihnachten im Club soll etwas Besonderes sein, deshalb machen sich Gäste und Gastgeber gegenseitig Geschenke: Das Chaca Chaca etwa lässt seinen Gast-DJ, der Techno mit südamerikanischen Rhythmen mischt, eigens aus Berlin anreisen. Der bayerische Liedermacher Hans Söllner tritt in der Muffathalle auf; statt "Oh Tannenbaum" wird er allerdings vom "Marihuanabaum" seines Vaters singen: Rastazöpfe statt Lametta. Tradition hat allerdings auch dies, denn Söllner spielt nun schon seit einigen Jahren an Heiligabend in der Muffathalle.

Auch das X-Cess, die Absturzkneipe an der Sonnenstraße, hat am Samstagabend geöffnet. Der Betreiber Ismail Yilmaz feiert zunächst mit seinen Eltern. "Doch wenn sie gegen 22 Uhr schlafen gehen, sperre ich die Tür zum X-Cess auf", sagt der Wirt. Wegen des Tanzverbotes, das wie an anderen christlichen Feiertagen bis Mitternacht gilt, wird zunächst leise Musik gespielt, "Trauermusik", wie Yilmaz trocken anmerkt. "Doch dann drehen alle auf und rocken", mehr als an gewöhnlichen Abenden. "Alle haben das Weihnachtsgeld von Oma dabei, das wirkt sich natürlich aus", sagt Kneipenwirt Yilmaz.

Das gemeinsame Feiern an der Bar und auf der Tanzfläche hat das traditionelle Fest in München aber nicht abgelöst, es ist eine Art Zusatzprogramm für viele. Christian Heine, Betreiber des Atomic Cafés, beobachtet das schon seit längerem. "Wenn die Gäste zu uns kommen, haben sie oft den besinnlichen Teil des Abends bei der Familie bereits abgeschlossen."

Das Atomic Café hat schon seit 15 Jahren, seit es den Club gibt, an Heiligabend geöffnet. Vor allem Singles zählen zu den Gästen, aber auch Leute, die sich der Familie verweigern, berichtet Heine. Auch viele Cliquen kommen regelmäßig zu den Feiertagspartys: "Über Weihnachten kehren ja viele Exilmünchner aus anderen Städten nach Hause zurück", sagt Heine. "Und die wollen sich endlich wieder mit ihren alten Freunden treffen."

Festlich, nicht hemmungslos

Auf dem Land und in Kleinstädten versammelt man sich in der Dorfkneipe, wenn man nach dem Familienfest noch nicht genug hat. In einer Großstadt wie München gibt es an jeder Ecke einen Dorfkneipen-Ersatz. Nur noch wenige der bekannten Münchner Clubs bleiben an Heiligabend geschlossen - etwa das Harry Klein am Stachus oder das Max & Moritz am Maximiliansplatz. Auch das Bobbeaman, einer der angesagtesten Clubs derzeit, verzichtet ganz bewusst auf Motto-Zauber und Christmas-Dröhnung, weil man den Mitarbeitern auch mal eine Pause gönnen wolle, wie die Betreiber sagen.

Franz Rauch, Chef und Mitbesitzer des P1, kann das überhaupt nicht verstehen: Weihnachten im Club sei nicht nur ein gutes Geschäft, sondern auch die ideale Gelegenheit, mit anderen anlehnungsbedürftigen Münchnern in Kontakt zu kommen. Oft reiche eine kurze Begrüßung, ein Blick.

Im übrigen seien es nicht nur die Zwanzigjährigen, die es zur zweiten Bescherung ins P1 ziehe. Es gebe einen richtigen Trend zur Mehr-Generationen-Nacht, sagt Rauch: "An Heiligabend kommt es vor, dass Kinder ihre Eltern, die früher selbst Stammgast bei uns waren, mitbringen. Und manchmal sogar die Großmutter." Die Stimmung bei der "White-Christmas"-Party sei auch nicht hemmungslos, sondern besonders festlich. "Die Leute sind immer sehr gut angezogen, weil sie direkt von der Familienfeier kommen", sagt Rauch.

Und Ismail Yilmaz vom X-Cess, der eine etwas andere Klientel bedient, ist sich sicher: "Es wird auch diesmal wieder die beste, ausgelassenste Nacht des Jahres."

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